TEXT: ANDREJ KLAHN
Dieser »deutsche Sommer« dauert 54 Stunden, vom 16. bis zum 18. August 1988. Tage, in denen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner eine Bank in Gladbeck überfallen und über Bremen zurück nach Köln bis nach Bad Honnef flüchten; in denen sie mehrere Geiseln nehmen und zwei davon getötet werden; in denen die Bankräuber zwischendurch Klamotten kaufen gehen und vor laufenden Kameras Journalisten Interviews geben, in denen ein Polizist umkommt und ein sensations-lüsterner Reporter in das Fluchtfahrzeug steigt – Tage also, die als Gladbecker Geiseldrama ins kollektive Gedächtnis der Republik eingegangen sind, weil die Polizei hilflos und die Medien skrupellos agierten.
Der in Köln lebende Schriftsteller Peter Henning hat das Gladbecker Geiseldrama pünktlich zum 25. Jahrestag als Roman verdichtet, der weit mehr bietet als spannende Doku-Fiktionalisierung einer schrecklich realen Geschichte. Denn Henning perspektiviert das Geschehen sehr gekonnt durch sieben Figuren. Einige sind sehr nah an ihren realen Vorbildern entlang erzählt, andere hat Henning erfunden, um Distanz zum Geschehen zu schaffen und dem Roman so eine reflexive Ebene einzuziehen. Zu Statisten aber wird keine dieser Figuren degradiert.
Henning nimmt sich 600 Seiten Zeit, um sein Personal zu entwickeln, Schicksale miteinander zu verknüpfen und gegeneinander zu spiegeln. In sehr weiten Schleifen rollt er dramaturgisch versiert den roten Faden ab, der die Episoden zur deutschen Geschichte vernäht. Doch der Leser ahnt ja von Anfang an, auf welches Ende der spannende Roman immer temporeicher zusteuert. Und obwohl oder gerade weil der Ausgang des Dramas bekannt ist, entfaltet »Ein deutscher Sommer« einen beträchtlichen Sog – und die mutmaßlich vermeidbare Tragödie erscheint uns in ihrer fatalen Zwangsläufigkeit.
Peter Henning: »Ein deutscher Sommer«; Aufbau Verlag, Berlin 2013, 608 Seiten, 22,99 Euro
Lesung am 16. September 2013 im Belgischen Haus (Cäcilienstr. 46), Köln