TEXT: MARTIN KUHNA
Ein künstlicher Hügel inmitten des abgeräumten Braunkohlefelds »Türnich II« bei Frechen im Rhein-Erft-Kreis wird im August für zwei Tage »Mittelpunkt der Welt« sein: So sieht es der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Von jenem Hügel aus wird nämlich Meisners neuer Chef, Papst Benedikt XVI., die größte Messe des »XX. Weltjugendtags« zelebrieren, mit mehreren hundert Bischöfen und Kardinälen aus aller Welt – und mit voraussichtlich einer Million jugendlicher Pilger. Ein »Mega-Event« kündigt routiniert-großsprecherisch die Marketing-Agentur des Weltjugendtages an. Ein solches Super-Ereignis muss organisiert sein: Dazu kooperieren seit Monaten so unterschiedliche Institutionen wie der Päpstlicher Rat für die Laien, ein »Operations/Risk Manager« und der Reisemarschall des Heiligen Stuhls. Die Fäden laufen zusammen in der Kölner Gereonstraße.
Gereon, der Kölner Stadtpatron – außerdem zuständig für Soldaten und Kopfschmerzen –, war zweifellos ein passender Namensgeber für diese Adresse. Allerdings liegt sie im Kölner Bankenviertel: ein nüchterner, weißer Zweckbau neben den historisierenden Palästen der Commerz- und der Deutschen Bank. Am Eingang des Hauses prangen die rätselhaften Buchstaben UBS sowie ein Logo aus drei gekreuzten, altmodisch-schnörkeligen Schlüsseln. Das im Besucher aufsteigende »Aha!« indes führt in die Irre: Der Papst hat nur zwei Schlüssel in seinem Wappen. UBS mit drei Schlüsseln ist eine Schweizer Privatbank. Das Weltjugendtagsbüro residiert in drei oberen Stockwerken des Gebäudes, zu erreichen über einen Nebeneingang.
Auch die Büroräume unterscheiden sich nicht von denen einer Behörde oder Sparkasse. Die Abteilungen heißen »Finanzen« oder »Kommunikation« oder »Call Center«, an den Schreibtischen sitzen Menschen zwischen Telefonen, Computerschirmen und Papierstapeln. Allerdings ist das Personal auffallend jung. Ist miteinander per Du und sagt statt »Tach« und »Maaalzeit!« gern »Grüß Gott!«, was in Köln entschieden weniger profan klingt als in München. Unter all den jungen Leuten fiele »der Uli« kaum auf, wäre da nicht an seinem schwarzen Kurzarm-Hemd jener Kragen, der den jugendlich wirkenden 43-Jährigen als Priester ausweist: Pfarrer Ulrich Hennes, einer von zwei Sekretären des Weltjugendtagsbüros, gerade zurückgekehrt aus Rom und München.
Etwa alle zwei Wochen fährt Hennes nach Rom: Der Papst und sein »Päpstlicher Rat für die Laien« sind Auftraggeber beim Projekt Weltjugendtag, »deshalb sind wir inhaltlich und organisatorisch rechenschaftspflichtig«. Im Vatikan werden die »Meilensteine« auf dem Weg zum Mega-Event geprüft und abgehakt, mit Reisemarschall und Zeremonienmeister gilt es, die Auftritte des Papstes abzustimmen. Für die Organisation am Ort haben Deutsche Bischofskonferenz und Erzbistum Köln das Weltjugendtagsbüro als gemeinnützige GmbH gegründet, mit zwei Pfarrern als Sekretären und einem erfahrenen Manager als Geschäftsführer. In dessen Verantwortung fällt alles, was in der Gereonstraße so weltlich wirkt: Finanzen, EDV, Logistik und eben auch »Operations/Risk Management«.
Im Weltjugendtagsbüro selbst arbeiten etwa 220 Menschen, davon 60 festangestellt. Die übrigen sind junge Leute, die den Job im Rahmen eines »freiwilligen sozialen Jahres« für ein Taschengeld und freies Logis erledigen. Für Bauarbeiten, Verkehrsplanung, Marketing hat sich das Büro Partner in der Wirtschaft gesucht. Natürlich wird mit den Behörden zusammengearbeitet, um den Ansturm der Hunderttausende zu bewältigen, und fürs Protokoll ist ein ministeriumserfahrener Fachmann zuständig. Im übrigen, so Ulrich Hennes, werde mit den kirchlichen Ressourcen gearbeitet. Und das sei ein entscheidender Grund gewesen, weshalb die Bischofskonferenz sich auf Köln als Austragungsort des Weltjugendtags – in Wahrheit sind es fünfeinhalb Tage – geeinigt habe: Es musste eine große Stadt mit entsprechender Infrastruktur sein, aber auch mit einer leistungsfähigen Diözese und einem großen katholischen Umfeld. Damit schied das protestantisch-agnostisch geprägte Berlin aus, aber auch München, wegen des allzu ländlichen Umfelds. Von 30.000 freiwilligen Helfern beim XX. Weltjugendtag kommen 13.000 aus dem Bistum Köln selbst.
