Text: Helga Meister
In Düsseldorf möchte man hellseherisch tätig sein und die Entwicklung junger Künstler durch frühe Ausstellungen mitbestimmen. Zu oft ist es in der Vergangenheit passiert, dass Künstler der ortsansässigen Szene erst in Amerika zur Spitzenposition gelangt sind. Weder Thomas Ruff noch Thomas Demand haben in Düsseldorf je eine Retrospektive erhalten, um nur Beispiele aus der Fotokunst zu nehmen. Hinzu kommt die Tatsache, dass in der Malerei nicht Düsseldorf und seine Akademie, sondern die »Leipziger Schule« die Nase vorn hat. Das erfolgsverwöhnte Düsseldorf muss zuschauen, wie es in der Malerei vom internationalen Kunstmarkt abgehängt wird. Die enge Verbindung zwischen der Avantgarde und dem Museum der bildenden Künste in Leipzig findet am Rhein keine Parallele.
Nun versucht Düsseldorfs Kunsthallenchefin Ulrike Groos mit ihrem Team, Terrain zu gewinnen, indem sie unter der jungen Malerei Ausschau hält. Sie greift Entdeckungen wichtiger Galerien wie Konrad Fischer, Cosar, Flor, Linn-Lühn und Luis Campania auf. Die umtriebige Groos, die bei Biennalen, Kunstmessen und Kunstprojekten mitmischt, präsentiert zum wiederholten Mal »Compilation«. Der Begriff stammt aus der Musikindustrie und bedeutet die Zusammenstellung von Musiktiteln unter einem bestimmten Thema. Eine andere Bezeichnung ist Sampler. Zu einer aktuellen Hitparade entwickelt sich die Ausstellung am Grabbeplatz jedoch nicht. Hier geht es auch nicht um eine programmatische Schau, sondern eher um einzelne, eher zufällige Positionen, die man zusammengetragen und in drei Räumen gehängt hat – darunter einige schöne Dinge.
Bernd Ribbeck, der in Düsseldorf studiert hat und in Berlin lebt, erzeugt auf billigen, alltäglichen MDF-Platten grelle, strahlende Farbverläufe, die er mit Acryl, Buntstift und Permanent Marker aufträgt. Es sind leuchtende, flockige Bildgründe, die faszinieren und deren visionäres Potential heutzutage fast unbekannt geworden ist. Anschließend legt er diese Farben gleichsam an die Leine, indem er sie durch geometrische Zeichnungen in der Art von Architektur-Entwürfen mit Kugelschreiber bändigt. Man fühlt sich an den Rayonismus eines Delaunay erinnert, doch alles ist reduzierter, ärmlicher, kleiner im Format.
Die eigentliche Entdeckung von »Compilation« ist die erst 25 Jahre alte Melissa Gordon, eine Amerikanerin in Berlin. Sie hat in den USA Printmedien studiert, also gelernt, wie man in verschiedenen Farbschichten denkt. Anschließend reiste sie über ein Stipendium in die berühmten Ateliers nach Amsterdam, bevor sie nach Deutschland ging. Sie fühlt sich von Marcel Broodthaers imaginären Museen inspiriert, wenn sie auf ihren Leinwänden historische Orte kombiniert und überlappt. Auf einem einzigen Bild etwa finden sich die Repräsentations-Räume aus dem Britischen Museum, dem Spiegelsaal in Versailles und der Pariser Wohnung der Gertrude Stein zusammen. Auf den Bildern herrscht jedoch eine völlig andere Sprache als die des längst verstorbenen Konzeptkünstlers Broodthaers. Melissa Gordon ist keine Künstlerin melancholischer Töne, ihre Ideen-Räume laden sich gegenseitig auf, schaukeln sich hoch, verhaken sich ineinander und sind im Begriff, sich gegenseitig zu sprengen. Es handelt sich um perspektivische Raumfluchten, die an den Merz-Bau von Schwitters erinnern. Die Fragmente heben sich gegenseitig aus den Angeln, und dies mit einer Kraft, dass der Betrachter dabei selbst ins Trudeln gerät. Das Potenzial der Bilder überträgt sich als Energie auf den Kunstgänger.
Die ostdeutsche Jana Gunstheimer hat erzählerisches Talent und Witz. Sie betreibt mit Pappe und Kleber, einer Kohlenlore und einem weißen unbeschrifteten Demonstrations-Transparent Gesellschaftskritik. Ihr Kamin aus der Villa Hügel ist über einem Holzgerüst aus Pappmaché und Lüftungsrohren gebastelt. Jeder soll merken, dass dieser Kamin kein Feuer fängt. Sie inszeniert in Bild und Text eine Verfolgungsjagd durch die Essener Villa, zitiert die Krupp-Familie aus dem historischen Gemälde in einer eher flüchtigen Schwarzweiß-Malerei, klebt den Bohlen und Halbachs die Augen zu und macht aus dem weihrauch-trächtigen Original eine malerische Satire. Daneben lässt sie den Einbrecher wie einen Gekreuzigten von Caravaggio rücklings auf dem Boden liegen, von einer Überwachungskamera aufgenommen. Die Installation handelt von Jugendlichen, die sich in die Villa Hügel einquartiert haben und die lastende Aura des geschichtsträchtigen Ortes durch ihre nächtlichen Aktionen unterwandern. Gunstheimer treibt ihr Spiel mit den großbürgerlichen Symbolen und ihren monströsen Billignachbauten. Bei der Übersetzung der Vorbilder in die schwarzweiße Gegenwart wird es einem geradezu bunt.
Henriette Granert lebt und arbeitet in Leipzig, ist Meisterschülerin von Arno Rink und versucht doch, der übermächtigen Leipziger Schule zu entfliehen. Sie beginnt mit Schmuddelfarben, einem vermanschten Grau, einer mit Ruß vermischten Ölfarbe. Doch dann schiebt sie Rhomben über die Farbmasse, lässt kecke Komplementärfarben in Pink und keckem Gelb miteinander parlieren, malt ein Goldgelb wie einen Blitz und erzeugt eine Komposition, die von einem ungemein sicheren, überraschenden, temperamentvollen Farbgefühl zeugt. Das ist nicht die stumpfe Farbanalyse eines Neo Rauch, ihre Kunst ist weniger rückwärts gewandt als die des großen Meisters.
Die Beispiele der Düsseldorfer Szene hingegen sind beliebig. Sven-Ole Frahns Schütt- und Tropfbilder, die er auseinander schneidet und neu zusammensetzt, ergeben eine flott-fröhliche Kombination aus Zufall und Kalkül, wobei jeder Farbverlauf durch Nähte unterbrochen wird. Sebastian Ludwig ist so sehr mit Abkleben und Sprühen beschäftigt, dass die Farbe nur an einigen, wenigen Stellen brillieren darf. Takeshi Makishima versucht vergeblich, mit seinem kleinen Zauberwürfel den dunklen Wald zu erhellen. Es reicht nur partiell für Erleuchtung.
Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, bis 8. Juli 2007, www.kunsthalle-duesseldorf.de