TEXT: ANDREAS WILINK
Der Brasilianer Walter Salles ist abonniert auf Roadmovies, seit er mit »Central Station« (1998 Gewinner des Goldenen Bären) den kleinen Josué und die alte Dora auf eine von komplizierten Gefühlen begleitete Suche schickte; und seit er »Die Reise des jungen Che« nachverfolgte, die den Medizinstudenten Ernesto Guevera zum Sozialrevolutionär werden ließ. Auch in «On the Road» sind die Figuren unterwegs – zwischen Denver, New York und San Francisco, auf der Spur der amerikanischen Pioniere. Gen Westen, nicht mehr zu Pferde, sondern per Anhalter, im Bus oder Auto. Unendliche Weiten, geografisch und mental. Denn der Horizont öffnet sich vor allem durch Drogen, Alkohol, Sex, Musik während all der ziel- und richtungslosen lazy days, die der werdende Schriftsteller Sal Paradise (Sam Riley) mit dem rebellischen, bisexuellen Ex-Sträfling Dean Moriarty (Garrett Hedlund), dessen erster Frau Marylou (Kristen Stewart) und ihrer Nachfolgerin Camille (Kirsten Dunst) verbringt.
Jack Kerouac soll der Legende gemäß seinen Roman, die Heilige Schrift der Beatnik-Generation, in einem Rutsch an der Schreibmaschine zu Papier gebracht haben. Um den Schreibfluss nicht zu bremsen, habe er keine einzelnen Seiten eingespannt, sondern eine 30 Meter lange Rolle aus aneinandergeklebten Bögen benutzt. Die Anekdote ist filmreif – Salles lässt sie sich nicht entgehen. Allerdings, die Atemlosigkeit, das Berauschende, die formale Enthemmung, das scheinbar Unkontrollierte gibt es auf der Leinwand nicht, auch wenn sich die Darsteller mächtig einfühlen. Vielleicht wäre Francis Ford Coppola der bessere Mann gewesen, er hatte sich die Rechte gesichert, aber den Stoff nicht angepackt. Das Ergebnis gibt ihm Recht.
Vielleicht liegt es daran, dass sich der Look der Freiheit visuell abgenutzt hat, dass Ideale der Ent-Normierung zu Mainstream geworden sind und die Werbung all diese Bildflächen belegt hat. »On the Road« hätte ganz andere Stimmungen und Bilder gebraucht als die eines zu Tode fotografierten Amerika der Jahre um 1950 mit nostalgischen Autokotflügeln und schmalen Schlipsen, mit wogendem Korn, Baumwollfeldern, Südstaatenvillen, Winterstarre und Sonnenglut. Auch einen anderen Kunstgriff als den, Texte des Buches mit einer Erzählerstimme einfach so über die Geschichte zu legen. Es müsste synkopischer sein, brennender, nervöser, schmutziger und rauer. Die schicken Jazz-Hotlines in den verrauchten Clubs bringen es da auch nicht.
»On the Road«; Regie: Walter Salles; Darsteller: Sam Riley, Garrett Hedlund, Kristen Stewart, Kirsten Dunst, Steve Buscemi, Viggo Mortensen; USA/F/GB 2012, 140 Min.; Start: 4. Oktober 2012.