Nun ist ja den Managern des Weltjugendtages, eventmäßig gesehen, das größte denkbare Unglück widerfahren: Ihnen ist der Top-Act abhanden gekommen: Papst Johannes Paul II., der die Weltjugendtage vor zwanzig Jahren erfunden hatte. Er war es, der auch und gerade als hinfälliger Greis junge Leute bezauberte und zu Hunderttausenden anzog. Johannes Paul schließlich hatte 2002 beim letzten Weltjugendtag in Toronto nach Köln eingeladen. Sein vielzitiertes Charisma, seine Wirkung auf junge Menschen waren so stark, dass das vom Papst gewählte Motto des Kölner Treffens geradezu einen Doppelklang bekam, obwohl es ein Bibelzitat ist und auf die Heiligen Drei Könige verweist, deren Gebeine im Kölner Dom verehrt werden: »Wir sind gekommen, um IHN anzubeten.« Nun ist also der Hauptakteur des Mega-Events gestorben, und an seine Stelle tritt ein anderer Papst, der seine Starqualitäten bei jugendlichem Publikum zumindest erst noch beweisen muss. Hat das die Vorbereitungen aus dem Tritt gebracht?
Man merkt Pfarrer Hennes an, daß ihm die Vergleiche zwischen dem Medienstar Johannes Paul und seinem Nachfolger Benedikt ein bisschen auf die Nerven gehen. Gewiss, die geladenen 16- bis 30-Jährigen seien eine »John-Paul-Generation«, wie es im Ausland heiße: Sie kennten keinen anderen Papst und seien von ihm als Vorbild, als Idol stark geprägt. Doch Hennes gibt sich überzeugt, dass sich zwar die Beliebtheit des alten Papstes nicht einfach auf den neuen übertragen werde, dass aber Benedikt XVI. eine solche Popularität auf seine Weise neu entwickeln werde. Der Sekretär möchte den Weltjugendtag auch nicht allein auf die Auftritte des Papstes reduziert sehen: »Die Begegnung mit dem Papst war bei den Weltjugendtagen immer dosiert, und auch diesmal sind es ja nur ein paar Stunden in fünf Tagen.« – »Ich bin sehr froh«, sagt Hennes, »dass Benedikt XVI. die Tradition der Weltjugendtage fortsetzen möchte.« Am Tag nach der Wahl des neuen Papstes, so Hennes, seien übrigens die Anmeldezahlen sprunghaft gestiegen. Nicht, weil Benedikt schon populärer wäre als sein Vorgänger, aber viele hätten wohl abgewartet, weil sie fürchteten, dass Johannes Paul zu krank sein und womöglich einen Legaten, einen Stellvertreter schicken würde. Woraus freilich folgt, dass ein Weltjugendtag ganz ohne Papst für viele eben doch kein richtiges Event wäre.
Event – selbst ohne den »Mega«-Zusatz ist Ulrich Hennes das Wort suspekt. Sicher seien die Weltjugendtage immer mehr zu einem Medienereignis geworden, sagt er und räumt auch ein, dass das Treffen in Köln eben deshalb vom turnusmäßigen 2004 ins Jahr 2005 verlegt wurde: weil sonst die Olympischen Spiele in Athen zu viel Aufmerksamkeit abgezogen hätten. Jetzt, im olympia- und WM-freien Jahr, wird mit 4000 Journalisten gerechnet. Im Übrigen aber sei der Weltjugendtag »viel mehr als ein Event«. Dass es beim Medieninteresse Grenzen gibt, zeigt die Überzeugung des Weltjugendtagbüros, Heiliger Vater und Großer Bruder passten nicht zusammen: Ein Angebot der »Big Brother«-Produktionsfirma, jugendliche Pilger in ihrem rammel-dösigen Kölner Containerdorf unterzubringen und eventuell in die Sendung einzubeziehen, lehnten die WJT-Organisatoren mit Hinweis auf das »menschenunwürdige Format« der Sendung ab. Man darf annehmen, dass die Entscheidung auch den Medienprofi Johannes Paul gefreut hätte.
Eine »sehr fromme« Veranstaltung nennt Pfarrer Hennes den Weltjugendtag – nicht im Sinne persönlicher Frömmigkeit, sondern im Sinne der Vision einer gerechteren, sozialeren, friedlicheren Welt, wie sie Johannes Paul entworfen habe. Insofern habe das Treffen neben einem religiös-spirituellen durchaus auch einen gesellschaftspolitischen Aspekt. Allerdings gehe es nicht darum, Jugendlichen mit etwas gesellschaftlichem Engagement und mit päpstlicher Prachtentfaltung bloß Elemente für eine »Patchwork-Spiritualität« zu liefern, die sich von allen Seiten das Angenehmste zusammensuche. Wesentliche Elemente des Kölner Treffens, so Hennes, machten deutlich, dass es um Ernsthaftes, um dezidiert Katholisches geht.
