Text: Stefanie Stadel
// Diese Katzenaugen, dieses kantige Gesicht. Ihre vollen Lippen, der Gang, fast tänzerisch – eine überaus interessante Erscheinung. Immer wieder kreiste Alberto Giacometti um das Bild der Freundin Isabel Nicholas. In Büsten beschreibt er ihre charakteristische Physiognomie, in Skulpturen lässt er sich von ihrer Gestalt inspirieren.
Neuerdings weiß man, dass der Künstler mal wieder nur Isabel vor Augen hatte, als er seine berühmte »Frau auf dem Wagen« formte. Jene schlanke Gipsfigur, die sich so anmutig und ruhig auf ihrem beweglichen Untersatz präsentiert – wie eine ägyptische Königin. In schlichter Pose, die langen Arme dicht an den Körper gelegt. Ganz besonders im Gesicht mit den aufgemalten Zügen gibt sich das Modell zu erkennen. Die mandelförmigen Augen, in weitem Bogen überfangen von dunklen Brauen.
Dass es sich nicht einfach um eine ideale Frauenfigur ohne persönlichen Bezug handelt, wie bisher vermutet, sondern um eine Hommage eben an Isabel Nicholas, belegen auch Dokumente, die bei den gründlichen Forschungen im Vorfeld der großen Giacometti-Ausstellung in Duisburg ausgewertet wurden.
Das dortige Lehmbruck-Museum hat keine Retrospektive eingerichtet. Sondern eine dichte Themenschau rund um Giacomettis stolzes Schlüsselwerk aus der eigenen Sammlung. Mit 120 Leihgaben aus aller Welt rekonstruiert sie den breiten Werkkontext der 1986 für Duisburg erworbenen »Frau auf Wagen«. Sie beleuchtet das gute Stück von allen Seiten und wagt nebenbei auch einen Blick in sein Innerstes. Statt der üblichen Eisenstangen kamen beim Röntgen allerlei Gerätschaften aus Giacomettis Atelier zum Vorschein: Eine Feile, ein Brett – und im Hals ein Handbohrer, dessen Griff den Kopf durchquert.
Der Künstler hat sehr schnell gearbeitet, dabei offenbar nach allem gegriffen, was ihm in die Finger kam, um für Halt zu sorgen. Vielleicht eine Art Schaffensrausch. Denn nach vielen Jahren der Suche, in denen er verzweifelt an einem befriedigenden Bild des Menschen herummodelliert hatte, schien um 1945 mit der erstmals beinahe lebensgroßen »Frau auf dem Wagen« das Ergebnis der Mühen ganz nah. Giacometti war damals Mitte vierzig.
Ziemlich genau zehn Jahre zuvor hatte er sich von den Surrealisten entfernt, war zurückgekehrt zum Naturstudium. So fing alles an. In die gleiche Zeit fällt die erste Begegnung mit der elf Jahre jüngeren Isabel Nicholas, auch sie Künstlerin, auch sie gewandt unterwegs in der Pariser Intellektuellen-Szene. Die beiden hatten sich viel zu sagen und waren wohl auch sonst einander zugetan.
In einem mit dem Taschenmesser geschnitzten Gips-Figürchen erfasst Giacometti Mitte der 30er Jahre erstmals ihre ganze Gestalt. Allerdings im Miniformat, denn er wollte die Freundin unbedingt genau so zeigen, wie er sie wahrgenommen hatte. Um Mitternacht auf dem Boulevard Saint Michel, als sie sich mehr und mehr von ihm entfernte, ihr Körper zwischen den Häuserzeilen ganz klein geworden war. Die Skulptur sollte kein Abbild sein. Nein, sie sollte genau jene visuelle Erinnerung festhalten. Eine Idee, die Giacometti bei seiner Arbeit am Menschenbild über lange Zeit gefangen hält.
Als der Krieg Isabel und Alberto entzweite und über Jahre fernhielt von Paris – sie in England, ihn in der Schweiz –, standen ihre Zukunftspläne fest: wiedersehen und zusammenbleiben. In Genf und Maloja arbeitete Giacometti während dieser Zeit der Trennung weiter an den Miniskulpturen, die unter seinen Händen immer weiter schrumpften. Viele brachte er mit dem Schnitzmesser zum Zerbröseln. Was heil blieb, konnte er oft in Streichholzschachteln stecken und in der Hosentasche verstauen. Die Schau in Duisburg bringt beste Beispiele aus dieser Werkgruppe zusammen. Giacomettis Figürchen sind berühmt, auch wenn sie den Künstler selbst keineswegs zufrieden stellten.
Wie nur kann man die flüchtige Erscheinung festhalten, wie dem in der Ferne Gesehenen plastische Gestalt verleihen? Als er die Lösung bei der Arbeit an der großen »Frau auf dem Wagen« plötzlich vor Augen hatte, fesselte dies Giacometti so sehr, dass er sogar das Wiedersehen mit Isabel aufschob. Am 30. Juli 1945, mehr als zwei Monate nach dem von Deutschland und Frankreich unterzeichneten Waffenstillstand, schreibt er ihr: »Bald werde ich Sie sehen, es ist nicht das fehlende Visum, das mich am Einreisen hindert, ich kann einreisen, wann ich will, ja es ist meine Skulptur, die mich seit drei Jahren am Einreisen hindert, die mich hier in Genf zurückhält, in einem Leben in der Schwebe.« Und weiter: »Die Figur, das sind Sie, wie ich Sie für einen Moment gesehen habe, vor sehr langer Zeit, auf dem Boulevard Saint Michel.«
Die »Frau auf dem Wagen« weist schließlich auch den weiteren Weg in Giacomettis Schaffen. Von nun an werden seine Gestalten nicht mehr kleiner und kleiner. Er macht sie magerer und magerer, um eine adäquate Darstellung von Nähe und Abstand, von Raum und Weite, Masse und Leere zu erreichen. »Sind sie Erscheinungen oder Entschwindungen?«, fragte einst Jean-Paul Sartre beim Anblick jener fadendünnen Wesen, die einem beim Namen Giacometti bis heute sofort in den Sinn kommen. Das Lehmbruck-Museum kann diese Entwicklung in wunderbaren Stücken anschaulich machen. Dazu etwa den 1950 von Giacometti mit riesigen Rädern und typischer Fadenfrau bestückten »Wagen« aus dem Museum of Modern Art in New York auffahren.
Nachdem der Durchbruch also endlich geschafft war, als die schöne Frau mit Handbohrer im Genick fest auf ihrem kleinen Gefährt stand, konnte Giacometti endlich aufbrechen nach Paris. Isabel und er lebten dort zusammen in seinem Wohnatelier. Doch hielt die Zweisamkeit nur kurz. Als sie wieder auszog, erklärte die Künstlerin, gemeinsam würde man »ersticken«. Trotzdem – die Freundschaft dauerte fort. Auch als Giacometti bereits neu liiert war mit der 20 Jahre jüngeren Annette.
Isabel nahm sich damals vor, die Kontakte einzuschränken. Ohne Erfolg. Sie traf den Freund weiterhin in Bars, Restaurants, im eigenen Dachatelier und erstattete einer Freundin per Brief Bericht: »Mein Gott, ich habe ihn so sehr ins Herz geschlossen. Eine Stunde mit ihm zu sprechen fühlt sich an wie lange Ferien haben.« //
Lehmbruck-Museum, Duisburg. Bis 18. April 2010. Katalog im Hirmer Verlag 25 Euro. Tel.: 0203/2833294; www.lehmbruckmuseum.de