// Der Staat ist noch nicht fertig oder schon renovierungsbedürftig und hat Umbau nötig. Die Bühne (Herbert Murauer): zur Hälfte eine einge-rüstete Baustelle, während der Repräsentations-Rahmen mit wenigen Stilmöbeln, einem Hubpodium und prächtigen Kronleuchtern aufwartet. An der Rampe reihen sich 18 Personen zur Ouvertüre von Mozarts, 1772 entstandenem, fulminantem Jugendwerk »Lucio Silla«, einem Räsonnement über Gewalt und Gnade im antiken Gewand. Ein Wispern geht von Mund zu Mund: Etwas ist faul im Staate Rom. Es gilt, die res publica zu verteidigen, nachdem sich der Konsul Lucio Silla (Sulla) ermächtigt und sein System brutal etabliert hat.
Die Choreografie der Auftritte und Abgänge zeigt, dass die Republik eine Sache der Vielen ist, Transparenz, Offenheit und Öffentlichkeit aber auch nur eine täuschend schöne Behauptung, die sich in einem Dutzend schmucker Senatoren-Jünglinge erfüllt. Wie Models einer Boss-Kampagne posieren sie – Zeugen, Lauscher oder hingestreckte Opfer. Christoph Loys Inszenierung, eine Koproduktion zwischen der Königlichen Oper Kopenhagen und der Rheinoper, ist ein in Schwarz-Weiß gehaltenes Planspiel von kalkuliert makelloser Eleganz und während der dreistündigen Seria-Spieldauer geradezu überformatiert und von grafisch abstrakter Statuarik und Strenge. Die schließlich in dramatischer Ermüdung etwas abschlaffende Konzept-Starre jedoch macht, dass Empfindungen, Regungen und Erregungen seltsam befremdlich und Aktionen mit fuchtelnden Messern, einem Nesteln an der Gürtelschnalle (als Hinweis auf Vergewaltigung) oder tüchtiges Ärmel-Aufkrempeln unpassend scheinen.
Silla will mit aller Macht Giunia, Tochter des vom ihm getöteten Erzfeindes Marius, für sich gewinnen, die indes den vom Diktator verbannten Cecilio liebt. Zugleich plant Silla, seine Schwester Celia mit seinem Vertrauten Cinna zu vermählen. So kultiviert das Libretto (Giovanni di Gamerra) ein emotionales Spannungsfeld divergierender Antriebskräfte von Furcht und Hoffen, Zorn und Rache, Liebeswillen und Leidensgewissheit, wobei in Loys Deutung der mit Kerzenschein illuminierte Triumph des Todes über ein amor vincit omnia zu obsiegen scheint.
Drei erstrangige stimmliche Sensationen bietet die von Andreas Stoehr und den Düsseldorfer Symphonikern ingeniös geschmeidig, mit Aplomb musizierte Aufführung: den schneidend klaren Mezzo von Kerstin Avemo als Cinna; die flammende Emphase im technisch perfekten Koloraturen-Delirium der Simone Kermes als Giunia; sowie Furor und Fatum im Ausdruck der Mariselle Martinez als Cecilio, worin schon Mozarts Donna Elvira an-klingt, wie auch eine grandios durchkomponierte Begegnung am Grabmal des Marius bereits in die Friedhofsszene des »Don Giovanni« vorgreift.
Die Skepsis in Herrschaftspraxis im Allgemeinen und in die clementia des Lucio Silla im Besonderen, dessen tyrannischen Charakter Bruce Rankin verkörpert, als trüge er aufgesteift einen zu großen Anzug, mündet zum Finale in einen demonstrativen Akt der Verweigerung: Entzauberung des glücklichen Ausgangs. Der Jubelchor wird vom Band eingeschaltet, die wieder aufgereihten Freund-Feinde wenden sich und gehen einer nach dem anderen ab, bis der abgedankte Diktator wie ein Mahnmal seiner selbst stehen bleibt. Mit der Zeit mögen solche Relikte stürzen. // AWI