Da ist zum einen der Programmpunkt »Katechese« an drei Vormittagen. Katechese heißt so viel wie Religionsunterricht; allerdings sind die Stellen der Reli-Lehrer beim Kölner Treffen prominent besetzt: 250 Bischöfe werden an 250 verschiedenen Orten in 30 Sprachen jeweils 20 bis 30 Minuten über ein religiöses Thema sprechen, dann folgen Reflexion, Kommentare, Diskussionen. Am Ende der Katechese wird jedesmal eine Heilige Messe gefeiert. Den anderen inhaltlichen Schwerpunkt bilde die Liturgie – voran mit den Großgottesdiensten, »die allerdings von der Organisation her etwas Grenzwertiges haben«: drei Eröffnungsgottesdienste in Köln (RheinEnergie-Stadion; Kardinal Meisner) Bonn (Hofgartenwiese; Bischof Bode) und Düsseldorf (LTU-Arena; Kardinal Lehmann), Vigil (nächtliches Gebet) und Abschlussmesse mit dem Papst am Samstag und Sonntag, auf dem nun »Marienfeld« getauften Frechener Tagebau-Areal. Diese Messen seien »gemeinsame Feiern des Glaubens, zusammen mit dem obersten Hirten«, sagt Hennes, »und Erfahrung des Phänomens Weltkirche.«
Auch Beichten, für Außenstehende eine eher befremdliche katholische Praxis, stehen ausdrücklich im Programm und sind in Hennes’ Augen ein wichtiges Element. Und was sollen junge Leute da beichten? Zum Beispiel, dass sie ihre eben erwachte Sexualität praktiziert und dabei vernünftigerweise Kondome benutzt haben, die aber auch der neue Papst verdammt hat – sogar gerade mit Blick auf’s aidsverseuchte Afrika? Bietet der Weltjugendtag ein geschlossenes System aus gnadenlosen Verboten hier und dem passenden Ventil der Beichte da? Pfarrer Hennes, im Hauptberuf seit neun Jahren Diözesan-Jugendseelsorger in Köln, möchte seinen hohen und höchsten Vorgesetzten sichtlich nicht widersprechen. »Man muss da gar nicht über Kondome reden«, sagt er. Es gehe vielmehr darum, wie man sich seiner Umwelt, seinen Mitmenschen gegenüber verhält. Ob man die Zehn Gebote respektiert, wie man es hält mit der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Junge Menschen hätten ein Gespür für Recht, Unrecht und Schuld, sagt der Seelsorger – die Frage sei, wie man damit umgehe. Die Beichte mit ihrer christlichen Botschaft der Vergebung sei eine theologisch und psychologisch wichtige Antwort.
Fünfeinhalb Sommertage lang wird Köln mitsamt seinem Umfeld so katholisch sein wie wohl seit Jahrhunderten nicht mehr: vom Abend des 16. bis Abend des zum 21. August. Es beginnt mit Marienfeiern in den Gemeinden der Diözese und endet auf jenem »Marienfeld« – mit dem gigantischen Gottesdienst im ehemaligen Frechener Braunkohle-Tagebau. Dazwischen: »Geistliches Zentrum«, drei Eröffnungsgottesdienste, ökumenische Gottesdienste, Willkommensfeier mit dem Papst, Kreuzweg, Vigil. Alle Kirchen der Diözese Köln sind Tag und Nacht geöffnet, und mit einer kompliziert organisierten »Wallfahrt« sollen möglichst alle Besucher Gelegenheit haben, den Dom und den Dreikönigsschrein zu sehen. Hunderttausende werden nach Köln kommen und Quartier nehmen – oft ganz bescheiden, in Wohnungen privater Gastgeber. Unter denen sind übrigens viele Protestanten, und auch die jungen Pilger müssen nicht katholisch sein: Geladen sind »alle Menschen guten Willens zwischen 16 und 30 Jahren«.
Natürlich gibt es zum religiösen Kern ein Rahmenprogramm: »Welcome! Festival«, Musik-Picknick, Internationales Festival, Jugendfestival. Sollte dabei das kölsche Talent, Katholizismus mit gelegentlichen heftigen Exzessen zwanglos zu kombinieren, allzu sehr auf die jungen Gäste abfärben, gibt es nicht nur die Möglichkeit, zu beichten. Es bietet sich überdies der Appell an Gereon an, den Heiligen der Kölner – und Schutzpatron der Kopfschmerzgeplagten.
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