Text und Interview: Bettina Trouwborst
//__Sie ist die Jüngste im tanztheatralen Bunde: Mit Pina Bausch, Reinhild Hoffmann, Gerhard Bohner und Hans Kresnik gehört Susanne Linke zur Gründergeneration des deutschen Tanztheaters. Gleichzeitig ist sie eine der letzten großen Solistinnen in der Tradition des deutschen Ausdruckstanzes. Wie keine andere Künstlerin hat sie das Erbe von Mary Wigman und Kurt Jooss in eine zeitgenössische Form über- und weitergeführt. Für ihr Lebenswerk erhält die 62-Jährige, die wie ihre Weggefährtin Pina Bausch besonders in Frankreich geschätzt wird, am 28. April den Deutschen Tanzpreis in Essen.
Tanz war für Susanne Linke zunächst mehr als nur Lust oder Berufung. Durch eine frühkindliche Erkrankung in ihrer Entwicklung gestört, lernte die evangelische Pfarrerstochter aus Lüneburg erst mit sechs Jahren sprechen und hören. Bewegung und Gestik wurden ihr zum ersten Ausdrucksmittel. Ihren Lebensweg – vom Aufenthalt in der Psychiatrie über den Jugendtraum, Tänzerin zu werden, bis hin zur reifen Künstlerin – skizzierte sie 1985 in ihrem Solo »Schritte verfolgen«, das jüngst auf PACT Zollverein als Rekonstruktion zu erleben gewesen ist. Ein hartes Stück Tanz, das damals viele Zuschauer erschreckte und Susanne Linke doch zum Durchbruch verhalf. Danach machte sie sich mit einem Koffer voller Solostücke auf zu einer weltweiten Karriere. Auch als Choreografin gefragt, arbeitete sie neben anderen für die Limòn Dance Company (New York), das Nederlands Dans Theater, Grupo Corpo (São Paulo) und das Pariser Opernballett.
Susanne Linkes Tanztheater ist unpathetisch und ehrlich – wie sie selbst. Es ist durchdrungen von einer Idee, der strenge Form und präzise Realisierung dienen. Bei aller Eleganz und Leichtfüßigkeit war ihr dabei der Tanz nie Selbstzweck. Ihren Erfolg, so sieht Susanne Linke es selbst, verdankt sie ihrer ästhetischen Sonderrolle, ermöglicht durch eine zweigleisige Ausbildung. Nach der Zeit bei Mary Wigman, der ideologisch motivierten Pionierin des deutschen Ausdruckstanzes, absolvierte sie eine technikorientierte Ausbildung an der Folkwang Hochschule in Essen. Nach dem Examen blieb sie als Tänzerin im Folkwang Tanzstudio unter der Leitung von Pina Bausch.
1975 übernahm sie mit Reinhild Hoffmann dort die künstlerische Verantwortung. Beide machten aus der Erprobungsstätte für den Nachwuchs ein professionelles Ensemble. Linke gelangen dort unkonventionelle Tanzstücke wie »Die Nächste bitte« (1978), »Frauenballett« (1981) oder das legendäre Solo «Im Bade wannen« (1980).
Ab 1994 baute sie mit dem Schweizer Urs Dietrich am Bremer Theater eine Compagnie auf. Linke ging im Jahr 2000, um die Leitung des neuen Choreografischen Zentrums in Essen zu übernehmen. Im Streit um die künstlerische Ausrichtung des Hauses scheiterten ihre Pläne. Susanne Linke zog nach Berlin und arbeitet seitdem wieder als freischaffende Choreografin und Solistin.
K.WEST: Sie erhalten den Deutschen Tanzpreis 2007. Fühlen Sie sich geehrt?
Linke: Ja, schon. Ich habe nicht damit gerechnet, dass aus dieser Ecke so etwas auf mich zukommen würde.
K.WEST: Was meinen Sie mit »aus dieser Ecke«?
Linke: Na ja. Zum einen gilt der Prophet im eigenen Land ja oft nichts. Aber das hat sich wohl geändert. Und dann ist der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik um Ulrich Roehm ja auch eher klassisch ausgerichtet. Aber es freut mich umso mehr. Inzwischen hat auch die Klassik verstanden, dass sie durch den Modernen Tanz Auftrieb erfährt. Auch die Reaktion der Leute, dass das nun auch Zeit gewesen wäre, hat mich gefreut. Es menschelt überall.
K.WEST: Warum war es Ihnen wichtig, dass Lutz Förster die Laudatio hält?
Linke: Wir haben an der Folkwangschule viel zusammen gearbeitet, er kennt mich am besten. Von ihm ist keine Lobhudelei zu erwarten. Er wird eine differenzierte Laudatio halten können, auch darstellerisch.
K.WEST: Sie haben einmal betont, dass Sie für den Erfolg hart schuften mussten. Hat es sich gelohnt?
