// Wenn er von Weidingen redet, mag er nicht aufhören. Jenes Örtchen nahe Bittburg. Wo er das alte Dorfschulgebäude gekauft hatte. Wo er malte und viele Bäume pflanzte. Wo er mehr als zehn Jahre blieb. Und oft Freunde empfing, auch zum Golfen auf dem selbst angelegten Übungsplatz. Ein kleines Künstleridyll. 2006 hat Xiaobai Su sich von dort verabschiedet, ist aus dem Eifel-Dörfchen nach Shanghai gezogen. Seiner starken Frau zuliebe, wie er mit einem Lächeln im Gesicht sagt. Sie stammt aus der Megametropole, er selbst fühle sich dort etwas fremd, habe kaum Freunde in der Stadt. »Aber wir konnten ein schönes, großes Atelier finden«, wirft die starke Frau ein. Die alte Fabrikhalle mit 1.000 Quadratmetern Platz ist Dreh- und Angelpunkt des Künstleralltags geworden.
Im Übrigen sehe er gar nicht so große Unterschiede zwischen Weidingen und Shanghai, tröstet sich Xiaobai Su. »Vielleicht würde ich sie beim Einkaufen bemerken, aber das macht meine Frau.« Er schwingt sich indes Morgen für Morgen aufs Fahrrad und braucht keine fünf Minuten zur Arbeit. Im Atelier warten in der Regel acht bis zehn Großleinwände auf Vollendung. Der Künstler rührt Lack an, bringt ihn Schicht für Schicht auf Holz und Jute. Er spachtelt und schleift. Bearbeitet die Oberfläche manchmal mit Hammer oder Fräse, bevor er die nächste Lage aufträgt. Weil der Lack, den er so gern benutzt, extrem lange trocknet, arbeitet Xiaobai Su immer gleichzeitig an mehreren Bildern.
Ein aufreibendes Geschäft: Er muss Buch führen, genau dokumentieren, welches Stadium er bei den einzelnen Gemälden erreicht hat und welche Schritte folgen sollen. Manchmal ist er während solcher Phasen kaum ansprechbar. Rund 30 meist großformatige Ergebnisse der letzten drei Arbeitsjahre in Shanghai zeigt der Künstler nun in der Langen-Foundation in Neuss. In schlichten, ruhigen, strengen Kompositionen treffen klare Formen und Flächen zueinander. Xiaobai Su beschränkt sich auf wenige satte Farben – schwarz, rot, weiß dominieren. Dabei bleiben die Farboberflächen selten glatt und unversehrt. Furchen, Kratzer, Knicke, Dellen und Wellen, Bürstenstriche und Spachtelspuren bestimmen die Struktur. Tiefer liegende Malschichten treten hervor, manchmal auch ein Jutefetzen.
Es ist nicht unbedingt, was man von einem chinesischen Gegenwartsmaler erwarten würde. Scheinen doch im Westen eher die bunten, poppigen Produktionen aus dem Land der Mitte verbreitet und seit Jahren auf dem Markt extrem erfolgreich. In jedem Fall figürliche Bilder, nicht selten ironisch, satirisch in ihren oft gesellschaftskritischen Anspielungen. Nur wenige seiner Landsleute malen zur Zeit ungegenständlich wie Xiaobai Su.
Beim Rundgang durch seine Ausstellung in der Langen-Foundation kommen allerlei Erinnerungen an westliche Malerei nach 1945 hoch und vermischen sich mit Elementen, die man Traditionen des Fernen Ostens zuschreibt. Der Künstler hat vor einem seiner Werke Platz genommen – drei Meter breit, fast zwei Meter hoch und ganz weiß mit goldenem Schimmer. Geduldig hört er Eröffnungsgästen zu, die darlegen, wie viel das Gemälde doch mit einem chinesischen Paravent gemein habe: Farbe, Format, die feinen Strukturen der Oberfläche und nicht zuletzt die vertikale Gliederung in sechs gleich große Rechtecke.
Xiaobai Su lächelt und nickt, sonst nichts. Er ist es gewöhnt, dass sein Publikum sich sofort auf die Suche nach west-östlichen Zutaten in seinen Bildern begibt, dem Mischungsverhältnis nachgeht. Gibt doch die bewegte Künstler-Vita reichlich Anlass für solche Überlegungen: 1949 in der chinesischen Industriestadt Wuhan geboren, erlebte Xiaobai Su als junger Erwachsener die Kulturrevolution und studierte danach an der Zentralakademie der schönen Künste in Peking traditionelle chinesische Malerei. In seiner Heimat hatte er schon einen Namen. Doch wollte Xiaobai Su weiterstudieren. Er war Ende 30, als er mit der transsibirischen Eisenbahn Richtung Düsseldorf reiste – dort wird er der erste Chinese an der Kunstakademie sein. Warum dieser Schritt?
