TEXT: ANDREAS WILINK
Fehlen nur noch die Zöpfe, die er sich schon mal als Perücke im Hamburger Thalia Theater aufgesetzt hat: das zu Zöpfen geflochtene Haar der Elfriede Jelinek. Sonst ist, trotz kahlen Schädels, Nicolas Stemann dabei, sich bühnenillusionär in die Dramatikerin zu verwandeln. Er textet wie sie und inszeniert, als würde eines ihrer Themen-Stücke von ihm aus dem Text-Block gehauen in viele kleine bunte Splitter. Im Kölner Schauspielhaus heißt das Thema: »Der demografische Faktor«, also die alternde und die schrumpfende, die kinderunlustige und die konsumlaunige, die um ihre Rente bangende und überhaupt die globale und sowieso immer undurchschaubarere Gesellschaft. Man höre und staune: Es geht bergab bei steigendem Wohlstand.
Drei Männer in Strickwesten, was sie nur noch lässiger, scheinprivater und retro-coolwooliger sein lässt (»Nicolas«, »Thomas« und »Sebastian« – die 130 Minuten sind sehr auf »per Du« gearbeitet), haben sich bei Insterburg und Co abgeguckt, wie man sich durch einen mauen musikalischen Abend witzelt (damals hieß es noch nicht »performt«) – trotz dürftiger Theorie-Lektüre und bei schlapper Bühnenpräsenz. Zu der »Unterhaltungstragödie« gehört, dass das Schließpersonal unter die Zuschauer im Kölner Schauspielhaus Rotwein in Pappbechern verteilt. Was einiges über die Geschmacksfähigkeit der Theatermacher aussagt.
Eine halbe Stunde ist das Trio sich selbst genug (»Es triggert meine Kreativität ungemein«, Zitat Stemann, über seine aus den Proben mitgenommene Produktivität und die von ihm offenbar hoch eingeschätzte Wirkung). Dann wird per Video auf banderolenartig rundum aufgehängten Planen der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann eingespielt – und verheizt, indem Stemann die soliden Erläuterungen des Bielefelder Emeritus zur Bevölkerungsentwicklung etc. schnöselig abbricht. Desweiteren spielen drei Darsteller die den Generationenkonflikt trivialisierende Sitcom »Rolf und seine Freunde«; eine krähende Japanerin springt auf einem Trampolin; das »Helmi«-Duo lässt Puppen tanzen. Weil Chor immer geht, variieren Seniorinnen die Ode an die Freude (»Alt sein ist keine Schande«). Noch besser funktioniert ein Kind auf der Bühne: Also erzählt ein Mädchen mit beeindruckender Sprachkompetenz vom Schlaraffenland der Sozialsysteme, bevor die Schauspielerin Myriam Schröder sich virtuos an einen Monolog verausgabt, der sich angesichts der Komplexität und Unübersichtlichkeit der Verhältnisse in die Handlungshemmung duckt. Ob Stemann eigentlich merkt, wie kindisch sein Party-Machen mit dem Problem ist? Das Publikum verhielt sich übrigens parallel zur Bevölkerungskurve: Die Zahl sank deutlich im Lauf der Zeit.
Es war nicht die erste Premiere dieser Saison, mit der Karin Beier das Erreichte aufs Spiel setzt und den Eindruck erweckt, Köln schon hinter sich gelassen zu haben.