TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Respekt. Ein Magazin über das Ruhrgebiet, und kein einziges Bild von Zollverein. Kein Dortmunder U, kein Duisburger Innenhafen. Jedenfalls nicht erkennbar. Stattdessen Wasserflächen, Überlandrohre, Birkenwälder. Könnte überall sein, wenn nicht ein Schild nach Gelsenkirchen weisen und man gegen Ende der Publikation die Haldenlandmarke auf Rheinelbe entdecken würde. Und doch geht es um das Ruhrgebiet – präziser und richtiger: um Heimat.
Dich ohne Schminke heißt das »Magazin zur Förderung von Design und kulturellem Austausch im Ruhrgebiet« von Anke Christina Meier. Der Titel ist ein Fragment aus Grönemeyers »Bochum« und zugleich Programm. Meier möchte das Revier möglichst »ungeschminkt« zeigen. Das Vorhaben beruht auf ihrer Diplomarbeit und der Erkenntnis, dass es ein richtig gut gestaltetes Buch über die Region bisher nicht gab. Das ist natürlich Geschmackssache, im Gegenzug braucht man sich aber nur mal die austauschbaren Titel auf den Büchertischen anschauen. Nicht drauf warten, selber machen, hieß ihre Devise. Ergebnis ist Dich ohne Schminke, vom Umfang her (rund 90 Seiten) eher Buch als Magazin; gedruckt auf mattem Papier, in schickem, kontrastreichem Schwarz-Weiß. Auf Farbe wurde verzichtet, bis auf den Mittelteil, wo sich der schwarze Text auf gebrochen-grünlichem Papier abhebt. »Neo-romantisch« nennt Meier diese Typografie-bezogene Gestaltung.
In der Mitte findet sich das Rückgrat des Magazins, und dieser Platz ist bewusst gewählt, denn so kommt man beim Blättern »der Emotion immer näher«. Meier ist nämlich durch sechs Ruhrgebietsstädte gefahren und hat die Menschen gefragt, wie es sich so lebt im Ruhrgebiet. Worin der Reiz besteht, hier zu wohnen. Oder was die Region andererseits so unausstehlich macht, und welche Gründe es gibt, wegzugehen. Die Antworten, teils in ungeschminktem Dialekt, sind unterschiedlich: »Nen Grund für mich zu gehen wäre, dass es mir zu wenich grün gibt. Klar gibts hier Bäume und auch Wiesen, aber es leuchtet nich so, wie es in anderen Teilen tut.« Oder positiv betrachtet: »Leute, die man nich kennt, die einem direkt ihre Meinung in die Fresse sagen. Das isn Traum.«
Sicher – manches ist erwartbar in Dich ohne Schminke; dennoch liest man sich fest. Vor und nach dem typografischen Mittelteil finden sich kurze Infos über das Ruhrgebiet, Fotos, Illustrationen und über-raschende Statistiken wie jene, dass 40,7 Prozent der Gesamtfläche landwirtschaftlich genutzt werden. Zusätzlich gibt es Anekdoten wie jene eines Pommesbudenbesitzers, den ein Kunde bat, für seine Freundin einen Tisch besonders schön einzudecken, da er ihr dort einen Heirats-antrag machen wollte. Grund für den ungewöhnlichen Ort: »Wennse mich hier liebt, dann liebtse mich auch im 5-Sterne Hotel, ne.«
Auch wenn Meiers Ziel war, ein Magazin »jenseits der Klischees« zu machen – so richtig entkommt man diesen nie. Die Vergangenheit ist, bei allem Wandel, immer noch präsent. Am Ende von Dich ohne Schminke finden sich dann auch einige lakonische und immer noch gültige Zeilen von Rolf Dieter Brinkmann aus dem Jahr 1975: » (…) die Häuserwände machen weiter, die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter. Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weiter machen.«
Erhältlich an ausgewählten Orten oder Online. Mehr Infos: www.dichohneschminke.de