Jedes Jahr wieder herrscht Gedränge vor den kleinen Kojen. Mit Spannung schaut man auf die ausgewählten Förderkünstler der Art Cologne, »New Talents« heißen sie noch nicht lange. Könnte ein Star von morgen dabei sein? Sind vielleicht Trends auszumachen unter den Neulingen? Mit Blick auf bevorzugte Medien lässt sich 2006 sagen, dass Malerei und Video nicht sonderlich angesagt scheinen. Es überrascht, dass lediglich drei Maler unter den »neuen Talenten« sind. Video-Kunst-Werke werden nur in zwei Kojen gezeigt. Stark dagegen die Fotografie. Immerhin finden sich fünf Fotografen unter den 23 mehr oder weniger jungen Künstlern, die ihr Messedebüt diesmal in einer Gratiskoje feiern können. //
Krieg und Frieden
Wie so viele Fotografen-Stars ging auch Matthias Koch durch die gute Schule von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. Nach dem Studium arbeitete er ab 1992 gar als Assistent für das berühmte Fotografenpaar und kümmerte sich vor allem um das technische Drumherum bei den Aufnahmen – seine Pariser Galeristin Esther Woerdehoff nennt ihn deshalb Daniel Düsentrieb. Inzwischen erfindet Koch in eigener Sache. Für sein aktuelles Fotoprojekt baute der 1961 in Bremen geborene Künstler ein ausgemustertes Feuerwehrauto um: Oben an die 30 Meter lange Leiter montierte Koch einen ferngesteuerten Fotoapparat und dazu eine Videokamera, im Fahrerhäuschen richtete er sich wohnlich ein. Mit diesem Vehikel bereiste der Künstler in den vergangenen Jahren die Küste der Normandie – genauer, jene Orte, wo vor gut 60 Jahren die Alliierten gelandet waren. Mit dem Apparat an der Feuerleiter fotografierte Koch die Gegend aus der Luft: Grün-blaues Meer, kleine Häuschen in den Dünen, ein nostalgisches Karussell an der Promenade. Diese Bilder sind schön und beunruhigend zugleich. Denn aus den friedlichen Landschaften treten schreckliche Erinnerungszeichen hervor: Die weiten, ruhigen Strände sind von Befestigungsmauern durchzogen, hinter der Weide mit grasenden Kühen stehen Bunker. Und die sanften Hügel und Senken jenes saftig-grün bewachsenen Geländes geben sich, von oben gesehen, schnell als Bombenkrater zu erkennen. //
Beauty Queens und Metal Kings
Muir Vidler hatte sich schon als Straßenkünstler und Fotograf auf einem Kreuzfahrtschiff verdingt, bevor er im Jahr 2000 nach London ging und ein Diplom als Fotojournalist erwarb. Seither arbeitet der 31-jährige Schotte für alle möglichen großen Blätter, darunter New York Times, Time und Vogue, die Weltwoche und den Spiegel. Nebenbei
entstehen aber auch immer wieder freie Arbeiten.
Mit Kenny Schachters Londoner Galerie ROVE präsentiert er in Köln etwa die Reportage über einen internationalen Schönheitswettbewerb in Libyen. Außerdem ein Fotoprojekt, das jüngst bei einem Heavy Metal Festival im Heiligen Land entstand. Fans aus ganz Israel, Jordanien, Ägypten und der Türkei versammelten sich dazu in Tel Aviv. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, wo Juden und Moslems friedlich feierten.
Vidlers Arbeit verbindet Reportagefotos mit Texten, Interviews und fotografischen Porträts. Haim, einen beleibten Heavy-Metal-Bassisten mit Vollbart, lichtete er am Tag nach seinem Auftritt ab. Der Musiker posiert oben ohne, auf dem schwabbeligen Bauch trägt er ein Tatoo mit dem Emblem seines Football-Teams Haifa FC. //
Makellos und menschenleer
Turnhallen und Hotelrezeptionen, Schnellrestaurants und die Umkleidekabinen im Schwimmbad – jeder hat solche Orte vor Augen. Doch auf den Bildern von Julian Faulhaber sehen die alltäglichen Räumlichkeiten plötzlich ganz anders aus: Glatt, bunt und hochglänzend, absolut sauber und immer menschenleer. Sie scheinen fast zu makellos, um wahr zu sein.
