TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Natürlich kann man an diesem Sekretär auf seinem Laptop schreiben oder sich mit dem Pad durch die digitale Welt wischen – aus ästhetischen Gründen sollte man es aber lassen und dort stattdessen an langen Frühsommerabenden Briefe an alte Freunde schreiben, in Lieblingsbüchern lesen oder anderweitig analoge Dinge treiben. Nicht, weil früher alles besser war, sondern weil derlei Tätigkeiten perfekt zu Gesa Hansens Sekretär »Desk« aus ihrer Möbelkollektion »Remix« passen. Der Name weist bereits auf Gesa Hansens Arbeitsweise hin – sie verbindet in ihren Möbelentwürfen traditionelles skandinavisches Design mit gegenwärtigen, farbigen Elementen und raffinierten Details. Ergebnis ist kein wilder Stil-Mix, sondern klare Kanten und ein unangestrengt-zeitloser Retro-Chic.
Der »Desk« besitzt die schmale Silhouette klassischer Sekretäre; im hinteren Bereich steigt die Arbeitsplatte scheinbar an, um Stauraum für Schreibutensilien zu schaffen. Statt kleinteiliger Schubladen und Fächer hat Gesa Hansen an diese Stelle vier offene Fächer gesetzt, die von der Form her an Schrauben- oder Nagelschütten in Werkstätten erinnern und in verschiedenen, leicht abgetönten Farben lackiert sind. Für größere Papiere oder Zeichnungen, die nicht in die Fächer des »Desk« passen, gibt es den »Container« – zwei große, aufeinandergestapelte Fächer, die sich auch als Beistelltisch nutzen lassen.
Gesa Hansen findet die Inspiration für ihre Arbeit vor allem in der Natur: »Ich glaube, dass der Rückzug in die Natur in unserer heutigen, vernetzten Welt die wichtigste Strömung ist.« 1981 wird sie im sauerländischen Arnsberg in eine skandinavisch-deutsche Familie aus Designern, Handwerkern und Architekten hineingeboren. Ihr Großvater war Tischler, ihr Vater, gebürtiger Däne, ist Designer und der Kopf hinter »Hans Hansen«, einem Möbel-Label mit minimalistischer Ausrichtung. Ihre Mutter stammt aus dem Sauerland und hat in Arnsberg eines der ersten Designgeschäfte für Alessi, Ligne Roset und Artemide betrieben. Mit so einer familiären Herkunft wird man nicht Metzgerin oder Bankkauffrau – nach ihrem Studium bei Axel Kufus an der Bauhaus-Universität in Weimar arbeitete Gesa Hansen in verschiedenen internationalen Design-Studios wie H5 in Paris, Jean Nouvel und NDC in Tokio. 2009 gründet sie ihr eigenes Möbel-Label »The Hansen Family«; heute lebt und arbeitet sie in Paris, fährt aber einmal im Monat zurück nach Arnsberg.
AM LIEBSTEN MIT EICHE
Dort werden ihre Möbel in den familieneigenen Werkstätten angefertigt. Das ökologisch gewachsene, massive Eichenholz – »das ist das Material,mit dem ich am liebsten arbeite!« – wird ausschließlich in den sauerländischen Wäldern rund um die Werkstätten geschlagen. Für die farbig lackierten Teile ihrer Möbel verwendet sie konsequenterweise kein Eichen-holz, sondern MDF-Platten: »Es tut mir zu weh, echtes Holz unter einem Lack einzusperren.« Deswegen steht das natürliche Holz mit seinen verschiedenen Farbnuancen und Maserungen im Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Besonders gut lässt sich das an dem dreiteiligen Couchtisch »Coffee Table« ablesen, der die organische Formensprache der 50er und 60er Jahre zitiert. Die unterschiedlich großen Tische werden aus demselben Stück Holz gefertigt, so dass sich Maserung und Farbton auf jedem der Tische fortsetzen.
