TEXT: GREGOR JANSEN
In diesen Wochen wird das Bonner »Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland« (HdG) zehn Jahre alt – knapp neun Millionen Besucher haben bisher die Dauer- und Wechselausstellungen des HdG besucht. Anders als das zweite große deutsche Geschichtsmuseum, das »Deutsche Historische Museum« in Berlin, beschäftigt sich das HdG nur mit der Entwicklung der BRD. Zum Jubiläum gibt es eine Jubiläums-»Danke!«-Schau, aber auch eine Ausstellung, die die Macht der politischen Bilder untersucht – und damit implizit das Wirken des Museums selbst, das seinen Gegenstand dito durch die Macht der Bilder zu vermitteln sucht, nämlich »erlebnisorientiert, interaktiv und multimedial«. Was ihm – Feier hin oder her – jüngst erneut harsche Kritik aus dem Munde des angesehen Historikers und Bochumer Emeritus Wolfgang Mommsen eintrug, der dem Bonner Haus Verniedlichung der Geschichte vorwarf. | K.WEST
Warum glauben wir an Bilder, obwohl wir wissen, dass sie falsch sind? Warum sind Bilder derart zweideutig, machen so viel Ärger? Warum hat Bill Gates mit »corbis« das größte Bilderarchiv der Welt erworben? Bilder provozieren permanent Fragen. Wer die Macht der Bilder nutzt, hat Macht. Bilder sagen mehr als tausend Worte, suggerieren Objektivität und prägen die Wirklichkeit.
Das Bonner Haus der Geschichte fokussiert mit der Ausstellung »Bilder und Macht im 20. Jahrhundert« den Blick auf die politischen Inszenierungen und ihre medialen Multiplikatoren. Politiker sind ihr Hauptaugenmerk, Politik als personifizierter Bild-Macht-Komplex. Antworten werden gleich zu Anfang mit auf den Weg gegeben: »Wer die Bilder beherrscht, beherrscht die Köpfe«, wird Bill Gates zitiert, und neben ihm der Doyen der Machtanalytik, Machiavelli: »Es ist notwendig, seine Natur gut zu färben und eine großer Versteller und Verschleierer zu sein«. In Bonn beginnt die Geschichte später und eher harmlos mit dem konventionellen Herrscherporträt in Öl. Kaiser Wilhelm II. im Hermelinmantel repräsentiert stolz und steif Preußens Glanz und Gloria: »Der Staat bin ich«. Jedoch künden Ernst Thälmann, Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg schon von neuer Zeit. Letztere, die ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, lassen in ihrer medialen Repräsentanz bereits eine Prise Wirkungsästhetik der Macht spüren; Ebert in Badehose ist im Gegensatz zum pickelhaubenbewehrten ehemaligen Generalfeldmarschall erstes Opfer am Angelhaken der öffentliche Meinung bildenden Propagandamaschinerie. Im Übergang zum Nationalsozialismus wird derartige Massenmobilisierung anhand von Wahlplakaten, Schriftdokumenten oder gar Kinderspielen wie Hitler-Quartettkarten in der Ausstellung anschaulich. Politische Auseinandersetzung weicht nun einem alle Lebensbereiche okkupierenden, zentralen Personenkult um Adolf Hitler. Ein Wandtext zitiert ihn: »Mir gehört das Bild!«
Eindrucksvoll weisen hier Hitlers sorgsam inszenierte Posen, die sein Fotograf Heinrich Hoffmann festgehalten hat, auf die Dialektik fotografischer »Volksaufklärung und Propaganda« hin. Das gleichnamige Ministerium steuerte perfide die Nutzung und Verwendung der Bilder, perfektionierte ihre Rhetorik bis hin zur Retusche unbeliebt gewordener Personen, dem Verbot bestimmter Motive oder angeblich zu privater oder künstlerisch kritischer Abbildungen.
Freilich ist auch Film vertreten. Charlie Chaplins köstlicher Auftritt in »Der große Diktator« als ballverliebter Jongleur in der bezaubernden Weltkugelszene ist allerdings mit einem Globus aus der Münchener NSDAP-Zentrale formal verbunden und wird thematisch direkt neben nach Kriegsende verbreiteten Hitler-Fahndungsfotos präsentiert – eine sehr fragwürdige Verbindung. Wenn dann noch gegenüber Leni Riefenstahl mit »Triumph des Willens« aufblitzt, wird die ungemein arglistigste Inszenierungsgewalt der Bildpropaganda zwischen krankhafter Imagination und dokumentarischer Halbwahrheit schlicht zu lässig demonstriert.
