TEXT: GUIDO FISCHER
2013 endet eine Ära. Zum letzten Mal bespielt das Moers Festival im Schlosspark jenes Zirkuszelt, das in den vergangenen 25 Jahren niederrheinischen Gewitterstürmen und internationalen Jazz-Attacken trotzen konnte. Angesichts knapper kommunaler Haushaltskassen muss das Festival 2014 in eine neue Halle umziehen, für die das Land NRW immerhin Gelder zugesagt hat. Wie weit der um 40 Prozent gekürzte städtische Zuschuss sich auch in der Programmplanung des seit 1972 stattfindenden Festivals bemerkbar machen wird, ist ungewiss. Dunkle Zukunftsmusik.
Die 42. Ausgabe des traditionellen Pfingst-Meetings jedenfalls hat bereits im Vorfeld nicht nur aus nostalgischen Gründen für Schlagzeilen gesorgt. Als Festivalleiter Reiner Michalke die Besetzungslisten der vier Konzerttage bekannt gab, konnte er für den Eröffnungsabend einen Coup verkünden. Auch dank der finanziellen Unterstützung der Kunststiftung NRW hat Michalke es geschafft, dass der amerikanische Saxofonist John Zorn mit einem Riesenaufgebot prominenter Musikerfreunde zuerst in Deutschland gastiert, bevor der einflussreiche und schillernde Soundalchimist mit diesem Projekt nach Kanada, England, Belgien und Polen reist, um dort seinen 60. Geburtstag zu feiern.
Doch selbst die vier zu einem »Zorntag« gebündelten Konzerte sind nur eine winzige Momentaufnahme eines vielschichtigen Lebenswerks, an dem der New Yorker seit den 1970er Jahren wie ein Besessener arbeitet. Was allein seit seiner kleinen Bilanz dazugekommen ist, die er 2003 anlässlich des 50. gezogen hat, spricht Bände. 2004 etwa komponierte Zorn für sein »Book of Angels« auf einen Schlag 300 Stücke, in denen der streng unorthodoxe Jude die jüdische Musiktradition mit zeitgenössischem Jazz kurzschloss. Zwischendurch zappte er zwischen Cool-Jazz und sperrigen Klangwänden. Wenn er nicht ein neues Streichquartett komponiert, sorgt er in Anlehnung an Antonin Artauds »Theater der Grausamkeit« dafür, dass der Sänger Mike Patton in dunkle Seelenfolterkammern herabsteigen konnte.
Eines dieser avantgardistischen Noise-Jazz-Manifeste taufte Zorn auf den Namen »Moonchild« und erweiterte es zu einem Zyklus. In Moers ist nun mit »Templars« das jüngste Kapitel daraus zu hören – mit Mike Patton sowie den engen Zorn-Vertrauten John Medeski, Joey Baron und Trevor Dunn. Überhaupt hat John Zorn für seine ausgewählten Kompositionen jahrhundertealte Geschichte angezapft. Neben der Hommage an die Tempelritter gibt es ein Mysterienspiel zu Ehren der Hildegard von Bingen. Während seine Band Electric Masada jüdisch-arabische Melodien mit Blues, Surf-Sounds und Modern Jazz kreuzt, erinnert das Streichquartett »The Alchemist« an einen englischen Mystiker aus dem 16. Jahrhundert. In Europäischer Erstaufführung wird das Werk vom Arditti Quartet gespielt, das als renommiertes Kammer-Ensemble für zeitgenössische Musik somit den Neue Musik-Komponisten John Zorn adelt. Bis auf die Ardittis bricht im Anschluss zwar der gesamte Zorn-Tross nach Kanada auf. Doch zumindest zwei seiner Weggefährten werden bei ihren Auftritten seinen Geist bewahren. So bildet Gitarrist Fred Frith mit der Percussionistin Evelyn Glennie ein Improvisationsduo; und mit seinem Trio Blixt pustet und schüttelt Bassist Bill Laswell das Zelt noch ein letztes Mal kräftig durch.
17. bis 20. Mai 2013. www.moers-festival.de