TEXT VOLKER K. BELGHAUS
Henri Nannen warf ihm einst einen »ästhetisierenden Graphismus« vor. Das kann man so sehen, dennoch ist das Gegenteil der Fall: Willy Fleckhaus gestaltete mit seinen Entwürfen für Suhrkamp, twen und dem Frankfurter Allgemeine Magazin das aufgeklärte, kulturelle Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik mit. Jetzt zeigt das Museum für Angewandte Kunst Köln mit der Ausstellung »Design, Revolte, Regenbogen« eine Retrospektive auf Fleckhaus‘ grafisches Werk.
»Suhrkamp in Leinen, Suhrkamp in Dosen, Suhrkamp als Brotaufstrich, Suhrkamp, Suhrkamp, der Name wird grassieren, je weniger er heißt. (…) Ganz schlicht: Muss diese Edition Suhrkamp sein? Ich zweifele nicht an ihrem Erfolg, ich fürchte eher einen Erfolg.«
Nein, Max Frisch war in seinem Brief an Verleger Siegfried Unseld alles andere als begeistert von dessen Plänen, die von Willy Fleckhaus konzipierte »edition suhrkamp« auf den Markt zu bringen. Cheflektor Walter Boehlich moserte ebenfalls und wollte wenigstens Fleckhaus’ »Ostereierfarben« verhindern. Schließlich sei Suhrkamps Farbe Grau gewesen, demnach sollte eine intellektuelle Reihe ebenfalls in Grau gehalten sein. Die Beiden diskutierten nächtelang, bis Unseld in letzter Minute einen Kompromiss einging – der Karton des Einbands blieb grau, während die Umschläge darüber wie geplant farbig wurden. 1963 erschien Band 1 der »edition suhrkamp« – Brechts »Leben des Galilei« – in einem dunklen Blauviolett, der ersten der 48 Farben des Sonnenspektrums.
Unselds Kompromiss hatte sich da längst in einen Sieg über die Berufsbedenkenträger verwandelt. Sollten die sich doch an steingrauen Buchrücken erfreuen; Fleckhaus’ Konzept ließ hingegen fortan die Bildungsbürgerbücherwände der Republik in Regenbogenfarben erstrahlen – leicht, spielerisch, modern, dem jeweiligen Inhalt jede Schwere nehmend. »Ich sehe ein endloses Band, das sich wieder schließt, selbstverständlich wie die Natur, präzise und schön«, lobte sich Fleckhaus selbst.
Die »edition suhrkamp« zählt heute zu den Ikonen der deutschen Designgeschichte, nicht nur aus formal-gestalterischen Gründen, sondern weil sie gleichzeitig die progressive Geisteshaltung jener Jahre dokumentiert. Die typografische Tradition Deutschlands, die durch das Bauhaus weltweit Beachtung fand, wurde durch die Nazis und den Zweiten Weltkrieg unterbrochen und zerstört. Willy Fleckhaus wurde 1925 im niederbergischen Velbert geboren und war bei Kriegsende gerade 20 Jahre alt. Er ließ sich zum Journalisten ausbilden, arbeitete als Redakteur beim Magazin Fährmann und dem gewerkschaftlichen Jugendmagazin Aufwärts. Ab 1953 übernahm er dessen grafische Gestaltung. 1959 machte er sich als Grafiker selbstständig und gründete mit Adolf Theobald und Stephan Wolf in Köln das Jugendmagazin twen.
In den kommenden Jahren ließ er keinen Stein auf dem anderen und kombinierte die sachliche Coolness der Schweizer Grafik mit der Lässigkeit des amerikanischen Editorial Designs und prägte das Land visuell nachhaltig. Man muss im Rückblick immer den Alltag und gesellschaftlichen Mief mitdenken. Als Fleckhaus zu arbeiten begann, wurden Zeitschriften und Magazine von »Umbruchredakteuren« oder »Einrichtern« gestaltet. Erst Fleckhaus hat den Begriff des »Art Director« aus den USA importiert und hier etabliert – als ganzheitlich Verantwortlichen für die grafische Gestaltung. Dabei war Fleckhaus keiner der späteren Paradiesvögel dieses Berufsstandes, die bei der Inszenierung erst mal bei sich selbst anfangen. Sein Image entwickelte sich durch seine Arbeiten. Schon in den ersten Aufwärts-Covern erkennt man, wohin die Reise zukünftig gehen wird. Typografisch reduzierte Cover, freigestellte Fotos, harte Anschnitte.
