TEXT: ANDREAS WILINK
»Der bisweilen leere Raum« – so titelt der Prolog von Martin Heckmanns. Sein Vorruf hört hinein in den Echoraum der möglichen (oder nötigen) körperlichen und geistigen Gemeinschaft, die das Theater herstellt. Motive von Vergänglichkeit, Zeitlichkeit, Verausgabung werden angeschlagen, aber nicht so, wie ein Antiker oder der Deutsch-Hellene Hölderlin gedichtet hätten, auch wenn der ferne Klang der Götter Griechenlands herüber zu tönen scheint. Vielmehr gebrochen, ironisch, scherzhaft, nonchalant mokant. Vielleicht ist der erste Fehler von Anselm Webers Uraufführung in den Bochumer Kammerspielen der, den Prolog von der »Hospitantin« im Stück sprechen zu lassen und ihn an Ort und Stelle zu konkretisieren, dort, wo das Folgende stattfindet. Exterritoriales Gelände wäre besser. Ungreifbarer.
»Ich nehme an, Sie haben sich in der Zeit vertan«, sagt in der ersten Szene der ältere Schwinder (ein sprechender Name wie der seines Rivalen, des Jungspunds Neumann). Heckmanns selbst wiederum hantiert hier bewusst virtuos mit historischen Formen des Dramas. Beide, Schwinder und Neumann – Günter Alt und Matthias Kelle im habituellen Theater-Schwarz – haben einen Termin für ein Vorsprechen, der von der Hierarchie des Systems geschürt wird zum Konkurrenzkampf auf der Bühne unter einem Baum (Beckett?). Ihr Spiel und das einer dritten Person, der vom Zufall heran getragenen Sophie Sikora (Therese Dörr), steht unterm Patronat derer, die gern den Vorhang lüpfen.
Regie-Anweisungen lassen auf ein modernes, ordnungswidriges Mysterienspiel schließen, profanisiert von Aktualitäts-Partikeln. Schwinder und Neumann – als Jedermänner Kandidaten für diese Rolle im Welt- und Lebenstheater – warten auf einen dritten: Obermann (sprechend!), den Regisseur, der seit längerem mehr durch Abwesenheit als durch seine Arbeiten von sich reden macht. Er bleibt unsichtbar, indes ein Kind (Beckett!) ein Nachspiel bescheren wird.
»Es wird einmal«, ein Futur mit Vergangenheit, verbreitert sich zur aktuellen Bestandaufnahme. Immer in Beweisführungspflicht und als Bewährungsprobe für Schwinder und Neumann. Karl Joseph und Max heißt solch ein Duo bei Botho Strauß, Jay und Goldberg bei Tabori. Der Realismus des Altmeisters Schwinder trifft auf die unhistorische »Gegenwartsversessenheit« des Schnösels Neumann. Zur Kenntlichkeit entstellt begegnen uns in ihnen und ihren Darstellern Günter Alt (versonnen, argwöhnisch, zart, wie es die Dicken oft sind) und Matthias Kelle (von angestrengt williger Einsatzfreude) Ernst und Spiel, schöne Lüge und Expertise der Wirklichkeit, Hohe Schule mit Lebenskrise versus performativer Kunst, die sich versiert zeigt in Fiktionen und Simulationen. Die Figuren tasten sich vor im vorgeblichen oder tatsächlichen Raum der Freiheit (Hermann Feuchters Bühne bietet ein grau-weißes Abstraktum im Karree). Aber das einstige Planquadrat mit festen Regeln, Gewissheiten und Abläufen hat seine Grenzen längst verschoben. Nicht nur die vierte Wand wurde geschleift.
Alles, was Heckmanns über den Theaterbetrieb weiß – offenbar eine ganze Menge –, fließt ein. Dora, die Assistentin des unsichtbaren Regie-Gottes (Minna Wündrich – tough wie Bettina Böttinger), treibt die drei Schauspieler durch Liebesszenen, philosophische Reflexionen, Camouflagen und Stationen. Der Zusammenhang verschwimmt: Schwamm drüber! Heutzutage flutet alles. Der 100-jährige Ur-Jedermann hatte nur allegorische Auftritte zu verkraften. Problembewusstsein, soziales und politisches Engagement der moralischen Anstalt, Diskurs-Theorien werden ebenso gestreift wie die schelmische Selbstbespiegelung des Autors aus dem Niederrheinischen und seines Alter Ego Neumann. Biografie –noch ein Spiel. Anselm Weber fällt einiges ein. Zu viel. Und dabei zu munter, zu fix, zu kess. Das Stück ist um einiges klüger, als seine Uraufführung. Mehr menschliche Komödie wäre drin gewesen, die im Idealfall Leben respiriert und reflektiert, weniger maskierte, mit Requisiten behangene Komik. Mehr Kunst. Mehr Leicht-Sinn. Mehr Einfachheit. Man muss nur das Kind vom Ende beim Wort nehmen: »Ich bin kein Zeichen. Ich bin einfach nur da.« Der Rest kommt fast von selbst.