Immer wieder kam er hierher, streifte durch Straßen und Gassen. Ottmar Hörl wollte sich in Paderborns Atmosphäre vertiefen, den Geist der Stadt erleben. Das Ergebnis der intensiven Recherchen: 350 nachdenkliche Schutzengel aus golden gefärbtem Polyester, die Hörl auf Mauern, Simsen und sonst wo in Stellung gebracht hat. Sie sollen die Menschen zur Vernunft mahnen, so der hehre Wunsch des Künstlers.
Paderborn, seit mehr als 1200 Jahren Bischofssitz, nahm seine stolze Vergangenheit wiederholt schon zum Anlass für kulturhistorische Großveranstaltungen. Zuletzt waren es Ausstellungen über die Karolinger und über Canossa. Nun aber will Westfalens älteste Stadt sich offenbar einmal einen etwas progressiveren Anstrich geben. Dafür brachte man 800.000 Euro und engagierte ein Dutzend mehr, meist aber minder prominenter Gegenwartskünstler.
Zu den bekannteren zählt neben Hörl sicher Joep van Lieshout. Am »Tatort Paderborn« schockt der schräge Niederländer mit einem monströsen Knochenkopf aus Holz und Polyester. Der Clou: Im begehbaren Inneren des »Wellness Schädels« locken Wanne und Sauna. Jenes merkwürdige Mit- und Gegeneinander von irdischer Vergänglichkeit und körperlichem Wohlfühlkult inszeniert er geschickt auf einem stillen Rasenstück im Schatten des Domes.
Nicht weniger spektakulär macht Horst Gläsker sich breit. Für den 720 Quadratmeter großen Platz vor der Marktkirche schuf er eine kunterbunt gewürfelte Farbfeldmalerei. Bei genauerem Hinschauen erkennt man einen labyrinthischen Weg in schrillem Gelb und graue Buchstaben auf den bemalten Steinplatten: »Feigheit, »Wollust«, »Askese« und noch mehr gewichtige Worte stecken das begriffliche Terrain zwischen Tugend und Laster ab.
Kaum zu glauben, dass die zwölf Werke in Paderborn ein gemeinsames Thema verbindet. Glaubt man dem Ausstellungstitel, geht es immer wieder um »Irdische Macht und himmlische Mächte«. Ganz mochte Paderborn also doch nicht verzichten auf den Link zu lokalen Traditionen: Vor mehr als 1200 Jahren trafen sich hier, an den Quellen der Pader, zwei mächtige Männer: Der Karolinger Karl I. und Papst Leo III. führten ein konspiratives Gespräch. Wenig später weihte der Pontifex den königlichen Herrscher zum Kaiser und mehrte damit dessen Autorität. Das Papsttum profitierte ebenfalls, denn es stand nun unter der Schutzmacht des großen Karl.
Die Künstler waren aufgefordert zur Auseinandersetzung mit dieser Historie und dem auch im heutigen Stadtbild – mit Dom und Kaiserpfalz, mit engen Gassen, mit Klöstern, Kirchen, Kreuzgängen – noch allgegenwärtigen Nebeneinander von weltlicher und kirchlicher Macht. Beim Umgang mit dem vorgegebenen Thema ließ man ihnen jede Menge Freiheit. Das war bequem, hat aber auch den Vorteil, dass der Kunstrundgang durch Paderborn nicht zur künstlerisch interpretierten Unterrichtsstunde in Sachen Stadtgeschichte gerät.
Damit würde man wohl auch kaum überregionale Wirkung erzielen – und die ist selbstverständlich erwünscht. Dabei spekuliert man auch auf Paderborns günstige Lage zwischen den genau gleichzeitig laufenden »Skulpturen Projekten Münster« und der documenta in Kassel. Auf dem Weg über die Autobahn von einem Top-Ereignis zum anderen muss der Kunstreisende keinen großen Umweg auf sich nehmen für den Zwischenstopp in Paderborn.
Wer öffentliche Verkehrsmittel vorzieht, wird sich vielleicht zum Finale im unterirdischen Busbahnhof einfinden. Mitten drin – zwischen dröhnenden Motoren, reichlich Abgasen und dem Dunst aus der Döner-Bude – fand Dagmar Demming den passenden Ort für ihre Licht-Klang-Installation. Mit dem wieder aufgebauten, schön herausgeputzten historischen Stadtkern konnte die Künstlerin nichts anfangen. Deshalb verzog sie sich lieber in dieses dunkle Loch. //
Bis 2. September 2007 im Zentrum von Paderborn. www.tatort-paderborn.de