TEXT: ANDREJ KLAHN
Schon mit seinem hoch gelobten, vor vier Jahren erschienen Debüt »Der Schatten der Tiere« hat Mathias Gatza den Nachweis angetreten, dass ein gut geplotteter Roman literarisch durchaus raffiniert sein darf. Geschickt reicherte der in Berlin lebende, 1963 geborene Gatza seine Kriminalgeschichte mit ein paar metafiktionalen Zutaten an, die dem Schonkost gewohnten Magen des Krimi-Lesers sonst schwer verdaulich sind. Da ist jemand mit unterhaltsamer Intelligenz am Werk – so lautete das Versprechen, das Gatza mit seinem Erstling abgab.
Am Willen zum vordergründigen Thrill mangelt es auch Gatzas zweitem Roman, »Der Augentäuscher«, nicht: Ein Serienmörder treibt sich 1673 in Dresden um. Kopfüber hängend werden Sänger-Kastraten ans Kreuz geschlagen und mit emblematischer Zier makaber in Szene gesetzt. In jener Nacht, in der der erste Leichnam gefunden wird, ist der junge Maler Silvius Schwarz, ein Meister des Stilllebens, aus Amsterdam zurückgekehrt. Dort hat er drei Jahre lang mit einer Camera obscura experimentiert, die ihm helfen soll, die täuschende Kunst der Nachahmung zu perfektionieren. Und das beste Ergebnis, so schreibt Silvius an seine Geliebte und Cousine Sophie von Schlosser, erreiche er mit toten Gegenständen.
Das klingt hinreichend obsessiv und wäre zeitlich fern genug, um aus dem Stoff ein nach Beststeller duftendes »Parfüm« zu extrahieren, so wie es einst Patrick Süskind angemischt hat, oder gar einen historischen Roman in Breitwandformat. Doch Mathias Gatza erzählt seine Geschichte nicht schnörkellos herunter, auch das mit dicken historistischen Pinselstrichen ausgemalte Epochen-Panorama interessiert ihn mäßig.
Nicht weniger als drei sich ergänzende und kommentierende Erzählebenen hat der ehemalige Verleger und Suhrkamp-Lektor dem »Augentäuscher« eingezogen: Als fiktiver Herausgeber tritt ein Kunstwissenschaftler auf, der sich in der Gegenwart um den Nachweis bemüht, dass Silvius Schwarz, bis dato ein Phantom der Kunstgeschichte, bereits im 17. Jahrhundert die Fotografie erfunden hat – also gut 150 Jahre bevor Niépce die erste erhaltene Heliografie anfertigte. Eine sensationelle, wenngleich glücklichen Zufällen geschuldete These eines Mannes, der bis dato weder Glück mit seinen Promotionsvorhaben, noch mit den Frauen hatte und die Hartnäckigkeit seiner Forschung mit Sozialhilfe und Trennungen bezahlt. Als wichtigen Fund präsentiert er dem Leser sechs Druckbögen, gesetzt in der Nacht vor Schwarz’ Hinrichtung, auf denen sich die Geschichte des »größten Augentäuschers« bewahrt findet. Ergänzt wird diese Chronik durch Passagen aus einem barocken Briefroman, in dem Silvius Schwarz für seine fotografische Forschung und Sophie von Schlosser für Silvius schwärmt. In der Beschreibung klingt dieses Arrangement aus Kommentaren und fingierten Dokumenten kompliziert, doch Gatza beherrscht es spielerisch.
Schwarz’ Traum, mit Licht zu malen, und die Dinge mittels der Fotografie unverfälscht von menschlicher Hand zu konservieren, ist die letzte Konsequenz des illusionistischen Trompe-l’œil; zugleich ist seine Vision beseelt vom neuzeitlichen Entdeckergeist, der sich zu dieser Zeit gegen die Gespenster des Aberglaubens behaupten muss. Der Maler macht sich der Ketzerei verdächtig. Einem Mann, der die Welt mit einer Perfektion zu imitieren versteht, wie keiner vor ihm, ist alles zuzutrauen.
Mit großer Leichtigkeit zitiert Gatza naturwissenschaftliche und philosophische Diskurse und baut aus ideengeschichtlichen Bruchstücken eine barocke Skizze zusammen. Leidenschaftlich und handfest geht es hingegen in den Liebesbriefen zu, in denen die Rhetorik des Gefühls mit Witz und Sinn für Theatralik ausbuchstabiert wird. Souverän zieht Gatza in »Der Augentäuscher« sprachliche Register, ohne sich dem Stil des Barocks verpflichtet zu fühlen, und montiert gekonnt die Erzähl-Ebenen in- und gegeneinander. Anders formuliert: Dieser Roman ist feinste Unterhaltung.
Mathias Gatza: »Der Augentäuscher«; Graf Verlag, München 2012, 383 S., 19,99 Euro.
Lesung am 29. Juni 2012 im Museum Folkwang