// Gigantisches Gekröse, blutrot, acht Meter lang und am Ende mit einem unverkennbaren Loch versehen. Joep van Lieshout nennt seine Schöpfung aus Holz und Fiberglas schlicht »Arsch Bar«. Offiziell titelt man etwas zurückhaltender »Bar Rectum«. Am Abend der Vernissage im Aachener Ludwig Forum für internationale Kunst lockte Freibier in die stimmungsvoll beleuchteten Ausstülpungen des Enddarms. Durstige Besucher durften sich dort auf braunen Sitzkissen undefinierbarer Form niederlassen, vielleicht um beim Gratisgetränk zu diskutieren: über beißende Ironie, Tabubrüche aller Art und Humor der tiefschwarzen Sorte. Alles sind gern verwendete Begriffe, wenn es um Joep van Lieshouts Arbeiten geht.
Der Niederländer und sein Atelier sind jetzt im Ludwig Forum zu Gast mit einer großen Retrospektive – auch wenn der Künstler mit seinen 45 Jahren noch etwas jung dafür erscheint. »Das Haus«, so heißt die auf 20 »Zimmer« verteilte Schau mit Zeichnungen, Modellen, Objekten, Installationen aus den vergangenen 25 Jahren. Natürlich hat Lieshout das alles nicht allein fabriziert. In einer riesigen alten Fabrikhalle am Rotterdamer Hafen sind inzwischen Tag ein, Tag aus um die 30 Spezialisten damit beschäftigt, seinen Ideen Gestalt zu verleihen.
Sie basteln allerlei Innereien – Herzen, Nieren, Lebern – und gewaltige Geschlechtsorgane. Winzige Wohnkapseln, kuschelige Höhlen, karge Käfige und fantastische Architekturmodelle. Menschenverachtende Apparaturen aus Schläuchen, Kesseln, Kanistern. Sportmaschinen, die ausschauen wie Folterinstrumente und Schlafbatterien, die Kaninchenställen gleichen. Dazwischen beherbergt Lieshouts Aachener »Haus« gesichtslose Einheitswesen – als willenlose Täter, als Opfer oder als Leichen, die ausgeweidet und verkohlt auf dem Fußboden herumliegen.
Im Ludwig Forum spricht man von »Materialschlachten«, die dieser Ausstellung vorangingen. Zwölf Tieflader zählte Institutsleiter Harald Kunde, der seine Hallen komplett ausräumte, um der Fracht genug Platz bieten zu können.
Joep van Lieshout scheint sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Bisher waren immer nur Ausschnitte des Schaffens ausgestellt, erst kürzlich in Essen die »Stadt der Sklaven« (s. K.WEST vom Juni d. J.). Weil alle Werke »eine große Saga erzählen«, sei es aber wichtig, sie im Zusammenhang zu sehen, so der Künstler. Aachen zeigt das erste Mal den ganzen beklemmenden Lieshout-Kosmos. Da geht immer und immer wieder um Essen, Trinken und Ausscheiden, um Fäkalien und ihr Recycling, um Sex, Reproduktion, auch um die detailreich ausgeschmückte Negativutopie einer vermassten Menschenhaltung.
Lieshout liebt die radikal aufdringliche Zuspitzung: Als »Unabhängigkeitsraum« tituliert er sein kameraüberwachtes Klo, das gleichzeitig der Gewinnung von Biogas dient. Eine riesige Gebärmutter baut er aus zur gemütlichen Koje mit integrierter Dusche, Toilette, sogar an die Minibar wurde gedacht. Nebenan im Raum des »Technokraten« stößt einem das Freibier unangenehm auf. Denn da kann man mit ansehen, wie durch Alkohol ruhiggestellten Einheitsmenschlein Nahrung eingetrichtert wird, um ihre Verdauungsprodukte anschließend per Schlauch direkt am After abzufangen.
Aber möchte man Lieshouts »große Saga« wirklich in allen Einzelheiten hören? Denn wenn die Pointen platt und die Provokationen derb sind, wirken Redundanzen umso heftiger. Weniger wäre hier mehr. Zumal die Masse den Mangel an Poesie und ästhetischer Raffinesse umso klarer hervortreten lässt.
Was am Ende bleibt, ist die Frage: Wo ist Lieshout wirklich kritisch, wo bloß fasziniert vom Bösen und Verbotenen? Übrigens gibt es für seine bedauernswerten Wesen vielleicht einen Ausweg. Im Moment, so ließ der Künstler durchblicken, interessiere ihn das Thema Revolution. »Die Bevölkerung hat die Nase voll, sie will jetzt eine vernünftige Regierung«, erklärt er. »Ja … vielleicht wird ein technokratisch-sozialistisches System entstehen – auf jeden Fall brauchen wir ein anderes System.«
Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen. Bis 11. Jan. 2009. Tel.: 0241/1807104. www.ludwigforum.de. Katalog 49,90 Euro.