Wenn sich in der neuen Spielzeit der Vorhang zur ersten Ballettvorstellung hebt, ist sie wieder nicht dabei. So wie bei der Premiere von »Julien Sorel« im März. Auch bei der Eröffnung der RheinOperMobil mit »Romeo und Julia« im April hatte Shakespeares jugendliche Heldin nicht die sanften braunen Augen der Katarina Svetlova. Sie habe eine »Fußverletzung«, so lautete die offizielle Erklärung. Die Erste Solistin des Balletts der Deutschen Oper am Rhein, vor drei Jahren aus Oregon/USA nach Düsseldorf gekommen, wird sich im kommenden Februar auch nicht als Youri Vàmos’ »Giselle« zu Tode tanzen. Sie wird überhaupt nicht mehr tanzen. Zumindest nicht auf der Bühne. Denn Katarina Svetlova hat gekündigt.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere hat die erst 26-jährige Primaballerina einen verblüffenden Schritt gemacht: Sie tritt ab. Vorerst will sie nur noch für die Familie da sein. Im Januar erwartet sie ihr zweites Kind, ein drittes wünscht sie sich.
Erstaunlich. War die Tänzerin doch das Glück der Düsseldorf- Duisburger Ballettfans und Liebling der Presse. In den Kritikerumfragen stets ganz vorne, erhielt sie vergangenes Jahr den Förderpreis der Stadt Düsseldorf. Mit ihr hatte das Rheinopernballett nach Jahren endlich wieder eine Top-Künstlerin von bundesweiter Strahlkraft. Als elektrisierende »Erda« stürzte sie die Menschheit ins Unglück, betörte in den Vàmos-Choreografien als Prinzessin in »Dornröschen«, als keckes Schulmädchen in »Coppélia« und als erotische Amazone in John Neumeiers »Sylvia«. Van Manens »Sarkasmen«, Pas de deux mit dominanter Dame, blitzten an der Rheinoper vor Witz und Charme. In Mats Eks »Bernarda Albas Haus« erfrischte die Svetlova als vitales Dienstmädchen inmitten der verhärmten Albas, poussierte mit ihrem Ehemann Jim Thompson in der Gastrolle eines Bühnenarbeiters. Das waren zu Tanz geformte Emotionen.
Jetzt sitzt sie am Küchentisch ihrer Oberkasseler Wohnung. Katarina Svetlova wirkt nicht eben unglücklich. Vor ihr steht eine Tasse Früchtetee. Das Baby hat ihren Bauch leicht gerundet, und auch das Gesicht wirkt weiblicher, ist nicht mehr das typische, ausgemergelte Ballerinen-Antlitz. Der sechsjährige Michail genießt die Anwesenheit seiner Mutter und schleicht sich alle paar Minuten an, um Streicheleinheiten abzuholen. Zum ersten Mal seit 22 Jahren – mit vier begann die Amerikanerin zu tanzen – ist ihr Leben ballettfrei. Selbst als sie mit Michail schwanger war, trainierte sie weiter. Nach der Geburt mussten vier Wochen Pause reichen. Bei Verletzungen nahm sie sich die kürzest mögliche Auszeit.
Diesmal war es anders. Die Fußverletzung, beinahe ein Knochenriss, die sie seit November 2005 von der Bühne fernhielt, war eine langwierige Stresserscheinung. Katarina Svetlova streicht sich etwas Marmelade auf ihr Croissant: »Durch die viele Zeit, die ich wegen der langen Verletzungspause mit der Familie verbracht habe, ist mir klar geworden, was ich alles verpasse. Wenn man einmal Mutter ist, auch als Tänzerin, kann man seinen Instinkt nicht abschalten.« Allmählich sei sie in eine Krise geraten, habe Depressionen bekommen: »Zehn Jahre habe ich professionell getanzt und ich bereue nichts. Gerne wäre ich ›Giselle‹, gerne hätte ich die Madame de la Mole in ›Julien Sorel‹ getanzt – aber es ging nicht.« Doch da ist noch mehr. Katarina Svetlo vas Entscheidung, für immer von der Tanzfläche zu verschwinden, ist auch eine Entscheidung für sich selbst.
