TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Mit Souvenirs aus dem Ruhrgebiet verhält es sich wie mit Weihnachtsplätzchen im September. Braucht eigentlich kein Mensch. Eigentlich, denn am Ende haben wir doch wieder eine Packung Dominosteine im Einkaufswagen liegen. Oder eben ein »Pottstück«, Seife in Brikettform, die momentan an den einschlägigen Tourismus-Punkten im Revier erhältlich ist.
Schon lange vor dem Kulturhauptstadtjahr tauchten erste Souvenirs an Touristeninformationen, in Museumsshops und Buchläden auf. Was die Andenkenbüdchen in Berlin, München oder Köln können, hat das Ruhrgebiet nun auch drauf. Und wer sich die Miniaturausgaben des Brandenburger Tors oder der großen Kölner Kirche in die heimische Schrankwand stellt, der möchte auch das Fördertürmchen der Zeche Zollverein haben. Ist schließlich Weltkulturerbe.
Deswegen läuft der Einheimische in diesem Jahr beim Betreten von Buchhandlungen erstmal gegen einen Tisch, auf dem sich Ruhrgebietsdevotionalien türmen. »Woanders is auch scheisse!« dröhnt es einem entgegen – der Spruch sollte anfangs eigentlich nur für das neue Druckwerk des Bochumer Heimatdichters Frank Goosen werben, hat sich mittlerweile aber verselbstständigt und ziert Postkarten, Schlüsselanhänger und T-Shirts, die in blau-weiß und mit einem Autobahnschild versehen, merkwürdig unentschlossen zwischen Schalke-Kutte, VfL-Leibchen und Goosen-Fan-Shirt irrlichtern, aber bereits vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf der A40, beim Ruhr.2010-Volksfest, getragen wurden. Ganz aktuell gibt es Kunststoffrahmen für Kfz-Nummernschilder – an der Stelle, wo man sonst das Logo des Autohauses Schmitz findet, leuchtet, nicht nur für den Autofahrer mit dem Kennzeichen »EN«, die Einsicht Goosens: »Woanders is auch scheisse.«
Auch Ruhr.2010 drängte es auf den lukrativen Markt. Im Vorfeld hatte sie bereits zwei Logos entwerfen lassen; einmal das offizielle und mittlerweile allgegenwärtige Signet mit der kunterbunten Matrix in Form des Reviers, und einmal die schlichtere Typo-Version für die breite Be-völkerung, die so ihre Unterstützung für das Projekt zeigen konnte. Hintergedanke war, den Merchandise-Markt unter Kontrolle zu haben und so zu verhindern, dass billige Souvenirs unter der Fahne der Kulturhauptstadt das Revier überschwemmen. Dafür ist nun eine offizielle Kollektion unter dem Slogan »Schickobello« erhältlich – interessanterweise verzichten die Umhängetaschen und T-Shirts auf gängige und naheliegende Symbole wie Förderturm oder Dortmunder U, sondern sind mit grafischen Mustern und Zahlen bedruckt, die in ihrem abblätternden Vintage-Stil schwer nach 90er Jahre aussehen und wirken, als wären sie bei C&A vom Wühltisch für Berufsjugendliche gefallen. Ansonsten beglückt Ruhr.2010 das touristische Herz mit der üblichen Produktpalette, meist bedruckt mit dem Logo oder dessen Farben: Kaffeebecher, Umhängetaschen, Kugelschreiber mit dem Aufdruck »Ich schreibe Kulturgeschichte«, Radiergummis mit dem putzigen Namen «Ratzefummel« oder farbig bedruckte Taschentücher. Biederer Event-Krimskrams, der nett aussieht, aber auch keinem durch Bedeutung oder Exklusivität wehtut.
Schlimmer geht’s immer, das spüren auch die Kunden von Bahnhofskiosken, in denen sie visuell mit den Postkartenständern von »Industriekult« belästigt werden. Die sogenannten »Kumpel-Karten« wollen wahrscheinlich die Mentalität des typischen Ruhries in die Welt tragen. Aber was sollen einem Amerikaner Karten sagen, die einen folkloristisch angedreckten Bergmann zeigen, der neben einer Waschmaschine posiert, verbunden mit dem Spruch »Herzlichen Glückwunsch! Ein Alter, dat sich gewaschen hat!«? Dass hier doch noch alle »vor Kohle« liegen und sprechen wie Herbert Knebel? Da kann man lange suchen, die Zechen sind längst gefegt. Aber die Bergmänner ziehen sich immer noch als Fotomotiv durch diese kumpeligen Karten, kombiniert mit Sprüchen und Kalauern in farbigem Ruhrdialekt.
