Interview: Andrej Klahn
// Die Bitte nach Zucker zum grünen Tee, so erfährt der Leser von Christoph Peters’ neuem Roman »Mitsukos Restaurant«, übergeht so mancher japanische Kellner schweigend. So muss der Gastgeber nicht belehren, und der Gast wahrt das Gesicht. Das ist im Falle von Achim Wiese, eine der Hauptfiguren des Romans, nicht nötig. Denn Achim ist ein Japan-Enthusiast. Der erste Versuch, nach bestandenem Abitur in einem japanischen Restaurant die Probe auf die angelesenen Kenntnisse zu machen, endet 1984 in einem chinesischen Lokal auf der Düsseldorfer Königsallee. Acht Jahre später entdeckt Achim bei einer Wanderung durch den niederrheinischen Wald im rustikalen Vereinsheim der Wanderfreunde Gurschebach ein japanisches Spezialitätenrestaurant. Dort steht, entgegen der Tradition, eine Frau am Herd: Mitsuko. Eine Meisterin, die so köstliche Dinge wie Thunfischtatar mit gedünstetem Kabocha-Kürbis, hausgemachten Seidentofu mit Bonitoflocken oder Umeshu-Pflaume in Aga-Aga-Gelee zu bereiten versteht. Achim verliebt sich zunächst in Mitsukos Küche, kurz darauf dann auch in die Frau. Fortan arbeitet er daran, sie für eine Teezeremonie auf die Tatamimatten zu bekommen.
Christoph Peters, 1966 in Kalkar geboren, tischt in seinem vierten Roman wirklich ganz groß auf. »Es gab wenige Momente im Leben, die Achim so liebte, wie die vor der aufgeschlagenen Karte eines Restaurants, dessen Küche er vertraute«, heißt es in »Mitsukos Restaurant«. Peters selbst verzichtet an diesem Mittag auf die Karte. Er bestellt im Münchner Café Ruffini einen grünen Tee. Obwohl er lediglich ein Frühstück im Magen hat. //
K.WEST: Achim isst in »Mitsukos Restaurant« als Dessert ein Eis aus grünem Tee. Dieses Eis, heißt es, habe das Aroma einer frisch gemähten Wiese. Wie schmeckt eine frisch gemähte Wiese, Herr Peters?
PETERS: Die frisch gemähte Wiese schmeckt für uns vermutlich nicht besonders.
K.WEST: Also fad?
PETERS: Es funktioniert anders: Da man als Mensch selten Gras isst, trotzdem aber eine Vorstellung davon hat, wie Gras schmecken würde, wenn man es essen könnte, übertrage ich es in die pulverisierte Form eines bestimmten, sehr frischen japanischen Tees. Dieser Tee hat witzigerweise wiederum fast keinen Eigengeruch.
K.WEST: Ich hatte beim Lesen dieser Passage plötzlich wahnsinnige Lust auf grünen Tee, obwohl ich zu wissen meine, dass ich ihn nicht mag.
PETERS: Ich habe lange gedacht, dass grüne Tees nicht gut schmecken müssten. Hauptsache, sie wirken. Das lag daran, dass man in Deutschland meistens schlechte, allenfalls mittelmäßige Tees bekommt. Auch bei der Zubereitung kann man, wenn man sich nicht auskennt, sehr viel falsch machen. Ich habe viele Jahre gebraucht, um das einigermaßen hinzubekommen.
Der Kellner bringt den Tee, mit Keks und Zucker.
K.WEST: Was hat Sie durchhalten lassen?
PETERS: Grüner Tee ist für mich ein optimales Arbeitsgetränk. Er erzeugt eine präzise, lang anhaltende Konzentration, ohne einen hibbelig zu machen. Bei meinen Experimenten mit Matcha, also dem pulverisierten grünen Tee, der für die Teezeremonie benutzt wird, habe ich immer mal wieder ausgesetzt, um dann wieder von vorne anzufangen.
Christoph Peters nimmt einen Schluck.
K.WEST: Und?
PETERS: Der Tee ist nicht schlecht, vielleicht ein bisschen zu wenig davon im Beutel.
K.WEST: Kakuzo Okakura unterscheidet in seinem »Buch vom Tee« drei unterschiedliche Zubereitungsformen: gekochten, geschlagenen und gebrühten Tee. Der bei der Teezeremonie verwendete Matcha-Tee sei der romantischen Teeschule zugehörig, kann man da lesen. Haben Sie eine Ahnung, was Okakura meint?
