Text und Foto: Stefanie Stadel
//__Eine Einfahrt in der Häuserzeile. Hinter dem schäbigen grauen Metalltor schaut es chaotisch und nach intensiver Arbeit aus: In einem großen schwarzen Kübel klebt graue Baumasse, und am Boden liegen in Formen Waschbetonplatten zum Trocknen. Eine langwierige Prozedur ist das. Man muss die Platten ständig feucht halten, damit sie nicht zu plötzlich trocknen und brüchig werden. Acht sind inzwischen fertig, bis zum Start der Art Cologne Mitte April müssen es 40 sein. Ob Seb Koberstädt das schafft? Er weiß es selbst noch nicht, doch arbeitet der Künstler emsig – Sonntagsschichten inklusive.
Mit seiner drei mal acht Meter großen »Förderkoje« auf der Messe hat er etwas ganz Spezielles vor: Koberstädt will den kleinen Raum komplett mit Waschbeton auslegen, dabei sollen die Platten auf einer Konstruktion ungefähr einen halben Meter über der Erde »schweben«. Klar könnte er auch Betonplatten aus dem Baumarkt verwenden, räumt der Künstler ein. Aber die gibt es nicht so, wie er sich sie wünscht – mit weißen Marmorkieseln in einer ganz bestimmten Größe. Vielleicht, so Koberstädt, werde er oben auf dem Plattenboden, kontrastierend mit dem massiven Unterbau, eine kleine, lapidare Arbeit präsentieren. Aber da möchte er sich nicht festlegen. Seine Werke wüchsen ohne festen Plan, erst recht ohne Skizze oder Vorzeichnung. Vieles ergebe sich erst während des Arbeitsprozesses.
Koberstädt ist eines von 25 mehr oder weniger jungen Talenten aller Sparten, die dieses Frühjahr als »New Talents« ausgewählt wurden und ihr Art-Cologne-Solo in einer Gratis-Koje begehen dürfen. Unter den zahlenmäßig schwach vertretenen Malern überzeugt besonders Ivan Andersen, präsentiert von der Galleri Bo Bjerggaard in Kopenhagen. Der 39-jährige Däne verstrickt in seine knalligen Kompositionen alle möglichen Alltags-Elemente – Parkplätze und Reihenhäuser kommen vor, Tankstellen oder Imbissbuden sind zu erkennen. Etwas wilder noch als Andersens Werke wirken die Mixed-Media-Tafeln des fernöstlichen Künstlerquartets Phunk Studio mit ihren Anleihen aus der Punk-, Graffiti- und Comic-Ikonografie. Die Art Seasons Gallery aus Singapur bringt etwas davon mit.
Wie schon letzten Herbst werden die Förderkojen der Art Cologne auch diesmal wieder gut bestückt sein mit Fotografie. Etwa von Hannes Norberg – der Düsseldorfer Künstler (Jahrgang 1969) plant seine kühlen, strengen Kompositionen mit dem Stift auf Millimeterpapier genauestens durch. Norberg zeichnet Flächen, Räume, Linien, Schichtungen. Dann baut er die abstrakten Objekte und bemalt sie zum Teil, um ganz zum Schluss, wenn alles stimmt, das Foto zu schießen. Vertreten wird der Künstler auf der Art Cologne von der Kölner Galerie Benden & Klimczak.
Ganz anders als Norberg geht Sveinn Fannar Johannsson beim Fotografieren vor. In den surrealen Inszenierungen des 30-jährigen Isländers stehen Menschen und Möbel Kopf. Irgendetwas befremdet immer: Und sei es nur jener Baumstamm, der angespitzt wie ein Buntstift mitten im saftig grünen Tannenwald steht.
Auch als Bildhauer arbeiten einige der »neuen Talente«. Zum Beispiel Johannes Esper, den Sebastian Fath Contemporary aus Mannheim im Programm hat. Esper, 1971 in Cochem geboren, hat sich auf die Darstellung alltäglicher Objekte in reduzierten Formen und oft ungewöhnlichen Formaten spezialisiert. Die »Klarsichthülle« bietet ein gutes Beispiel: Bei Esper ist sie 120 mal 84 Zentimeter groß, aus Glas und mit Transparentfolie beklebt.
Fast ein Drittel der Förderkojen wird diesmal von Installationskünstlern belegt. Darunter ist Wesly Meuris – die Galerie Annie Gentils aus Antwerpen bringt den Fachmann für supercoole Architektur-Installationen mit. In seiner Talente-Koje will der 30-jährige Belgier aus Holz, Glas, Licht und Kacheln einen Polarfuchs-Käfig bauen. Ebenfalls in die Installationskunst-Sparte fällt die von der Galerie Willy Schoots in Eindhoven vertretene Lisette Verkerk (Jahrgang 1973). Inspiration zieht die Niederländerin zum Beispiel aus medizinischen Präparaten, eingelegten Embryonen, Fossilien aller Art. Auch in Krankenhäusern geht sie gern auf Jagd nach neuen Bildideen. Verkerks ungewöhnliche Interessen spiegeln sich eins zu eins wider in ihren Werken: So hängte sie etwa an Ständer für Infusionsflaschen rote Schläuche, die – verheddert und verzweigt – sofort an Blutbahnen erinnern. Oder sie formte in Gummi die Oberkörper krebskranker Frauen nach der Brustamputation ab.
