Da sage noch mal einer, Recycling mache keinen Spaß. Als die Architektenkammer NRW in Kooperation mit dem Land NRW und dem Verband der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen im April dieses Jahres die Preisträger des Wettbewerbs »Wohnen an ungewöhnlichen Orten – Umnutzung von Nichtwohngebäuden« präsentierte, hatte man nicht wenig Lust, spontan den Möbelwagen kommen zu lassen und in einen dieser umgebauten Bunker, in eine Fabrik oder besser gleich in den ehemaligen Supermarkt zu ziehen. Beeindruckt zeigte sich auch die Jury von den 41 Beiträgen. Sie kürte zwölf, statt, wie vorgesehen, zehn Projekte. Auf den folgenden Seiten stellen wir drei der Gewinner vor. Doch Vorsicht: die Nachahmung ist nicht nur eine Frage des Geldes.
Im Vogelnest
Umnutzung eines ehemaligen Getreidesilos zum Einfamilienhaus, Neuss
Van den Valentyn Architektur, Köln; Architekt Thomas van den Valentyn und Dipl.-Ing. Architekt Johannes van Linn
// Eigentlich wollte er das 1963 erbaute Getreidesilo ja abreißen und mit den Feldbrandsteinen die Werkstatthalle verklinkern. Doch dann hat Wolfgang Hübner sich bei eBay einen Autokran ersteigert und den 20 Meter hohen Turm, in dem bis dahin einige tausend Ratten hausten, umgebaut. Warum? »Ich mache alles, was meine Frau mir sagt!« Das klingt einfach, ist aber – das wird seine Lebensgefährtin Stefanie Clemen später bestätigen – keineswegs immer der Fall. In der Ausführung war es auch ziemlich vertrackt. Selbst für einen Mann wie Hübner, der bereits mehrere Häuser gebaut hat. Denn der minimalistische Entwurf des Büros »van den Valentyn Architektur« sah im Innern des Turms einen freigestellten Sichtbetonkern mit Aufzug und Spindeltreppe vor, die vom über 12 Meter hohen Erdgeschoss in die beiden Wohnetagen bis hinauf zur Dachterrasse führt. Hübner, Besitzer einer Autowerkstatt, machte also einen Kranführerschein und begann mit der Umsetzung, baute die Verschalung in das Silo, in die er dann die zwischen vier und fünfeinhalb Tonnen schweren Treppenelemente einsenkte. Millimeterarbeit. Wenn das schief gegangen wäre, erzählt er, hätte der Turm einstürzen können. Ein Jahr hat allein die Fertigstellung des Schachts gedauert – und es hat funktioniert. Genauso wie die Erdwärmeheizung, deren Rohre in den Kern eingelassen wurden und heute den gesamten Turm angenehm temperieren.
Die Idee war, eine Wohnung wie ein Adlerhorst zu bauen, erzählt Stefanie Clemen. Von der Planung bis zur Fertigstellen hat sie das sieben Jahre Freizeit gekostet. Tatsächlich stellt sich unter dem Dach trotz der großzügigen, durch den Betonkern strukturierten Offenheit schnell das Gefühl ein, geschützt zu sein. Dazu tragen nicht zuletzt auch die verhältnismäßig kleinen Fenster bei. Sind es zu kleine Fenster? »Wenn ich ein Panorama haben will, dann gehe ich nach oben«, sagt die promovierte Chemikerin. Ein Fenster sei schließlich zum Rausgucken da. »Jedes Fenster ist hier wie ein Bild. Deswegen brauchen wir auch überhaupt keine Bilder an der Wand.« //
Im Raumschiff
Penthouse auf dem Hochbunker, Hamm
Architekturbüro archivolver, Dipl.-Ing. Architekt Mick Amort
// »Traumkunden« seien die beiden gewesen, sagt der Architekt Mick Amort von »archivolver«, »experimentierfreudige Leute«. Zu den Menschen, die auf Reisen gehen oder ihr Handicap zu verbessern suchen, wenn nichts mehr umzugraben, einzurichten oder umzubauen bleibt, gehören Annamaria Schultz und Franz-Ludwig Henning nicht. Es war irgendwann in den 1990ern, als Henning vor dem Luftschutzbunker in der Hammer Innenstadt stand und die Idee hatte, dass man das Ding zum Wohnen nutzen könne. Viele Jahre und einige Gespräche mit dem Bundesvermögensamt später, hat er sich dann zusammen mit Annamaria Schultz den massiven, von Einschlägen gezeichneten Schutzraum gekauft. In Betrieb war der nie gegangen, weil zur Fertigstellung ein paar Stockwerke und damit auch Wasser-, Strom und alle anderen Leitungen fehlten. Was es für die neuen Bauherren nicht unbedingt einfacher gemacht hat.