PETERS: Nicht wirklich. Romantisch vielleicht deshalb, weil die Zubereitung von Matcha die größte gesamtmenschliche Aufmerksamkeit und deshalb auch die höchste Wertschätzung erfordert. Beim Aufschlagen dieses Tees gibt es kein Nebenbei.
K.WEST: Was ist denn so schwer daran?
PETERS: Wenn man es irgendwann kann, ist es nicht schwer. Aber man braucht relativ lange, um ein Gefühl für die verschiedenen Komponenten zu bekommen. Das Schwierigste ist die Wassertemperatur und die des Gefäßes. Jede Keramikschale hat ein anderes Temperaturverhalten, jede keramische Tradition eine andere Wärmespeicherung. Das Wasser darf auf keinen Fall kochen. Man muss die großen Schalen vorher mit einem Schluck heißem Wasser anwärmen, aber wenn alles auch nur wenige Grad zu heiß ist, wird der Tee ungenießbar bitter.
K.WEST: Teezeremonie bedeute, Wasser zu kochen, Tee zu bereiten und ihn zu trinken. So zitieren Sie im Roman den Teemeister Rikyû. Das klingt einfach. Aber ist das wirklich alles?
PETERS: Viele Europäer denken, Rikyû habe das aus Bescheidenheit gesagt. In Wirklichkeit, so vermuten sie, gäbe es dahinter viele Geheimnisse. Oder es handele sich bei dem Ritus um irgendeinen Hokuspokus, damit man aufgrund der Kompliziertheit des Vorgangs ein besonderes Bewusstsein bekomme. Aber viele der Gesten dienen wirklich nur dazu, einen geschmacklich einwandfreien Tee herzustellen.
K.WEST: Metaphysik spielt dabei also keine Rolle?
PETERS: So eindeutig würde ich das auch nicht sagen. Aber die europäische Rezeption der Tee-Zeremonie war in den 1950er und später dann auch in den 1980er Jahren stark esoterisch angehaucht. Wenn man Zen-Texte liest, kann man durchaus den Verdacht haben, dass das Sosein im Hier und Jetzt das ganze Geheimnis ist. Aber an nichts anderes zu denken als an das, was man gerade tut, ist schwierig. Wer das hinbekommt, ist vielleicht schon zufrieden in diesem Leben.
K.WEST: Ihre Einfachheit macht die Zeremonie verdächtig, komplex zu sein?
PETERS: Es gibt eine sowohl aus dem altchristlichen wie asiatischen Kontext überlieferte Geschichte. Da kommt jemand zu einem Meister und fragt ihn, was er machen müsse, um erleuchtet zu werden. Der Meister antwortet: »Wenn du sitzt, sitze, wenn du gehst, gehe, und wenn du läufst, laufe.« Genau das mache er doch, sagt der Fragende, und der Meister entgegnet ihm: »Wenn du sitzt, stehst du schon, wenn du stehst, läufst du schon, und wenn du läufst, bist du schon am Ziel.«
K.WEST: Vielleicht wirkt die zeremonielle Konzentration als Geschmacksverstärker?
PETERS: Die Zeremonie ist physisch extrem anstrengend. Wenn man es nicht gewohnt ist, schlafen einem im Fersensitz nach zehn, spätestens fünfzehn Minuten die Füße ein. Danach muss man sie einfach vergessen, wenn man es durchziehen will. Ich bin nicht wirklich in der Lage, zu entscheiden, wie weit Geschmack in diesem Fall eine Sache des Kopfes ist. Aber die Konzentration auf das Ritual setzt natürlich schnell überzogene Erwartungen frei. Wie Kinder, die zum ersten Mal die konsekrierte Hostie essen und enttäuscht sind, erwarten Europäer von der Teezeremonie eine Art Bewusstseinskick. Aber eine Teezeremonie ist keine Vodoo-Trance.
K.WEST: Im Roman erzählen sie als Parallelhandlung die Geschichte eines berühmten japanischen Tee-Keramikers. Sie selbst, so lässt sich nachlesen, sind im Besitz einer einzigen Teeschale …
PETERS: … ich habe mittlerweile eine kleine Sammlung. Die Sache mit der einen Schale hat sich im Laufe der Arbeit am Roman leider, nein, glücklicherweise nicht mehr halten lassen.