Zweifel kommen auf. War vielleicht der Computer am Werk? Oder hat Faulhaber ein Modell gebaut und abgelichtet? Gut bekannt ist eine solche Praxis von Thomas Demand, der aus Pappe und Papier Küchen, Copyshops oder Parkgaragen bastelt, um sie anschließend fotografisch festzuhalten. Doch liegen Faulhaber solche Täuschungen fern. Der 31-jährige Fotograf hält sich an die Tatsachen. Nur sucht er die Räume und Architekturen vor allen anderen auf, wenn sie völlig neu und unbenutzt sind. Er entfernt dort alles, was sein Bild stören könnte. Jede Beschriftung, alles Überflüssige.
Die Wirkung beeinflusst Faulhaber vor allem durch die sorgfältige Wahl des Bildausschnitts – so ergibt sich ein effektvolles Zusammenspiel von Farbe, Fläche, Licht. Kaum vorstellbar, dass sich seine Turnhalle tatsächlich einmal mit schwitzenden Sportlern füllt, dass in den Umkleideräumen Kinder kreischen. Oder dass sich früher oder später im antiseptischen Schnellrestaurant der Geruch von Hamburgern und Fritten breit macht. In Köln wird der Künstler durch die Frankfurter Galerie L.A. vertreten. //
Schneebesen und Spülbürste
Aus welchem Grund werden so viele Dinge produziert? Wer kauft das alles, und warum nur? Wie schließlich werden wir den ganzen Kram wieder los? Immer wieder kreist Stephanie Senge um diese und ähnliche Fragen. In unterschiedlichen künstlerischen Medien, nicht zuletzt mit der Fotografie, ist die 34-Jährige Themen wie Konsumterror, Kaufrausch und Warenwahnsinn auf den Grund gegangen. Bei der Art Cologne vertreten durch die Münchner Galerie Six Friedrich Lisa Ungar, präsentiert sie aktuelle Fotoarbeiten, die auf der Grundlage eines gründlichen Ikebanastudiums entstanden sind: Senge hat ein halbes Jahr lang in Tokio die uralte japanische Kunst des Blumensteckens erlernt. Doch sind es keine Blüten, Gräser, Zweige, Blätter, die sie nach ästhetischen und philosophischen Regeln arrangiert. Nein, die Künstlerin steckt allerlei nützliche wie auch entbehrliche Konsumgüter zusammen und fotografiert sie anschließend. Schneebesen, Milchschäumer, Knoblauchpresse werden kunstvoll komponiert. Spülbürsten in unterschiedlichsten Farben, Größen und Ausführungen finden in ausbalancierten Ensembles zusammen. //
Kanada und Köln
Sein Englisch war schlecht. Deshalb konzentrierte Max Regenberg sich zunächst einmal aufs Gucken, als er Ende der 70er Jahre nach Kanada auswanderte. Was er sah, beeindruckte ihn tief: Riesengroße Plakatwände und Schrifttafeln überall. So etwas war Regenberg nicht bekannt, nicht aus seiner norddeutschen Heimat und ebenso wenig aus Köln, wo er sich Mitte der 70er zum Fotografen hatte ausbilden lassen. Werbung und visuelle Kommunikation spielten im Straßenbild dort bereits eine ganz andere, viel größere Rolle.
Fasziniert begann Regenberg, die Plakate und schriftlichen Botschaften zu fotografieren – und hörte nicht mehr auf damit. Wie einst August Sander oder später die Bechers, so legte auch Regenberg eine Sammlung an. Statt Menschen oder Architekturen interessieren ihn Großplakate im öffentlichen Raum. Nach seiner Heimkehr aus Kanada setzte er um 1980 u.a. in Köln die Arbeit fort. Inzwischen sind um die 3000 Aufnahmen zusammengekommen. Ganz frisch ist dieses Talent also nicht mehr. Die Bilder, mit denen Regenberg und die Kölner Galerie Thomas Zander ihre Förderkoje bespielen, haben bereits über zwei Jahrzehnte auf dem Buckel. Sie führen zurück zu Regenbergs fotografischen Anfängen in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Trotzdem ist der Auftritt für den Künstler eine Premiere: Während seine jüngeren Arbeiten schon häufiger gezeigt wurden, waren diese Frühwerke bisher noch in keiner Ausstellung so zahlreich zu bewundern. //
Art Cologne; Messe Köln. 1. bis 5. November 2006. www.artcologne.de