TEXT: REGINE MÜLLER
Der Skandal »La Traviata« bestand einst darin, dass Giuseppe Verdi eine Kurtisane als leidende Heldin ernst nahm und der Gesellschaft als Zeitgenossin nahe brachte. Dies und der Reiz des Halbseidenen sind wohl Ursache dessen, dass aus seiner beliebtesten Oper zumeist opulentes Ausstattungstheater wird. In Bonn ist die Bühne (Frank Philipp Schlößmann) indes radikal leer. Der durch ein eisiges Rautenmuster strukturierte spiegelglatte Boden eröffnet einen Rundprospekt ohne Perspektive. Ein ort- und zeitloser Raum ohne Plüsch.
Doch die raschelnden Krinolinen der Kostüme (Gabriele Jaenecke) holen selbst bei konsequenter Schwarz-Weiß-Abstraktion die Opulenz wieder herein. Auch der Kitsch-Faktor addiert sich in einem Moment unfreiwilliger Komik (oder sollte es Ironie sein?) hinzu: Wenn Violetta in der großen Szene »Sempre libera« ihren inneren Disput zwischen Lotterleben und Liebe austrägt und Alfredo sich aus dem Off das Herz aus dem Leib singt, entsprießen Blumen dem Boden. Ihr Blühen deutet dann auch das Landleben an, durch das Violetta zunächst weiterhin im Ballkleid lustwandelt.
Regisseur Andreas Homoki lässt die Akte ineinander übergehen, was der Straffung dient, allerdings auch manches verschenkt. Denn Verdis Drama lebt doch von den Kontrasten zwischen mondänem Nachtleben, bukolischer Stille und der grauen Kälte eines Pariser Wintermorgens, an dem die Heldin ihr Leben aushaucht. Die Verweigerung von Kolorit wäre tolerabel, hätte die Inszenierung mehr zu den Personen zu sagen. Die erzählen indes nur die alte Geschichte, wenngleich edel reduziert, unsentimental und moralfrei und vor allem: geschmackvoll. Mag auch Aris Argiris Sängerleistung als Vater Germont überragend sein, die Titelrolle (Irina Oknina) ist wohl optisch perfekt besetzt, bleibt aber stimmlich blass; und Timothy Simpsons Alfredo stemmt nur mit größter Mühe seine Partie. Erich Wächters Dirigat liefert passend zur Regie eine gediegene, wohltönende Begleitung. Glattes, folgenloses Musiktheater.