K.WEST: So viel Recherche musste sein.
PETERS: So viel Recherche durfte sein. Dabei habe ich festgestellt, dass die Japaner zurzeit einen kulturellen Kehraus betreiben. So wie viele Deutsche in den 1960ern alles loswerden wollten, was sie von den Großeltern oder Eltern geerbt hatten. Zurzeit gibt es in Japan offenbar ein Überangebot an wertvoller Teekeramik. In europäischen Auktionshäusern zahlt man das Zwanzigfache.
K.WEST: Ist Kochen eigentlich eine gute Verführungstechnik?
PETERS: Jemanden zum Essen einzuladen und für ihn zu kochen, hat zunächst die nötige Unverbindlichkeit, dass der oder die andere sich nicht dumm angebaggert fühlt. Wenn ich beim Kochen dann einigen Aufwand betreibe, signalisiere ich ihr, dass ich bereit bin, sehr viel Sorgfalt in die Beziehung zu stecken. Außerdem öffnet gutes Essen das Herz und dadurch den gesamten Menschen.
K.WEST: Und das Kochen selbst ist auch ein erotischer Vorgang.
PETERS: Wenn ich koche, bin ich eher in einer handwerklichen Stimmung. Ein Goldschmied würde sich während der Arbeit wahrscheinlich auch nicht dem Eros eines Diamanten hingeben, oder?
K.WEST: Achim verliebt sich nicht unbedingt auf den ersten, aber doch auf einen Biss. Er probiert den Kopf einer japanisch marinierten Sardine: »Im selben Moment füllte der Geschmack des Meeres Achims Mund. Nicht der tranige, mit Schweröl versetzte der sterbenden Nordsee, die man aus seinem Gedächtnis streichen muss, wenn man genussvoll Fisch essen wollte, sondern der an Salz, frisches Seegras und schäumende Gischt erinnernde eines fernen Ozeans, auf dem winzige Fischerboote aus Holz hin und her geworfen wurden wie Spielsteine von Riesen.« Achim trägt es wirklich ziemlich weit fort.
PETERS: In diesem Moment begreift er, dass Kochen eine Kunst für den Gaumen ist – so wie die Musik Kunst für die Ohren. Dabei geht es nicht nur darum, etwas Wohlschmeckendes zu produzieren, sondern den Zutaten etwas abzugewinnen, sie zu einem individuellen Ausdruck zu machen, über das Allgemeine hinaus. So wie man sich in eine Sängerin verlieben kann, weil sie ein bestimmtes Lied auf ihre Art interpretiert, kann man sich auch in jemanden verlieben, weil er auf eine bestimmte Weise kocht.
K.WEST: Kochen ist im Roman also auch eine Art Suchbewegung hin zum Fremden?
PETERS: Und eine Suche nach handwerklichen Idealen, die Mitsuko als Japanerin für Achim verkörpert. Bei ihm ist ja alles Frickelei. Sein Leben ist geprägt von mangelnder Perfektion und Konsequenz. Er fängt vieles an und bringt nichts wirklich zu dem, was man im Japanischen unter Meisterschaft versteht.
K.WEST: Sie haben für die Recherche des Romans vermutlich nicht nur Teeschalen gekauft, sondern auch selbst gekocht?
PETERS: Ich neige dazu, mir fremde Kulturen, über die ich schreibe, auch kulinarisch einzuverleiben. Während der Arbeit an den orientalischen Romanen habe ich viel Türkisches und Arabisches zubereitet. Speziell für »Mitsukos Restaurant« habe ich in größeren Mengen japanische Kochbücher gekauft und dann ziemlich viel durchgekocht.
K.WEST: Gab es für Sie so etwas wie eine prägende kulinarische Erfahrung?
PETERS: Ich bin mit einer sehr schlichten, bäuerlichen Küche aufgewachsen. In der Familie meines Vaters aßen alle am liebsten Schweinefleisch, Kartoffeln und Gemüse, alles mit viel Sauce. Reis oder Nudeln empfanden sie als Zumutung. Die erste exotische Erfahrung war dann der Stammgrieche während meines Studiums. Ich habe drei Jahre lang versucht, Mousaka nachzukochen und so lange experimentiert, bis ich es zufriedenstellend konnte.
Christoph Peters, Mitsukos Restaurant, Luchterhand Literaturverlag, 2009, 416 Seiten, 19,95 Euro