TEXT: KATJA BEHRENS
Die US-amerikanische Fotografin Lucinda Devlin, 1947 in Ann Arbor, Michigan, geboren, hat bis vor kurzem ausschließlich Innenräume fotografiert. Räume, in deren Mobiliar und Gestaltung, Materialien und Ordnung sich für sie der Geist einer Epoche und einer Kultur offenbart. Hotelzimmer und Vergnügungsparks, Tiergehege, Massagesalons, medizinische Laboratorien, ein Leichenschauhaus und allerlei zweckmäßige öffentliche Innenräume, Badeanstalten: all dies Ersatzwelten, in denen der Körper die Hauptrolle spielt, indes er passiv bleibt. Der Mensch hat hier keine Kontrolle mehr über seine Physis, in den Fotografien taucht er erst gar nicht auf, und so verhallen die Versprechungen von Glück und Gesundheit im leeren staubfreien Ambiente jener abstrus zugerichteten, blankgeputzten und aufgeräumten Lebenswelt. »Meine Arbeit als Künstlerin besteht in der Erkundung der zeitgenössischen amerikanischen Kultur durch die psychologisch komplexe Domäne der Innenräume. Ich stellte fest, dass räumliche Umgebungen ein kulturell einzigartiges Verständnis dafür anbieten können, wie Räume, Objekte und Artefakte in der Lage sind, Bedeutung zu konstruieren.«
Devlins bekannteste Serie aber ist sicher »The Omega Suites« (1991), eine Bilderreihe, die in ihrer verführerischen Schönheit und Intensität erst auf den zweiten Blick offenbart, was ihr Motiv ist. Elektrische Stühle und ihr todbringendes Zubehör, OP-Tische, genutzt für tödliche Giftinjektionen, Gaskammern, der Autopsieraum oder das Zimmer eines Todeskandidaten. Kunstvoll arrangiert, in eisig weißes Licht getaucht oder schummerig, fleckenlos und steril präsentieren sich die modernen Todeskammern und die Rituale des angeordneten Lebensendes. Und doch behaupten sich die Bilder gegenüber den narrativen Inhalten. Lucinda Devlin arbeitet grundsätzlich nur mit dem Licht und der Situation, die sie vorfindet. Indem die Künstlerin sich bei all ihren Fotografien für die immergleiche Technik entschieden hat (C-Prints, die sie selber abzieht), für das quadratische Format, für Weitwinkel und Zentralperspektive, betont sie das Objektive ihres Kamerablicks. Der dokumentarische Stil, nicht das Dokumentarische sei es, was sie von Beginn an interessiert habe.
Jetzt steht Lucinda Devlin in einem Feld und richtet ihre Kamera aus. Im Video schildert sie ihre Interessen und ihre Vorgehensweise. War bislang das Interieur Chiffre für gesellschaftliche Rollenbilder und kulturelle Muster, so rückt nun zum ersten Mal der Außenraum ins Bild. In »Field Culture« untersucht sie das vielgestaltige Gesicht der modernen Landwirtschaft: Hochgerüstete Arbeitsmaschinen (zentral, in leichter Untersicht monumentalisiert), Weizen-, Mais- und Sojafelder, Heuballen und Treibhäuser, Bewässerungsanlage und Silos, Windkrafträder. Für die Ausstellung der Galerie m hat die Fotografin ihre neuen Serien »Field Culture & Lake Pictures« erstmals groß abgezogen, und erstmals überhaupt werden sie in Bochum öffentlich gezeigt.
Da tauchen Hochspannungsmasten im Maisfeld auf oder es ragen Windturbinen aus dem Korn. In der Landschaft, so formuliert es die Künstlerin, wachse die Energie. »Die Zukunft der Landwirtschaft in Amerika ist das Hi-Tec-Agrobusiness. Ich bin nicht notwendigerweise kritisch, ich zeige den Leuten nur, was und wie ich sehe.«
Jedoch, es gibt auch unberührte Natur, Horizont, viel Wasser und viel Himmel. Der Lake Huron ist einer der großen Seen um Michigan, dessen riesige Wasserflächen das Motiv der jüngsten Serie sind: »Lake Pictures«, 2011; und nun sind die Archival Pigments Prints auch vom Passepartout befreit. Die neuen Fotografien Lucinda Devlins, die in ihrer ganzen technischen Präzision und farblichen Brillanz dokumentieren, wie es in Amerika auch ist, sind zugleich ein anschauliches Nachdenken über Natur und Landschaft, über unendliche Weite und grenzenlosen Raum. Eine Reflexion über die sich wandelnde Atmosphäre der Seen-Landschaft in verschiedenen Jahreszeiten: morgens, mittags, abends und nachts. Wie schön kann Verlorenheit sein?
Galerie m, Bochum, 9. Juli bis 17. Sept. 2011, Schlossstraße 1a, 44795 Bochum; Tel. 0234/43997. www.m-bochum.de