Auch andere vermarkten das Motiv Bergmann äußerst erfolgreich. So ziert der »Grubenmann« des gleichnamigen Labels – schlicht, silhouettenhaft und fast ein wenig lieblos gezeichnet – T-Shirts und Kaffeepötte. Die Macher sehen die Figur als »alternatives Markenzeichen für das Ruhrgebiet« – schließlich kann man nicht immer den Förderturm abbilden. Halten sich aber nicht alle dran. Ein Kölner Unternehmen hat mit der »Ruhr Edition« Produkte auf den Markt geworfen, die mit aller Kraft auf Ruhrgebiet ge-trimmt wurden. Ein Förderturm krönt die Edelstahl-Buchstütze ebenso wie den klobigen Flaschenöffner »Glück-Auf«. Als ob das nicht schon redundant genug wäre, gibt es mit »Zechen-Gold« eine Ausstechform für Kekse, um die in Förderturmform zu bringen. Das Förmchen ist in einem billigen Zellophantütchen verpackt, hinterlegt mit einer bunten Pappe. Besonders dürftig wirkt »Zechen-Gold« neben dem gefühlten Original, dem Zechenturmförmchen aus der Reihe »Lieblingsplätzchen« der Designmanufaktur »Ruhrperle« aus Hattingen. Die hatten schon vor einigen Jahren die Idee, den Lokalpatriotismus in Keksform zu gießen, hübsch verpackt und in weiteren Varianten wie dem Dortmunder U erhältlich.
Überhaupt ist nicht alles Kitsch, was sich auf den Souvenir-tischen findet. Das Dortmunder Modelabel »Zechenkind« verkauft mit großem Erfolg eine Kollektion aus Taschen, Laptophüllen, Handytaschen und Schlüsselbändern, die aus recycelter und gereinigter Bergmannskleidung hergestellt werden – handgefertigt im Ruhrgebiet. »Reviersouvenir« aus Essen fordert neues Selbstbewusstsein für die Region und will mit seinen Produkten »endlich auf den grauen Putz hauen«. Ihre Devise: »Keine Angst vor Klischees«. Also eine negative Affirmation, die hervorragend funktioniert. Diese Ruhrsouvenirs wildern in andenkenfernen Medien, das x-te Schlüsselband oder bunte Kugelschreiber sucht man indes vergebens. Stattdessen gibt es »Zechen Stechen«, ein Quartett der Ruhrbergwerke. Statt mit Autos kann man, wie damals auf dem Schulhof, mit Bergwerken auf dicke Hose machen. Des weiteren im Programm sind das Rezeptbuch »Kochpott«, das kohlenstaubschwarze (!) Badesalz »Grubengold« oder, ebenso schwarz, das »Püttstück«, Seife in Brikettform, hübsch verpackt in Seidenpapier und karger Graupappe.
Es ist also durchaus möglich, seinen Lieben ein Souvenir mitzubringen, für das man sich nicht zu schämen braucht. Denjenigen, die auf gutgemachten Kitsch nicht verzichten wollen, sei die Zeche Pluto von »Ruhrglück« (ebenfalls aus Essen) ans Herz gelegt. Eine kleine Kunststoffminiatur, ähnlich denen, die man in Schneekugeln findet. Förderturm, Förderhaus, behängt mit güldenen, gekreuzten Bergmannshämmern. Auf dem kleinen Kohlesockel blühen die Landschaften mit gelben Blumen, dazu eine Banderole mit dem obligatorischen »Glückauf«, flankiert von zwei empor fliegenden Tauben. Dieses Teil ist fantastischer Kitsch, der das Ruhrgebiet weit mehr repräsentiert als man denkt. Die Wurzeln sind allgegenwärtig. Andere stellen ihre Tradition ja auch dauernd zu Schau – siehe Bayern. Deswegen ist an Goosens Spruch »Woanders is auch scheisse« viel dran. Man muss ihn ja nicht gleich unter sein Autokennzeichen kleben.