// Wände aus Glas, leere Räume voller Licht. Der Blick durch die breite Fensterfläche fällt über grüne Auen hinweg direkt auf den Rhein. Nach hinten hindern weiße, vom Wind bewegte Vorhänge die Aussicht, nur Vogelgezwitscher dringt hindurch. Das schlicht-elegante Ambiente passt. Die kühle, klare 60er-Jahre-Architektur ihrer Wohnung im ruhigen Süden von Köln scheint wie gemacht für die Künstlerin.
Still, überlegt, ungeschminkt – so wirkt Candida Höfer nach außen. Sie selbst umschrieb ihre wichtigsten Eigenschaften einmal mit »Beharrlichkeit und Geduld«. Von all dem ist etwas zu spüren in den gestochen scharfen, perfekt komponierten Bildern der Fotografin – Bildern unbewegter, unbelebter Innenräume. Jene menschenleeren Museen, Bibliotheken, Archive, Opernhäuser, mit denen die Tochter des 1997 verstorbenen Journalisten und Moderators Werner Höfer sich in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Namen als Fotografin machen konnte.
Inzwischen hat man Platz genommen. Auf zwei der vielen Stühle am Ende eines langen weißen Tisches. Hat sie schon einmal im eigenen Haus fotografiert? Die Frage drängt sich auf, doch Candida Höfer winkt lächelnd ab. Sie will es nicht verraten und bremst auch gleich die im Raum umherschweifenden Blicke ihrer Besucherin ab – sie möchte nicht zu viel Privates veröffentlicht sehen.
Anlass für das Treffen ist Höfers großer Solo-Auftritt im Museum Morsbroich. Und die freundliche, aber eben auch öffentlichkeitsscheue Fotografin lässt immer wieder durchblicken, dass sie nicht über viel mehr sprechen möchte als über eben diese Ausstellung.
Unter dem schicken Titel »Projects: Done« werden 14 Werkgruppen aus 40 Schaffensjahren in den schönen Räumen des barocken Wasserschlosses bei Leverkusen versammelt werden. Das klingt nach einer Retrospektive, soll aber keine sein. Denn die Künstlerin und auch die Kuratorin Doreen Mende erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wollen nichts Abgeschlossenes präsentieren, sondern ihrer Schau lieber den Anstrich von Offenheit geben. Trotzdem: Die Auswahl mit Arbeiten aus allen Phasen des Höferschen Schaffens wirkt durchaus repräsentativ und auch retrospektiv.
Sie zeigt Bildbeispiele aus Straßen und Häusern in Liverpool, wo Candida Höfer 1968 fotografierte – lange bevor sie ihr Studium beim Ehepaar Becher an der Düsseldorfer Akademie aufnahm. Aus den 70ern stammen die Fotos von Flipperautomaten. Weil aus dem geplanten thematischen Buch nichts geworden war, schlummerte diese in mancher Hinsicht wegweisende Werkgruppe bis vor kurzem in der Kiste. Die Ausstellung holt sie nun erstmals hervor. Rund 50 Bilder sind in einer Tischvitrine zur Collage arrangiert, die sich wie eine Reiseroute lesen lässt: Köln, Brüssel, London, Paris.
Höfer ist, so scheint es, ständig unterwegs. Die Schau begleitet sie auf ihren fotografischen Wegen durch zoologische Gärten, durch Ausstellungshäuser, Akademien und Institute in aller Welt. Und immer mehr verdichtet sich dabei der Eindruck, dass diese Aufnahmen kaum als Dokumente der Wirklichkeit funktionieren. Sie haben nichts Schnelles, Vorübergehendes. Sie registrieren nicht bloß, sondern sind ganz und gar auf Dauerhaftigkeit angelegt.
Höfer möchte, dass ihre Fotos Erzählungen enthalten und Erzählungen aufnehmen können. »Ich will sie für die Geschichten von Leuten öffnen, die mit ihren Augen durch diese Bilder wandern; ich will, dass diese Bilder offen sind für Entdeckungen und dass sie Leute einladen, Zeit in ihnen zu verbringen.« Das gelingt.
Wo sie zuletzt fotografiert hat? Höfer überlegt nur kurz, bevor sie aufgibt: »Ich weiß es nicht mehr – das ist schon so lange her.« Ob sie das ernst meint? Ihr verschmitztes Lächeln spricht eher für vorgeschobene Vergesslichkeit. An anderer Stelle gab sie sich denn auch auskunftsfreudiger und erzählte von einer längeren, organisatorisch nicht ganz einfachen Arbeit in Florenz. Und vor einigen Wochen erst sah man sie in den noch leeren Räumen des »Neuen Museum« in Berlin fotografieren.
Die Chronologie der Leverkusener Schau indes endet 2008 mit Aufnahmen aus dem Spiegelsaal im Museumsschloss Morsbroich. Damals nahm die Fotografin erstmals engere Beziehung auf zu diesem Haus. Zu den Räumen, die nun ihrerseits ihre Arbeiten aufnehmen und den Rhythmus der Präsentation vorgeben.