twen sorgte 1959 dann für den ganz großen Aufschlag. Während von der Bravo noch ordentlich onduliert und technicolorfarben Lilo Pulver, Peter Kraus und Freddy Quinn lächelten, krachte twen mit pechschwarz hinterlegten Covern, ausgeschnittenen Damenköpfen, weiß auf schwarz gestellter Schrift und rätselhaft-knackigen Teasertexten dazwischen. Statt langen Themenankündigungen stand dort schlicht und schön: »Ich sehe nette Mädchen gern«, »Rauschgift und Jazz« oder »Der Kölner Karneval ist doof«. Das Layout im Innern war ähnlich revolutionär – seitenfüllende Schwarzweiß-Fotos, oft über den Bund hinaus gedruckt, exzentrische Bildanschnitte, kombiniert mit Überschriften in schmal-fetten Versalien. In den 1960ern wurden die Fotos farbig, Reportagen über Abtreibung, die Kunst, keinen BH zu tragen, und ein Porträt Uschi Obermaiers machten das Blatt zur Trendbibel. Fleckhaus war sich sicher: »Eine Zeitschrift ist etwas Dreidimensionales, eine Zeitschrift ist nicht Höhe mal Breite, sie ist mehr, sie ist ein Erlebnis. Und das sollten wir eigentlich verstehen, wenn wir Typografie machen, dass dies nicht Buchstaben sind, das dies nicht fette und magere Futura ist, dass wir eigentlich unsere Menschen erfreuen, belehren, unterhalten wollen, was immer es sein mag. Sonst nichts.«
Eine ähnliche Ästhetik wie bei twen wandte Fleckhaus 1980 bei der Konzeption des Frankfurter Allgemeine Magazins an. Für das wöchentliche Supplement in der bürgerlichen Bleiwüste der FAZ kombinierte er den schwarzen Fond des Covers mit dem traditionellen Fraktur-Schriftzug und außergewöhnlichen Bildmotiven und erzeugte damit internationale Aufmerksamkeit. Bald war in Designkreisen vom »schönsten Magazin der Welt« die Rede, Fleckhaus wurde endgültig zum Grafikgott ausgerufen. Wie bei jedem guten Gestalter wurde sein Stil von Jüngern ausgiebig kopiert und zitiert. Fleckhaus selbst prägte als Dozent etliche Jahrgänge von Designstudenten, an der Folkwanghochschule in Essen, ab 1980 an der Bergischen Universität Wuppertal, wo er bis zu seinem Tod als Professor für Typografie tätig war.
Lange her ist das, in der schnelllebigen Branche eine halbe Ewigkeit. twen wurde ebenso wie die von Fleckhaus seinerzeit überarbeitete Illustrierte Quick eingestellt, auch das FAZ Magazin gibt es nicht mehr in der alten Form. Und die Autos mit dem »Ein Herz für Kinder«-Aufkleber, der auch von ihm stammt, werden ebenfalls immer weniger. Die Bücher von Suhrkamp muss man heute in den Regalen etwas genauer suchen. Fleckhaus’ konsequente Gestaltungslinien sorgten für Orientierung im Bücherregal. Nicht nur bei der regenbogenfarbenen »edition suhrkamp«, auch bei den entspannt-bunten Taschenbüchern, den hell strahlenden Bänden der »Bibliothek Suhrkamp« mit farbiger Banderole, der schwarzen Wissenschaftsreihe und den extravaganten Einzeltiteln, die so schön sind, dass man sie sich als Kunstdruck an die Wand hängen möchte. Durch die Jahre hat Suhrkamp Fleckhaus’ Design, mit einigen Ausnahmen, immer weiter verwässert. In den heutigen Buchkaufhäusern mit Spielzeugabteilung, Non-Book-Ramsch und angeschlossener Literaturabteilung gelten andere Gesetze. Dass Suhrkamp nun leere Notizbücher im Fleckhaus-Stil verkauft, ist nur logisch.
Fleckhaus starb 1983 im italienischen Castelfranco di Sopra an einem Herzinfarkt. Sein Freund Wolf D. Rogosky schrieb 1997 im Rückblick: »Lieber Willy-im-Himmel, hier unten sieht es schlecht aus, seit Du weg bist. Die Typografie ist verlottert, die Zeitschriften sind atomisiert, die Bücher kommen jetzt auf Palette, und mit dem Personal Computer machen heute Millionen Design-Ferkel Design. Stil ist ein Ex-und-hopp-Artikel, die Halbwertzeit eines Fotos beträgt gerade noch 1 Tag, die einer Mode nicht mal mehr 1 Saison. (…) Nichts (oder nur Nostalgisches) dagegen einzuwenden, dass sich das Tempo ändert, mit dem wir sehen. Aber warum muss die Qualität der Darbietung denn vom Niedrigsten und Gemeinsten sein und uns alle schleichend immer niedriger und gemeiner machen?« Das klingt resignativ-schmollend, endet aber optimistisch mit einem P.S.: »Deine Regenbogenreihe steht immer noch; sie ist inzwischen so groß geworden, dass Du sie wahrscheinlich von da oben sehen kannst.«
»Willy Fleckhaus – Design, Revolte, Regenbogen«, Bis 11. Dezember 2016, makk / Museum für Angewandte Kunst Köln, Tel. 0221/ 221 238 60