»Ich hatte damals in China kein Telefon, kein Fernsehen, kaum Informationen von außen. Ich wollte Informationen. Ich wollte Kunst nicht nur auf schlechten Abbildungen sehen«, sagt er. »Aber das ist nicht alles. Ich wollte vielleicht auch nur etwas anderes – und ein Stipendium bot mir die Gelegenheit.« Er wisse nicht, so der Künstler, ob er einen solchen Sprung ins Ungewisse, in die Leere noch einmal auf sich nehmen würde. Doch heute sei er froh, ständig jene west-östlichen Doppelgedanken im Kopf zu haben.
Tatsächlich hat sich Xiaobai Sus Malerei in Deutschland grundlegend gewandelt. Mit allen technischen Fertigkeiten bestens gerüstet, war er hierher gekommen, das Gelernte zu vertiefen. Doch erkannte er schnell, dass in Düsseldorf ein anderer Wind weht. »Das ist keine Schule, wo man sich Wissen aneignet. Es ist eher eine experimentelle Werkstatt, und mir wurde klar, dass Skizzentechnik, Farbgebung, Modellierung noch keinen großen Künstler machen.« Vorübergehend hörte Xiaobai Su ganz auf zu malen, ging in sich wie ein »kleiner Eremit« und begann, vieles vom alten Ballast abzuschütteln. Dann fing er von vorn an. Zuerst in Düsseldorf, wo er auch seine spätere Frau kennen lernte, die Germanistik studierte. Und später in der Eifel, wo er mit Frau und Tochter über so lange Zeit lebte.
Die Idee mit dem Lack kam ihm erst nach seiner Rückkehr, in Shanghai – seither prägt das neue Material Xiaobai Sus Ausdruck. Dass chinesische Kunsthandwerker seit Jahrtausenden auf jenes Produkt aus der Rinde des Lackbaums setzen, sei für ihn nicht entscheidend gewesen. Bei der Wahl des neuen Malmittels habe seine chinesische Herkunft eigentlich keine Rolle gespielt.
Die eigene Unabhängigkeit von Ort, Zeit, Herkunft ist etwas, das Xiaobai Su offenbar ziemlich wichtig nimmt. »In China sagt man mir, ich sei kein chinesischer Maler mehr, zu viel Fremdes sei in meinen Werken. Die Deutschen loben mich oft als tollen chinesischen Maler«, bemerkt er eher stolz als verdrossen. Und fügt hinzu: »Ich bin weder das eine noch das andere. Meine Kunst ist nicht chinesisch und nicht europäisch. Ich hoffe, dass meine Werke einen gewissen Grad an essentieller Originalität haben. Darauf lege ich sehr viel Wert, und das strebe ich an.«
Dazu passt, dass Xiaobai Su auch dem Wohnort nicht allzu große Bedeutung für seine Arbeit beimisst. Er male für sich, mit sich in seinem Atelier. Ein »kleiner Eremit« eben. Die weitere Umgebung bleibt außen vor. Klar, dass Xiaobai Su mit einer solchen Kunst kaum Gefahr läuft, in seiner Heimat politisch anzuecken. Doch wie sieht die Situation unter den Kollegen aus? Ein Thema, bei dem er sich anscheinend nicht lange aufhalten möchte. Der Hinweis, dass Künstler heute in China eigentlich alles machten, was auch im Westen üblich sei, muss reichen. Während seine Frau noch ein paar Tabus anspricht, kommt Xiaobai Su schnell auf seine persönliche Haltung zu politisch motivierter Kunst aus China zu sprechen. 90 Prozent davon hält er für qualitativ minderwertig, vieles noch dazu für etwas verlogen.
Überhaupt habe er persönlich nicht viel übrig für solche Umwege: »Warum malen, wenn man sich politisch äußern möchte?« fragt er. »Wenn ich Politik machen will, mache ich Politik. Wenn ich Sport treiben will, treibe ich Sport. Wenn ich Kunst machen will, mache ich Kunst. Und wenn ich Bäume pflanzen will, pflanze ich Bäume.« In Weidingen habe er zwei Jahre nichts anderes getan, als Bäume zu pflanzen – eine schöne Zeit. //
Langen Foundation, Raketenstation Hombroich, Neuss.Bis 24. Mai 2010. Tel.: 02182/57010. www.langenfoundation.de