Dar al-harb, Haus des Krieges, heißt unter islamischen Eschatologen die nicht-islamische Welt. Dort, in Frankfurt am Main, hatte Jochen Sawatzky ein Zimmer, es war verwahrlost in jedem Sinne, denn der junge Jochen war ein Junkie, ein Dealer, ein Spitzel der Polizei. Bis ihm eines Tages Fernsehbilder von afghanischen Mudschaheddin ins Hirn fl immerten und eine Frau über den Weg lief, die nicht nur schön, sondern auch irgendwie heilig wirkte: Arua, eine junge Ägypterin. »Drei Tage später, drei Tage, in denen er an nichts anderes denken konnte, beschloß Sawatzky, sein Leben zu ändern.« Aus dem Frankfurter Würstchen wird ein Messer, das fortan in anderen Menschen Würstchen zum Abstechen sieht. Abschießen, genau genommen. In der Gruppe gläubiger Muslime, in der Arua verkehrt und zu der der plötzlich Sinnhungrige Zugang fi ndet, wird aus dem haltlosen Jochen der strenggläubige Abdallah und aus diesem ein »Krieger« Allahs. Kurze Zeit später, wir schreiben 1993, ist Abdallah Sawatzky Teil eines Kommandos des »Islamischen Dschihad « auf dem Marsch durch die glutsengende ägyptische Wüste Richtung Luxor, dessen touristische Besucher erschossen, dessen Tempelanlage gesprengt werden sollen. Kein Zweifel regt sich in den Herzen der Männer, am wenigstens in dem des deutschen Konvertiten. Was ihn selbst aus seinem kleinen Elend riss, kann nur, muss nun Richtschnur sein für den Rest der Welt. Suren-Rezitate ersetzen sein Denken, das »Haus des Islam« ist zu säubern von Ungläubigen: »Es wird viele Tote geben. So Gott will. Deutsche, Amerikaner. (…) Jedem Menschen ist sein Ende bestimmt. Wenn er ausgelöscht wird, verblaßt kein Stern.«
Mit diesem Marsch auf Luxor beginnt Christoph Peters’ neuer Roman »Ein Zimmer im Haus des Krieges«, siebzig von Wüstenhitze fl immernde und von innerer Kälte schwarzglänzende Seiten, in Ich-Form aus der Sicht Sawatzkys erzählt – ein Marsch, der sich Schritt für Schritt und Satz für Satz in wachsender, zuletzt rasender Spannung dem unaufh altsam näherkommenden Ziel zu bewegt, dem Attentat. Doch die Dynamik des Plots macht nicht allein die Suggestion dieses ersten Buchteils aus. Zwar, man verachtet die manichäische Gedanken-Schlichtheit dieses Jochen-Abdallah, man verurteilt das Verbrecherische des geplanten Mords. Und versteht doch, was den schlaff en Deutschen bereit sein ließ, Disziplin, Arabisch und den Koran zu lernen, was ihn jetzt bereit sein lässt zum Tod: die Faszination eines reinen Glaubens und der reinen, von jedem Mitgefühl gereinigten Tat.
Diese Tat allerdings misslingt. Das Kommando ist verraten worden, die »Krieger« werden von Einheiten der ägyptischen Armee getötet; Sawatzky überlebt. Und verschwindet nicht nur hinter Kairoer Gefängnismauern, sondern auch aus dem Zentrum des Romans, in den Claus Cismar eintritt, der Botschafter der BRD. Cismar muss den deutschen Staatsangehörigen im Hochsicherheitstrakt betreuen, doch der Geschäft sträger versucht auch, den Gotteskrieger zu verstehen – über die biografi sche Brücke der eigenen früheren Faszination für ’68 und die RAF. Man hat dem Roman vorgeworfen, dass diese Brücke nicht trägt, dass der Weg der Konversion eines Junkies zum Islamisten, von dem Sawatzky Cismar mit herablassendem Gestus berichtet, zu keiner Erklärung führt. Doch eine solche ist gar nicht Anliegen des Romans. Er zeigt zwei Leben: einmal als Pfeil; einmal als Kreisel. Es gibt keine Erklärung; es gab nur einen Schalter in Sawatzkys Leben, der umgelegt wurde. Zwischen der Welt der neuen Unbedingten und der Welt derer, die sich einrichten wie Cismar, existiert keine Vermittlung. Im Zimmer im »Haus des Islam « herrschen Reinheit und Tod; im Zimmer im »Haus des Krieges« aber leben Menschen – wie Cismar, der mäßig resignierte Bonvivant; wie seine (mäßig) frustrierte Frau Ines; wie die quirlig-kluge Françoise, Cismars Freundin aus der französischen Botschaft . Während Sawatzky Umriss bleibt, gewinnen diese Anderen Gestalt, bekommen ihre Beziehungen, Gedanken und Marotten Farbe, Anschaulichkeit, Wärme. Tost um sie herum das chaotisch-faszinierende Leben in Kairo. In der psychologischen Genauigkeit dieser Beschreibungen ist Peters, der 1966 in Kalkar geboren wurde, derselbe Meister, als der er sich in seinen vorherigen Romanen zeigte. Wenn »Ein Zimmer im Haus des Krieges« irgendetwas »beweist«, dann nur, dass sich vor dem Zimmer der Dschihadisten aller Couleur, ob sie Baader heißen oder bin Laden, ein Fenster befindet, das undurchsichtig ist.
Christoph Peters: Ein Zimmer im Haus des Krieges; Verlag btb, München 2006, 320 S., 19,95 €