Wer schon mal versucht hat, einen Bunker zu zerschneiden, weiß, dass die Umnutzung eines solchen Klotzes zu vertretbaren Kosten nur durch An- oder Aufbau möglich ist – oder unter Verzicht auf Tageslicht. Also ließen sich die beiden ein Penthouse samt großzügiger Dachterrasse bauen, das mit seinen überkreuzten, über den Bunker hinausragenden Riegeln einem Raumschiff gleich auf dem massiven Fundament zu schweben scheint. Oder besser: Sie haben es mehr oder weniger selbst aus vorgefertigten Stahl- und Holzelementen gebastelt. Ein bisschen klingt es nach einem akrobatischen Bauen nach Zahlen, wenn Henning und Schultz davon erzählen, wie sie 14 Meter über dem Erdboden ihr Haus zusammengesetzt haben. Heute sind beide schwindelfrei, aber noch lange nicht fertig. Glücklicherweise, sagt Annamaria Schultz. Denn so lange hier noch etwas zu tun sei, würde Herr Henning nicht auf die Idee kommen, umzuziehen und irgendwo wieder von vorne anzufangen. //
Unter der Haube
Grube Carl – Wohnen im ehemaligen Trocken- und Pressenhaus, Frechen
ASTOC, Köln; Dipl.-Ing. Architekt Peter Berner
// Im Februar ermittelte hier Horst Schimanski. »Schicht im Schacht« heißt die Tatort-Folge, für die eigens ein verlassenes Wohnhaus im Frechener Stadtteil »Grube Carl« zu einem »vom Niedergang bedrohten Ort« hergerichtet wurde. Seit 1995 werden in der nur ein paar hundert Meter südlich des Drehorts gelegenen, zwischen 1905 und 1907 erbauten Fabrik, nach der das Viertel benannt ist, keine Briketts mehr produziert. Doch Abstieg sieht anders aus. Sechs der zehn Fabrikgebäude blieben erhalten, vier davon wurden unter Denkmalschutz gestellt. Eines davon ist das ehemalige Trocken- und Pressenhaus, in das der Architekt Peter Berner (ASTOC) 71 Wohnungen bauen ließ. Der Aufstieg mit dem Fahrstuhl, dessen Knöpfe so aussehen, als hätte Apple sein Angebot neuerdings um Bedienelemente für Aufzüge erweitert, endet im fünften Stock. Doch ganz oben ist man dann noch nicht. In der Wohnung von Andrea Przyklenk und Marcel Hergarten geht es zu Fuß weiter, noch zwei Stockwerke hoch, bis der Besucher sich plötzlich auf einer ziemlich riesenhaften Dachterrasse wiederfindet. Von dort aus in die Weite geguckt, dient der Dom als Wegweiser Richtung Köln, während gegenüber die Fabrik Frechen der RWE Power AG noch in Betrieb ist.
»Die erste Nacht war schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig«, erinnert sich Przyklenk. Es war der Blick auf diese in die Dunkelheit hell strahlende Industrieanlage, der sie am Anfang irritierte. Das ist heute nicht mehr so. Warum auch sollte man sich länger als ein paar Tage an einer Fabrik stören, wenn man selbst in eine gezogen ist? »Ich hatte immer den Wunsch, eine Wohnung mit hohen Decken zu beziehen, in der die Dielen knarren. Die haben wir jetzt nicht«, sagt Hergarten und ergänzt: » Aber das hier ist ja auch nicht verkehrt.« Verkehrt ist das überhaupt nicht, nur in der Einrichtung ein bisschen komplizierter. So liegt die offene Küche direkt unter einer der auf das Gebäude aufgesetzten Kühlhauben, durch die sich die Dachterrasse erschließt. Hier ist die Decke noch mal geschätzte zwei bis drei Meter höher als in einer dielenknarzenden Altbauwohnung. Ein Problem ist das eigentlich ja nicht – nur bei der Montage der Dunstabzugshaube. //