TEXT: NICOLE STRECKER
Jan Fabre wütet mal wieder. Nach anderthalbstündiger Performance blickt man wie benebelt in die Welt, in eine Normalität, deren Leichtigkeit plötzlich absurd anmutet. Denn eben war das Leben noch eine ewig wiederkehrende Folter. Man hat einen Helden gesehen, aufgespannt zwischen Seilen, als werde er jeden Moment gevierteilt. Vor ihm Menschen, die ihren Zorn, Spott, Schmerz herausbrüllen, als könnte gerade er, der Gefesselte, ihnen helfen. Sie sind Figuren aus Aischylos’ Drama »Prometheus«, das der flämische Autor Jeroen Olyslaegers neu bearbeitet hat. Viel Text, dazu Fabres Überwältigungs-Theater: Mit Männern, aus deren Genitalien Flammen schlagen. Nackten, triebbesessenen Frauen auf allen Vieren, deren Unterleiber nicht aufhören wollen zu zucken. Stolpertänzen von Gequälten, so blind und flatterhaft, als wären es die letzten Krämpfe geköpfter Hühner. Und auch das: Kindgroße Feuerlöscher. Sie fauchen und speien wie Drachen – nur eben keine Flammen, sondern eisiges Löschgas. Das Feuer ist aus – eben das entfacht Jan Fabres aktuelle Empörung: »Wir leben in einer Gesellschaft, in der man in keinem Museum, keinem Theater mehr Feuer machen darf – ›Feuer‹ auch im metaphorischen Sinn von Leidenschaft, Risikofreude.«
Von dieser Kritik nimmt sich der stets hitzige Flame Fabre natürlich aus. Deshalb nun also seine Hommage an den Überbringer des Feuers: »Prometheus Landschaft II«, so der Titel seiner neuen Produktion mit zehn Tänzern, die er nach der Uraufführung in den USA erstmals in Europa im tanzhaus nrw Düsseldorf zeigen wird. Fabre sucht darin nach einer zeitgemäßen Form für das antike Drama samt Katharsis durch Mitleid und Furcht. Und er will eine uralte Sehnsucht wiederbeleben: Die nach einem Helden. »Wir leben in einer Opfer-Gesellschaft«, raunzt er. »Jeder ist ein Opfer, alle Politiker sind Opfer, die immerzu behaupten: ›Ich will handeln, aber ich kann ja nicht‹.«
Prometheus, der aufmüpfige Menschenfreund, dem für sein Trotzen gegen die Allerhöchsten täglich die Leber zerfetzt wird – das ist eine Rebellenfigur nach Fabres Geschmack. In seinem exklusiven Antwerpener Produktionsort »Troubleyn« waltet er als genialer Schöpfergott, treibt seine Performer, die er »Krieger der Schönheit« nennt, in die hemmungslose Selbstaufgabe. Ob es gefallen hat, will er direkt nach einer Probe wissen. Und wenn man bei der Antwort zögert, lacht er rau, als habe man den besten Witz seit Jahren gemacht. Cool wie ein Cowboy, spöttisch wie Mephisto und wie dieser ein Kraftkerl, bei dem in Sachen Gut und Böse so einiges durcheinander geht. Kein Moralist, sondern einer, der die Moral in anderen aufrüttelt. Grandios ist ihm das in seiner letzten Großproduktion gelungen, der »Orgie der Toleranz«, einer Fusion von Polit-Theater und Posse. Mit Höllenwitz hat er sich da in die Todsünden der Gegenwart verbissen: Konsumgier und Konkurrenzdenken, Rassismus und Religionsverachtung.
Aber wenn er heute auf diese Produktion angesprochen wird, antwortet er nur: »zu erfolgreich«. Popularität ist suspekt, ein ›Held‹ braucht schließlich Feinde. Wenn Fabre keine mehr hat, erfindet er sie. Diesmal sind es die »Verstehertypen«: Mit hochästhetisch inszenierter Krawall-, Kopulier- und Chaoskunst wird heftig gegen die neuzeitliche Erklärkultur rebelliert. »Fuck you Sigmund Freud« fluchen seine Performer im »Prometheus«. Fabre: »Man tut etwas, und dann wird es begründet mit der Tatsache, dass man als Kind geschlagen wurde. Dieses Analysieren – das erlaube ich nicht.«
»Prometheus Landschaft II« im »tanzhaus nrw« Düsseldorf, am 15. sowie 17. bis 19. Febr. 2011, 20 Uhr. www.tanzhaus-nrw.de