Unbestritten hatte es hier die DDR »besser«. Aus ihrem Kontext stammt der stille Star der Ausstellung, eine dem jüngeren Ikonoklasmus entkommene und mittlerweile in Süddeutschland beheimatete Stalinstatue – heute zugegebenermaßen ein degeneriertes Denkmal auf verlorenem Posten. Das jähe Ende der Beschwörungen eines »Neuen Menschen« kennen wir nur allzu gut. Der real existierende Sozialismus verordnete seinen Bürgern eine Wirkungsästhetik, die nur figurativ und »realistisch« huldigend in Szene zu setzen war; hingegen richtete die unästhetische Demokratie des anderen Deutschland es sich häuslich in der Warenästhetik einer konformistischen Popgesellschaft ein. In der Bonner Ausstellung wird Bild-Geschichte rein über die Machthaber veranschaulicht, sodass Pieck, Ulbricht und Honecker den steinernen Stalin umranken. Sie wirken hierbei wie Pappfiguren, die im Projektionsbild der Paraden des schicksalhaft-letzten 40. Jahrestags der DDR flimmern. Und auf der großen Zitatwand versteckt findet sich wie zum Trost klein und bescheiden der Grundsatz: »Wir sind das Volk«.
Den Schrecken der Tyrannei stehen diejenigen der Demokratie gegenüber. Ein zu einem Adenauerkopf umgemeißeltes Hitlerporträt ist »ikonoklastisches Gegenreformationszeugnis« jener Kompromisse und schielt bereits in der Überleitung zur BRD auf die Großleinwand mit amerikanisch bildtrunkenen Beispielen von Wahlkämpfen, deren einer 1957 mit Adenauer »Keine Experimente!« versprach. Erhellend ist hier der Verweis auf die Studien Elisabeth Noelle-Neumanns, die zehn Jahre zuvor das erste deutsche Meinungsforschungsinstitut in Allensbach gegründet hatte. Ihre aus den USA angeregten Massen- und Politikuntersuchungen stehen zu Beginn eines noch zaghaften wirkenden, doch bereits messerscharf kalkulierenden Kanzlerwahlkampfs, der wie so viele Lebensbereiche unter dem Slogan »Go West« stand. Mit dem »deutschen Kennedy« Willy Brandt, dem wir mit dem Kniefall in Warschau 1970 (dank omnipräsenter Kameralinsen) eine der wirksamsten politischen Gesten verdanken, beginnt es aber auch humorig zu werden: Die Werbekampagne mit dem angeblichen Angler im Familienkreis wird von Brandts eigenem Sohn per O-Ton als strategische Lüge aufgedeckt.
Richtig bunt wirken die Kapitel Imagemacher, Politainment oder TV-Duell, flotte Kampagnen austauschbarer Produkte, konzeptioniert und ausgeklügelt von Wahlstrategen, Image-Beratern, PR-Consultants oder Spin-Doktoren. Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, speist genüsslich eine Birne, sieht sich in der Masse geborgen und aus ihr herausragend; der Medien-Kanzler Schröder gefällt sich modisch, schmauchend, gut aussehend und weniger handelnd – Politik wird Show. Schlicht und ergreifend ist der letzte Raum der Ausstellung »Spuren der Macht« mit den über längere Zeiträume entstandenen Politikerporträts von Herlinde Koelbl. Sie zeigt die stupende Verwandlung des Menschen durch das Amt am Beispiel Joschka Fischers, Angela Merkels oder Gerhard Schröders. Jedoch ist eine durch das Amt provozierte Wahrnehmung des Betrachters hierbei unbewusst mitdefiniert. Politik ist in diesem Fall der Systembeobachtung ein auf den einzelnen direkt zurückführendes Bild als Körpersprache, die insoweit als »versteckter Handlungsausdruck« Rückschlüsse auf die innere Befindlichkeit zuzulassen scheint.
Dem Kunsthistoriker Hans Belting zufolge kann in der Dreierkonstellationen Bild – Bildapparat – lebender Körper kein Teil ohne den anderen existieren, sie sind verbunden und durch die Qualität der anderen determiniert: »Alles, was in den Blick oder vor das innere Auge tritt, lässt sich zu einem Bild klären oder in ein Bild verwandeln. Wir leben mit Bildern und verstehen die Welt in Bildern.« Das Bild ist ein schlagkräftiges Argument, »das Resultat einer persönlichen oder kollektiven Symbolisierung.« Leider erfährt man in Bonn wenig über die Welterfahrung, die in der Bilderfahrung eingeübt wird und werden soll, oder über Bilderfahrung, die wiederum an mediale Erfahrung gebunden ist. Derart brisante und mitunter desillusionierende Themen möchten die Kuratoren Jürgen Reiche und Ulrich Op de Hipt nicht eingebaut wissen, sondern sie verlassen sich auf eine materialreiche, oberflächliche Ausstellung. Insgesamt wird leider nur kokettiert mit visueller Aktivität im sozial-kulturellen Raum, den sattsam bekannten, inszenierten Politikergesten. Dass wir aber entweder nur von Medien reden, wenn wir Bilder meinen, oder von Macht manipuliert scheinen, wenn wir die Bilder und Medien betrachten, setzt die Ausstellung simplifizierend fort. Am Ende wird der Besucher sehr naiv zur eigenen Meinung befragt: Wer hat Macht über die Bilder: die Medien oder die Politiker? Schauen wir nach Italien und in die USA, gilt es doch eher zu fragen: Was ist der Unterschied?
Haus der Geschichte, Bonn, bis 17. Oktober 2004. Tel.: 0228/91650. www.hdg.de