Die zeittypischen, schräggestellten, sich nach unten verjüngenden Tischbeine finden sich auch bei Gesa Hansens »Sideboard« wieder, dessen lamellenartige Schubladenfronten von den klassischen, maritimen Inneneinrichtungen skandinavischer Segelboote inspiriert sind. Die Regalfächer in der Mitte der Kommode sind in den vier Lackfarben erhältlich, die auch beim »Desk« verwendet werden. »Farben helfen zu sortieren,« sagt Gesa Hansen. »Ein Fach bekommt sofort eine ganz andere Aussage, als wenn es die gleiche Farbe wie das komplette Möbel hat. Und sie bringen gute Laune.«
Um die farbigen Elemente bei ihrem Esstisch »Table« zu entdecken, muss man ein wenig suchen. Die beiden farbigen Fächer sind in der Mitte des Tisches eingelassen und können mit einer Holzplatte abgedeckt werden. Die Platte lässt sich umdrehen und ist auf einer Seite mit einer Schieferplatte versehen, so dass der Tisch nicht durch heiße Pfannen oder Töpfe beschädigt wird; der dort verbaute Schiefer stammt ebenfalls aus dem Sauerland.
GEÄST FÜR HÜTE
Mit ähnlich überraschenden Details wartet auch Hansens Schrank »Trunk« auf, den sie als einen »Remix der traditionellen Überseekoffer des 19. Jahrhunderts« verstanden wissen will. Im aufklappbaren Inneren findet sich nicht nur genügend Stauraum in Gestalt von Schubladen und Regalböden, sondern auch eine Art Geäst, an das man Kleidung und Hüte hängen kann. Ähnlich schrankkofferartig ist auch ihre Hausbar »Drunk« konzipiert, die aber statt des Geästes einen hölzernen Flaschenhalter bereithält.
Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr die »Nightcouch«, die sich zwar schnell zum temporären Gästebett umbauen lässt, in ihrer reduzierten Leichtigkeit aber so gar nichts von den herkömmlich-klobigen Möbelhaus-Sofas hat. Mit wenigen Handgriffen kann der Holzunterbau ausgezogen werden, sodass die Rückenpolster der »Nightcouch« als großzügige Matratze fungieren. »Ich wollte ein dänisches Sofa entwerfen, das großzügiger, tiefer und bequemer als die ursprünglichen Klassiker ist«, sagt Gesa Hansen und ergänzt, dass die Polster nicht nur »in allen Stoffen der wunderbaren Textilfirma ›Kvadrat‹« erhältlich sind, sondern auch mit einer Auswahl von selbst entworfenen Stoffen bezogen werden können.
Gesa Hansen sucht immer wieder die Zusammenarbeit mit anderen Designern. Gemeinsam mit Masaya Kuroki entstand eine erweiterte Form des Schrankkoffers »Trunk« für das französische Label »Kitsuné Parisien«, der voller Kleidung nach New York geschickt wurde, um dort bei »Barneys« präsentiert zu werden. Für das Pariser Design-Label »Surface to Air« entwarf sie »Black Remix« – eine limitierte, schwarz-weiße Version ihrer »Remix«-Kollektion. Um die Komponenten der kleinkastigen Retro-Stereoanlage von »Tivoli« anständig unterzubringen, hat sie mit dem »Sound Sideboard« direkt das passende Möbelstück drumherum entworfen. Die Komponenten lassen sich bündig in dafür vorgesehene Fächer schieben; der unvermeidliche Kabelsalat versteckt sich hinter einer Klappe, sodass am Ende nur ein Kabel das Möbelstück verlässt. Zusätzlich gibt es mit dem »Sound Coffeetable« einen kleinen Beistelltisch, der nicht nur dem »Tivoli«-Radio, sondern auch den persönlichen Lieblingsmagazinen Platz bietet. Des Weiteren arbeitet Gesa Hansen gerade an einem Kleiderschrank, der sich an der Ästhetik industrieller Spinde orientiert.
Und dann findet sich zwischen den Stücken ihrer »Remix«-Kollektion der Tischbock »Mika«, der nicht von ihr stammt, sondern von der Berliner Designerin Stephanie Jasny. Wen das wundert, der bekommt von Gesa Hansen eine völlig uneitle Antwort: »Ich liebe Stephanies Design. Ich habe mein Label ja extra ›The Hansen Family‹, und nicht ›Gesa Hansen‹ genannt, damit ich immer wieder mit neuen Designern zusammen arbeiten kann. ›Mika‹ ist der schönste Tischbock, den ich kenne, und ich bin sehr stolz, dass er in unserer Kollektion ist.«