Linke: Ja, das sehe ich jetzt wohl. Ohne harte Arbeit geht’s auf Dauer nicht. Dabei haben es die Jungen heute besonders schwer. Kaum machen sie ein gutes Stück, stürzen sich Kuratoren und Medien auf sie und üben gefährlichen Erfolgsdruck aus. Pina, Reinhild und ich hatten viel Zeit zu probieren, vor allem bei Pina hat es lange gedauert. Aber wir haben den Erfolg auch länger halten können.
K.WEST: Was hat Sie in schweren Phasen angetrieben?
Linke: Für mich war immer klar, dass der Tanz mein Ausdrucksmittel ist. Wenn ich eine Choreografie machte, reagierte das Publikum am wärmsten. Jeder Mensch braucht Liebe und tut deshalb das, womit er am meisten Erfolg hat. Ich habe nie Pläne gemacht und lebe von der Hand in den Mund. Pläne hatte ich nur ein einziges Mal, mit dem Choreografischen Zentrum in Essen, und das ist ja auch tüchtig schiefgegangen.
K.WEST: Sie haben auf PACT Zollverein soeben »Schritte verfolgen« von 1985 als »Rekonstruktion und Weitergabe 2007« herausgebracht. Wie erklären Sie sich den damaligen Erfolg dieses schwer verdaulichen autobiografischen Solos? Linke: Das weiß ich selber nicht. Man weiß selbst nie, wie man auf der Bühne wirkt. Aber auf den Videos von vor 20 Jahren sieht man, dass ich als Tänzerin nicht schlecht war. Die Uraufführung wurde vom Publikum mit Respekt aufgenommen. Die Fachleute haben gespürt, dass es eine Kraft hat.
K.WEST: Wie gelang es Ihnen, biografisch zu arbeiten, ohne sich selbst preiszugeben?
Linke: Das ist die Kunst. Man nimmt etwas von sich selbst und findet dafür eine künstlerische Form. So etwas muss gedanklich hart erarbeitet werden. Die Frage ist immer, wie man tänzerisch mit einem Konzept umgeht. Über den heutigen Begriff »Konzept-Tanz« übrigens kann ich nur lachen – als ob wir damals kein Konzept gehabt hätten.
K.WEST: Solotänzer unterliegen besonders der Gefahr des Narzissmus. Dieser Ruf eilt Ihnen nicht voraus.
Linke: Die technischen Anforderungen waren so hart, dass ich nicht dazu gekommen bin, mich selbst toll zu finden. Eine innere Spannung und Unsicherheit sind immer geblieben. Im Prozess des Älterwerdens umso mehr.
K.WEST: Von der »Wahrheit des Ausdrucks«, einer Forderung des Ausdruckstanzes, halten Sie nichts. Es zähle nur die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, sagten Sie einmal. Gibt es eine Ehrlichkeit gegenüber dem Publikum?
Linke: Das Publikum will belogen werden. Es will Klischees sehen, es will Illusion und Träume. Diese Erwartung nicht zu erfüllen, ist eine Gratwanderung. Ironie und Parodie sind da eine gute Möglichkeit. Deshalb mögen die Leute meine Stücke oft nicht; sie sagen, sie seien eine Zumutung. Heute arbeiten viele Künstler bewusst in diese Richtung. Sie wollen schockieren. Ich wollte berühren.
K.WEST: In Ihren Solotänzen durchbrachen Sie die damaligen Erwartungen des Tanzpublikums, indem Sie die Erhabenheit des Tanzes mit der Banalität des Alltäglichen konfrontierten. War das der intellektuelle Ansatz, oder entstanden Ihre Stücke aus dem Bauch?
Linke: Richtig, das ist aus dem Geist der 1970er entstanden. Ich habe aber immer erst verarbeitet, was mich beschäftigt hat. Intellektuell mache ich hinterher.
K.WEST: Wie war das beispielsweise bei »Im Bade wannen«, Ihrem bekanntesten Stück?
Linke: Da ging es mir um Einsamkeit und Melancholie, um den Moment des Tages, wenn man ganz für sich ist. Die erste Idee dafür war eine Toilette. Aber mit einer Toilette kann man nicht viel anfangen, sie transformiert sich nicht in andere Bilder. So kam ich auf die Badewanne.
K.WEST: Welche Projekte stehen als nächste an?
Linke: Ich habe keine langfristigen Pläne. Demnächst mache ich ein Solo am Aalto-Theater in Essen für Mario Perricone. Und mit Studenten der Folkwang Hochschule studiere ich »Fragmente-Skizzen« für die Preisverleihung ein. Es kommt auch die José Limón Company aus New York und tanzt »Extreme Beauty« (2003) von mir. Nächstes Jahr fliege ich in die USA und arbeite mit der »Philadelphia Dance Company«. Außerdem gebe ich Workshops, im Mai in Paris und Roubaix, im Juli in Zürich.
Ballettgala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises; 28. April 2007, Aalto-Theater Essen www.deutscher-tanzpreis.de