Gleich zum Auftakt ist da eine der aktuellsten Arbeiten in Szene gesetzt: Vom 4. Mai 2004 bis zum 17. Juni 2007 war Höfer unterwegs, um in Privatsammlungen zwischen Köln und Yokohama die berühmten Datumsbilder von On Kawara ins Visier zu nehmen. Wie schon bei den Flipper-Fotos zog sie also auch diesmal los, um Räume zu sammeln. In mondänen Salons und spartanischen Appartements sind dabei eigenartige Aufnahmen entstanden, die, obwohl sie niemals Menschen zeigen, viel erzählen von den Abwesenden.
Die Ausstellung rafft diese Weltreise auf den Spuren des konzeptuellen Künstlerkollegen aus Japan in einer Auswahl aus rund 150 Bildern. Immer schön der Reihe nach macht sie zeitliche Abläufe nachvollziehbar – von Zeit, die verstreicht, handelt ja auch On Kawara, wenn er in weißer Acrylfarbe das aktuelle Datum auf den dunkel grundierten Bildträger seiner »Date Paintings« bringt. Für Candida Höfer sind die gereihten Fotos in der Ausstellung aber noch ein wenig mehr – sie vergleicht die Präsentation mit aneinander gelegten persönlichen Erlebnissen. »Erfahrungen, die ich während der Projektarbeit machen durfte, mit den Menschen, die mich in ihre Räume gelassen haben.«
Zu beiden Seiten des zentralen On-Kawara-Saals führt die Schau weit zurück zum hoffnungsvollen Karrierestart der Fotografin Candida Höfer Mitte der 70er Jahre. »Türken in Deutschland«, so das einfache Motto jener gründlichen Erkundungen im schon vertrauten, aber zugleich immer noch fremden Milieu. Fünf Jahre lang hatten sich die Arbeiten hingezogen. Fünf Jahre, während derer die junge Künstlerin das Lebensumfeld türkischer Gastarbeiter erforschte. Mit dem Ergebnis bewarb sie sich an der Akademie in Düsseldorf und hatte Erfolg.
Höfer zeigte Türken in Cafés beisammen sitzen, sie ließ ihre Familien im Wohnzimmer posieren und erfreute sich in türkischen Läden an ordentlich aufgehängten Würsten oder kunstvoll gestapelten Konserven. Schon in diesen Bildern vermeidet sie das Momentane, auch hier wirkt bereits alles inszeniert. Und zugleich distanziert, als wolle sie ihren Modellen nicht zu nahe rücken.
Für die Fotografin fällt das Türken-Projekt in eine Zeit des Umbruchs. Welche Richtung würde sie einschlagen mit ihrer Arbeit? Endgültig sollte sich das erst an der Akademie in der Becher-Klasse klären. Auch hier fand sie ihren eigenen Weg. Unter dem Einfluss des Fotografenpaars, das für viele ihrer später zu Stars aufgestiegenen Kommilitonen so prägend war – für Thomas Ruff etwa oder für Thomas Struth, die ungefähr zur gleichen Zeit wie Candida Höfer bei den Bechers in die Schule gingen
Für Höfer führte der Weg nun weg vom Individuum hin zum Raum, der Spuren individueller Nutzung trägt. »Ich habe einfach festgestellt, dass Fotos mit Menschen nicht meine Sache sind«, sagt sie heute. Und man gewinnt leicht den Eindruck, dass bei dieser Erkenntnis auch eine Art Scheu im Spiel gewesen ist – Vorbehalte, man könnte dem anderen zu nahe kommen. Seit dem Studium fotografiert Höfer fast immer in menschenleeren Innenräumen, die nurmehr mittelbar von Menschen erzählen – von solchen, die dort waren oder anderen, die dort sein werden.
Bei ihrer Auswahl solcher Orte folge sie keinen eigenen Regeln. »Ich tue, was wohl jeder tun würde«, sagt sie. »Wenn ich verreise, beschäftige ich mich mit der Stadt. Ich schaue mir Bücher an, spreche mit Leuten, die sich dort auskennen.« Gelegentlich recherchiere sie auch im Internet.
Danach geht die Arbeit richtig los: »Organisation«, für Höfer ist es ein Schlüsselwort für ihre Art des Bildermachens. Nicht zuletzt, weil sie Räume am liebsten ohne Menschen zeigt. In der Regel müsse sie zu besonderen Zeiten, frühmorgens oder am späteren Abend arbeiten. Und meistens stehe sie dabei erheblich unter Zeitdruck.
So etwas wie Vorfreude schwingt mit, wenn sie strahlend von den allerneuesten Plänen spricht. In die Zukunft schaut sie offenbar lieber als auf zurückliegende Arbeiten. In ein paar Tagen schon will Höfer aufbrechen nach Neapel. Was sie dort fotografieren wird, bleibt allerdings vorerst ein Geheimnis – versteht sich.
Sie hält sich bedeckt. Auch auf die abschließende Frage nach bevorzugten Orten. Gibt es nicht vielleicht doch Räume, in denen sie rückblickend besonders gern gearbeitet hat? Eigentlich, so die Antwort, »sind es fast immer jene Orte, an denen ich zuletzt fotografiert habe. Doch wo genau es war? Das habe ich meistens vergessen«. //
Museum Morsbroich, Leverkusen. 15. Mai bis 2. August 2009. Tel.: 0214/855560. www.museum-morsbroich.de