TEXT: INGO JUKNAT
Irgendwo ist immer Halbfinale. So auch an diesem Tag. In der ARD sucht Stefan Raab »Unseren Star für Baku«. Vielleicht ist es auch die Endrunde von »The Voice of Germany«, »DSDS« oder »Popstars«. Wer wüsste noch den Unterschied. Stefan Honig sicher nicht. Wenn jemand den Gegenentwurf zum Knall-und-Fall-Prinzip der Castingshows verkörpert, dann er. Die Karriere des Düsseldorfers ist ein langfristiges Unternehmen. Und harte Arbeit. 21 Konzerte hat Honig allein im Januar gegeben. Bei der größten Show trat er vor mehr als 1000 Zuschauern auf, im Vorprogramm der Hamburger Band Kettcar. Im März und April geht es mit ähnlicher Schlagzahl weiter, diesmal u.a. als Support von Thees Uhlmann. Im Sommer folgt eine Konzertreise durch Polen. Viel Trubel für jemand, der noch vor einem Jahr als Vollzeit-Kindergärtner gearbeitet hat.
Wann er in seinen alten Beruf zurückkehrt, weiß Stefan Honig noch nicht. Wenn es gut läuft mit der Musik, verlängert er seine Auszeit. Im Moment kann er sich nicht beklagen. Täglich kommen neue Buchungsanfragen rein. Zuhause, so wie heute, erwischt man ihn selten. Stefan Honig sitzt an einem winzigen Tisch auf einem Perserteppich und zeigt auf den Bildschirm seines Laptops. Auf Youtube läuft das Video zu »For Those Lost at Sea«. 3200 Mal ist der Song schon angeklickt worden, dabei steht er erst seit vier Tagen im Netz. In dem Clip rudert Honig über einen nebligen See, die Bilder wirken professionell. »Sieht ganz gut aus für 140 Euro Produktionskosten, finde ich«, sagt Stefan Honig und lächelt zufrieden. Die Kunst, aus bescheidenen Budgets viel herauszuholen, hat er inzwischen perfektioniert.
Das gilt auch für die eigenen vier Wände. Honigs Düsseldorfer Wohnzimmer ist gleichzeitig Büro, Studio und manchmal auch Bühne für Privatkonzerte. An Equipment mangelt es nicht. An der Wand stapeln sich Gitarrenkoffer, Marshall-Boxen, Aufnahmegeräte. Einen Teil des neuen Albums hat er hier auf seinem Perserteppich eingespielt, den Rest in Tschechien, im Haus von Musikerfreunden. Von denen hat Stefan Honig eine Menge. Einige hört man als Gäste auf dem neuen Album. Sie singen im Hintergrund mit, spielen Akkordeon oder Klarinette, Schlagzeug oder Violine. Und sie machen »Empty Orchestra« zu mehr als einem Singer/Songwriter-Album.
Die Vernetzung ist das große Kapital des Stefan Honig. Er kennt Musiker in Hamburg und Berlin, in Ländern wie Holland, Polen und China. Die letzten beiden hat er schon betourt, beide Male auf Einladung. Gerade China hat ihn begeistert. »Da reist du durch Millionenstädte, deren Namen hier noch nie jemand gehört hat.« Manche Kontakte haben sich in Düsseldorf ergeben, im kleinen Kunstverein »Brause«. Dort organisiert er einmal im Monat Konzerte. Die Reihe »Brause akustisch« hat sich inzwischen so weit herumgesprochen, dass renommierte Labels von selbst anfragen, ob sie Bands in die ehemalige Tankstelle entsenden dürfen. Honig sagt, er lade nur Künstler ein, die ihm selber gefallen. Zum Dank bekommt er Einladungen von Bands, denen es in Düsseldorf gefallen hat. Irgendwo zwischen Berlin und Hamburg, Warschau und Prag ist immer ein Bett für ihn frei.
Wenn er nicht tourt, schreibt er an Songs. Elf davon kommen in den nächsten Tagen aus dem Presswerk. Sie bilden sein zweites Album »Empty Orchestra«. Auch beim Vertrieb macht Honig fast alles selbst. Einen Großteil der Platten verkauft er auf Tour und über seine Homepage. Um ins GEMA-System zu kommen, hat er ein eigenes Label gegründet. Bei einer etablierten Plattenfirma hat er gar nicht erst angefragt – eine Entscheidung, die symptomatisch wirkt für den Bedeutungsverlust der Musikindustrie allgemein. »Ein Label müsste mir schon etwas bieten, das ich nicht selbst machen kann.« Und das ist nicht viel im Moment. Im Gegenteil. An den Plattenverkäufen verdient er ohne Zwischenhändler mehr. Und für die anderen klassischen Label-Aufgaben – Promotion und Booking – hat er auch schon jemand gefunden. Bei der Pressearbeit hilft das Team von »Haldern Pop«, das Booking erledigt »Grand Hotel van Cleef«, der Heimathafen von Kettcar und Tomte.
Er habe Glück, dass er dort Leute kenne, sagt Stefan Honig. Das ist ein bisschen zu bescheiden. Natürlich hat das Engagement von Haldern Pop und GHvC auch mit der Qualität seiner Musik zu tun. Das merkt man auf »Empty Orchestra« mehr denn je. Manche Songs würden sich auch gut auf einem Album von Kevin Devine oder Bon Iver machen. Selbst die englischen Texte wirken authentisch und beinahe akzentfrei. 1000 CDs hat Honig von »Empty Orchestra« pressen lassen. Wenn die mal reichen.
Honig, »Empty Orchestra«, ab Ende März, erhältlich via www.honigsongs.de oder auf Tour.