Das ausgewählte »New Talents«-Clübchen darf sich Hoffnungen machen. Immerhin konnte der Auftritt in einer Förderkoje bei der Art Cologne seit 1980 schon so mancher Karriere auf die Sprünge helfen. Seit Einführung des Programms vor 27 Jahren haben Kollegen wie Candida Höfer, Tracey Emin und Thomas Demand, Stephan Balkenhol, Günther Förg, Neo Rauch oder Thomas Ruff, Gregor Schneider, Thomas Schütte und Rosemarie Trockel in solch einer kostenfreien Jugendkoje gehaust.
Ob Koberstädt die Auszeichnung zum »New Talent« als Erfolg verbucht? »Vielleicht, ich weiß es nicht, aber das ist mir im Grunde auch ganz egal, die Hauptsache für mich ist, dass ich immer weiter arbeiten kann«, bemerkt er im Gespräch. Man sitzt direkt neben dem Atelier an einem großen Tisch in Koberstädts Wohn-Schlaf-Büro-Küche mit Kochplatte, Waschmaschine, Matratze auf dem Flokati; ein paar Bücher und Klamotten sind im Ikea-Regal untergebracht oder liegen einfach auf dem rohen Estrichboden. Früher sind hier einmal Autos und Motorräder repariert worden, dann standen die Räume jahrelang leer. Vor zwei Monaten ist Koberstädt eingezogen, er teilt sich die Wohn- und Arbeitsstätte nahe dem Düsseldorfer Hauptbahnhof mit einem befreundeten Kollegen.
Von einem schiefen Stapel unter dem Schreibtisch nimmt Kober-städt die Dokumentation seiner Auftritte der letzten rund drei Jahre. Sie beweist, dass er es ehrlich meint mit seiner Arbeitswut. Allerhand Projekte sind dort aufgeführt – zwischen Bremerhaven, München und Luxemburg. In Off-Räumen, mit Freunden, in Parks, auf dem Parkplatz, in der Fußgänger-Zone. Zwei Mal stellte er bereits in der renommierten Kölner Galerie Campana aus, die ihn seit 2005 vertritt und ihn nun auf der Art Cologne präsentieren wird.
Auch in größeren öffentlichen Institutionen war Koberstädt schon zu Gast. In der Gruppenausstellung »Compilation II« nahm er sich das Foyer der Düsseldorfer Kunsthalle vor – mit einer aufwändigen Konstruktion aus hohlen Holz-Rampen vor einer großen Waschbetonwand manipulierte er dabei raffiniert die Eingangssituation. Und für die Schau »Deutschland sucht…« im Kölnischen Kunstverein schuf er ein skulpturales Element aus Styropor und Rigipsplatten, die zickzackförmig gereiht den Ausstellungsraum durchzogen. »Man muss genau hinschauen«, sagt er. »Ich will nicht direkt überzeugen, will niemanden anschreien mit meinen Arbeiten.«
Was öffentliche Auftritte angeht, liegt er gut im Rennen. Zumal für sein Alter: Koberstädt wurde 1977 im baden-württembergischen Heidenheim geboren. Im Keller des Elternhauses startete er mit zwölf Jahren seine Laufbahn. Mit Hammer, Stemmeisen und Holzraspel schälte er damals aus Akazienholzklötzen organisch anmutende Formen, vielfach gewunden und verwachsen. Mit diesen Schnitzereien bewarb Koberstädt sich an der Kunstakademie in Düsseldorf und wurde nach dem Zivildienst 1998 sogleich angenommen. An der Hochschule, wo er bis 2004 die meiste Zeit bei Hubert Kiecol studierte, ereignete sich auch die Wende im Werk. Weg von den organischen Phantasien in Holz hin zu jenen raumgreifenden Installationen, die oft architektonischen Strukturen nahe kommen – Wänden, Räumen, Zäunen, gepflasterten Plätzen und immer wieder Rampen, wie man sie mit dem Skateboard befährt. Er verwendet seit einigen Jahren schon bevorzugt ganz gewöhnliche, industrielle Materialien, bestens bekannt von der Baustelle oder aus anderen urbanen Zusammenhängen. Auf einen öffentlichen Parkplatz in Bremerhaven etwa setzte er aus Baudielen an Schilderpfosten eine Art durchbrochenen Zaun und beschichtete ihn mit Fahrbahnmarkierungsmasse, die das Scheinwerferlicht einparkender Autos als glitzerndes Leuchten zurückgab.
Unter dem Titel »Rigips ist geil« baute Koberstädt für eine Schau im Kölner Atelier- und Ausstellungsraum Maxim eine gestreifte Truhe aus weißem und beige-grauem Gipskarton. Darin verstaute er das Bier für den Vernissage-Abend. Man musste die Kiste eintreten, um an die Flaschen heranzukommen. Am Schluss blieben vom Kunstwerk bloß eine Ruine und jede Menge Abfall. Hier erledigt sich die Frage nach dem Fortleben des Werkes nach der Ausstellung von selbst. Doch wie verfährt Koberstädt sonst mit seinen Rieseninstallationen? Für gewöhnlich baut er sie ganz einfach auseinander und verwendet das Material wieder in späteren Arbeiten. Nur wenige Bausätze bleiben in Koberstädts Kellerlager komplett erhalten. »Ich finde einfach, dass ich zu jung bin, um Dinge zwei Mal zu zeigen. Für mich ist es viel spannender, immer wieder etwas Neues rauszuhauen.«
Art Cologne; Messe Köln. 18. bis 22. April 2007. www.artcologne.de