Am 11. Oktober 1963 saßen im Düsseldorfer Möbelhaus Berges an der Flinger Straße Gerhard Richter und Konrad Lueg im Schaufenster und »demonstrierten« für den kapitalistischen Realismus, Konrad Lueg auf einem grünen Sessel, Gerhard Richter auf einer Couch. Am 10. Juli 1968 nahm Konrad Lueg wieder einmal im Schaufenster Platz, nur befand sich in der Umgebung kein Möbelhaus. Er hatte inzwischen seine eigene, handtuchschmale Galerie in der Düsseldorfer Altstadt auf der Neubrückstraße 12, einer ehemaligen Toreinfahrt. Konrad Lueg, der sich nun mit seinem richtigen Namen Konrad Fischer nannte, eröffnete eine Ausstellung von Bruce Nauman. Wieder war kein Werk im herkömmlichen Sinne zu sehen, wieder tauchte Gerhard Richter auf. Nauman erinnert sich: »Auch wenn niemand sonst da war, Gerd war da, und wir drei, Gerd, Konrad und ich, gingen ein Bier trinken. Manchmal haben auch noch zwei japanische Studenten vorbei geschaut. Zu jener Zeit war es sehr ruhig.«
Bei der Verleihung des ersten großen Düsseldorfer Kunstpreises an Bruce Nauman im März dieses Jahres war das Haus am Ehrenhof voll. Anlässlich der Ehrung berichtete der Künstler, wie er mit einem preiswerten Flugticket nach Europa gekommen war, das dem Reisenden einen dreiwöchigen Aufenthalt in Düsseldorf abverlangte. Dem Jung-Galeristen Konrad Fischer war dies nur recht, denn so konnte Nauman an Ort und Stelle arbeiten und über Fischers Wohnung auf dem Dachboden schlafen. Werke aus Amerika einzufliegen, wäre teurer gewesen. Die neue Kunst entstand im Prozess – und auch Zufälle gehören nun einmal zum Neuen.
Der Einstand in der rheinischen Kunstszene, zugleich Bruce Naumans erste Einzelausstellung in Europa, war ärmlich – viel zu sehen gab es nicht. »Six Sound Problems for Konrad Fischer« bestand aus sechs verschieden langen Tonbändern mit unterschiedlichem Inhalt, die montags bis samstags als Loop abgespielt wurden. Ein altes Foto gibt die Situation wieder: Fischer, Ex-Student der Malerei und 20 Monate älter als der Amerikaner aus Fort Wayne, sitzt in seinem Kabuff, auf einem Hocker liegt das Tonbandgerät. Eine Tonschleife windet sich quer durch den Raum um einen Stift, der mit Klebeband an einem Stuhl befestigt ist. Auf die Einladungskarte schrieb Nauman, was den Besucher an akustischen Phänomenen erwartete: »Gehen in der Galerie. Zwei Bälle aufprallen lassen in der Galerie. Violinenklänge in der Galerie. Gehen und Bälle aufprallen lassen. Gehen und Violinenklänge. Violinenklänge und Bälle aufprallen lassen.« Während das Bandgerät an Ort und Stelle blieb, änderte Fischer im Auftrag des Künstlers täglich die Position des Stuhls und damit die diagonale Verspannung der Tonschleifen im Raum. Ob das Stolpern der Gäste über die Bänder einkalkuliert war, lässt sich nicht mehr feststellen. Es gehörten schon außerordentliche seherische Fähigkeiten dazu, um in dieser akustischen Versuchsanordnung den Beginn der Karriere dreier Weltstars zu sehen. Gerhard Richter und Bruce Nauman lösen sich regelmäßig als Nummer Eins im »Kunstkompass« der internationalen Elite ab; Fischer wurde und blieb bis zu seinem Tod vor zehn Jahren einer der führenden Galeristen nicht nur in Deutschland. Was hat Fischer nicht alles für Nauman getan! Er hat ihn bei den Schauen »Prospect« 68 und 71 sowie bei »When attitudes become form« – allesamt in der Kunsthalle Düsseldorf – platziert. Bruce Nauman war auf der Kasseler documenta 4, 5 und 7 sowie auf der Biennale in Venedig zu sehen und so weiter. Fischers Witwe Dorothee hielt den Kontakt nach dem Tod ihres Mannes. 2001 verdunkelte sie das gesamte Ausstellungshaus, um das Video »Mapping the Studio« zu präsentieren: mit Mäusen und einer umher schleichenden Katze als den Akteuren eines Geduldspiels, bei dem die Zuschauer sich auf rollende Drehstühle setzen und bis zu fünf Stunden und 45 Minuten ausharren konnten.
So ist es wahrlich an der Zeit, die Galerie mit einer Hommage zu würdigen. Der schmale Raum der Neubrückstraße wird im NRW-Forum nachgebaut, und es sind Arbeiten aus der Sammlung Dorothee und Konrad Fischer zu sehen. »Einfach« im Sinne einer an Samuel Beckett erinnernden Handlung, ohne viel Theater, ohne szenische Effekte ist Naumans Kunst geblieben. Ihr Autor liebt das Katz- und Maus-Spiel ohne Anfang und Ende. Besagtes Video endete dort, wo es begonnen hatte. Doch was heißt schon Ende? Nauman filmte jeweils eine Stunde pro Nacht im selben Raum und addierte all die vielen Stunden, wo die Katze die Maus nicht fängt… Der heute 65-jährige Nauman, der sich in seiner Jugend mit Mathematik, Physik und Musik beschäftigt hat, ist als Künstler bei der Haltung des Forschers geblieben. Ihn interessiert die Frage, wie Kunst, Künstler und Kunstgänger auf und in wechselnden zeitlichen, musikalischen, körperlichen Abläufen reagieren.
Für seine zweite Schau bei Fischer, 1970, baute der Amerikaner eine übergroße schallschluckende Schaumstoffwand diagonal in den langen, schmalen Korridor und ließ die Galeriebesucher praktisch in die wattierte Spitze hinein laufen. »Diagonal Sound«, so der Titel, gehört zu einer Werkgruppe, in der sich Nauman mit dem Hörsinn als Mittel der räumlichen Orientierung befasste. Das watte-artige Material verändert die Geräusche im Korridor und den Druck in den Ohren der Betrachter und Lauscher.
Bis heute erstaunen diese frühen, äußerst schlichten, formal leicht zu fassenden Installationen der 60er und 70er Jahre, darunter auch der »Performance-Korridor« von 1970 aus Holzwänden. Stets wurde und wird man selbst einbezogen und zugleich mit seinen Empfindungen allein gelassen. Das hat mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit zu tun, aber auch mit einem gewissen Galgenhumor; es spricht jeder Eventkultur Hohn, zwingt das Gegenüber, physisch und seelisch mitzudenken und zu handeln. Die Verunsicherung, die Bloßstellung der Wahrnehmung ist Teil der Kunst; eben »Mental Exercises« – Denkübungen oder gar Exerzitien. Zugleich leistet die Präsentation als Teil der Quadriennale 2006 einen Verweis auf die Wiege der Konzept-, Minimal- und Prozess-Kunst und mithin auf die Pionierleistung der Galerie Konrad Fischer. //
»Mental Exercises«, Galerieausstellung: 9. Sept. bis 14. Januar 07; »Bruce Nauman in Düsseldorf – eine Galeriesausstellung«: 9 Sept. bis 1. Okt; www.nrw-forum.de