Den nächsten Schritt nicht zu wissen, ist beim Tanzen einer Choreografie peinlich. Wenn Bewegungen gar nicht vorgegeben sind, stattdessen allein die Freiheit, einen Schritt hierhin oder dorthin oder keinen zu tun, ist das dann nicht das pure Glück? Improvisation auf der Bühne: kostbare Entdeckungen, Versacken in Routinen, Lust und Horror, Entscheidungen treffen zu müssen und nicht zu wissen, was das Gegenüber antwortet. Das Folkwang Tanzstudio betritt mit dem neuen Projekt »Freigang«, uraufgeführt auf PACT Zollverein, wieder einmal Neuland. Außerhalb des Gefängnisses eines choreografischen Diktats (was der Titel fröhlich impliziert) wird jeder Abend also anders sein. Einem Musiker, Jens Thomas, und acht Tänzerinnen und Tänzern beim gar nicht allmählichen Verfertigen von Bewegungsgedanken beim Tanzen zuzuschauen, ist eine spannende Sache. Thomas, das wird schnell klar, ist der große Souveräne; er singt, lässt das Saitengedärm des offenen Konzertflügels wimmern und klingeln, entlockt dem Holz und dem Musikerkörper Schlagzeugrhythmen, den Tasten einen Song; sich schütteln wie ein Tänzer kann er auch. Auch Henrietta Horn, Leiterin des Profi-Ensembles, ist mit Leichtigkeit und kleinen eckigen Seltsamkeiten dabei. Wunderlich sein, nicht gefällig, ist hier die Kunst. Wer gerade nicht tanzt, ruht aufmerksam in einem weißen Sessel am Rand des Spielfelds. Eine Grundstruktur des Ablaufs und der Beteiligten ist vorgegeben, der Freigang führt also nicht wild querfeldein, sondern orientiert sich an Wegen und Plätzen.
Dabei halten sich die Improvisateure angenehmerweise an die Regel: nicht wimmeln! Sie reduzieren auf ein einziges Geschehen, verbunden mit Klang und Stille. Das legt aber auch die szenischen Ideen bloß, die meist als einschlägige Improvisationsübungen zu erkennen und deshalb wenig reizvoll sind. Da werden Impulse wie unsichtbare Bälle zugeworfen, Bewegungen so oft wiederholt, bis sie ausbeulen, wandern, umklappen. Die Kontaktimprovisationen, hier als Duette, drücken, wuchten, grabbeln viel zu sehr. Wunderbar geraten die Dialoge, die sich wirklich horchend – Ohren, Körper – auf den unbekannten Weg machen, sich von der Wahrnehmung leiten lassen, ohne Angst, ohne Ambition. Staunen! Geht doch. Mehr davon! SUCHY