Für die 26-Jährige war Ballett mehr als ein Beruf, mehr als eine Leidenschaft – eine Obsession. Tag für Tag, 24 Stunden lang. »Ich konnte nie abschalten. Nach den Proben und Vorstellungen bin ich abends meine Rollen zu Hause noch einmal durchgegangen, um Korrekturen zu verinnerlichen«, erzählt sie. »Die Rolle arbeitete in meinem Kopf. Meine Zehen waren immer in Bewegung. Ich konnte die Musik in meinem Gehirn nicht abstellen.« Und der Körper litt, eine Begleiterscheinung, die Profis zu ignorieren lernen. Abends musste sie ihr Mann Jim massieren, auf der Massageliege im Wohnzimmer. »Meine Füße«, lacht Katarina, »musste ich jeden Abend mit Eisbädern schrumpfen.« Die Ernährung war über all die Jahre ein Dauerthema, für Katarina besonders schwierig, da sie bei aller Schlankheit einen sehr muskulösen Körper hat. Jede Mahlzeit wurde mit dem Ernährungsberater durchgeplant, auf vieles verzichtet: »Von Lasagne oder Pizza konnte ich nur träumen.« Anstrengend. Und immer die Angst, sich im Alltag zu verletzen. Jeder Schritt kann fatal sein. Da beneidet die Tänzerin die Musiker: »Sie können ihr Instrument in einen Kasten legen, wenn sie es nicht brauchen. Unser Instrument ist der Körper. Er ist immer gefährdet.«
Und doch verwundert es, dass die Ballerina gerade jetzt, angekommen am Ziel ihrer Träume, abtritt. »Ich habe nie wahrgenommen, dass ich top war. Mein Ziel war immer, in der nächsten Vorstellung noch besser zu sein. James Canfield, mein Chef am Oregon Ballet-Theatre, sagte immer: ›You’re only as good as your next performance‹.« Die Blumen, die Fanpost, der Applaus – das alles konnte die Perfektionistin nie wirklich genießen. Was ihr heute leid tut. »Ich hatte ein unrealistisches Bild davon, was ich erreichen wollte. Meine Ansprüche wurden immer größer.« So ist der Power-Künstlerin die innere Freude am Tanzen abhanden gekommen. Also tritt sie ab, bevor es das Publikum merkt.
Trotz dieses Bewusstseins ist Katarina Svetlova die Entscheidung sehr schwer gefallen. Sie traf sie, bevor sie erneut schwanger geworden ist. Das Ballett mit seinem emotionalen Ausdruck, das Schauspielern habe ihr viel gegeben. »Es war ein schönes Erlebnis, die verschiedenen Rollen zu tanzen, die verschiedenen Teile von mir selbst. So sein wie Erda – das kann ich in der Realität nicht ausleben«, bedauert sie. Ein bitterer Schritt für eine erst 26-Jährige. Für Katarina Svetlova jedoch der richtige nach einem Leben voller Verzicht. »Ich habe immer 200 Prozent gegeben, jetzt ist meine Disziplin aufgebraucht, jetzt lebe ich nach meinen Gefühlen.« Ballettassistent Leon Kjellsson lobte sie einmal mit den Worten: »Sie ist ein Vorbild an Fleiß und Disziplin. So professionell wie man es sich nur wünschen kann. Schlechte Tage kennt sie nicht.« Wer kann schon in eine Seele blicken – zumal die einer schauspielernden Tänzerin.
Die kostbaren Beine hochlegen wird die Svetlova dennoch nicht. Sie perfektioniert ihr fließendes Deutsch und möchte nächstes Jahr, wenn die Familie in die Staaten zurückkehrt, dort ein Studium beginnen. Grundschullehrerin will sie werden. Und Deutsch unterrichten. Oder vielleicht Ballettlehrerin werden – in ihrer alten Schule stehen ihr die Türen offen: »Ich liebe es, zu lehren.« Solange die Familie noch in Deutschland lebt, will sie eine Ausbildung zur Tagesmutter machen, um ihre erzieherischen Fähigkeiten zu schulen. Jetzt aber freut sie sich auf die Lasagne, die Jim in der Küche vorbereitet.