Im Sommer 2007 veröffentlichten Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI), Ludger Heidbrink und Harald Welzer, Senior Fellows am KWI, einen Aufruf in der Zeit, in dem sie einen Beitrag der Kultur- und Sozialwissenschaften zur Klimakatastrophe einforderten und beklagten, dass viele Kollegen dem Geschehen »normalitätsfixiert« und »katastrophenblind« zuschauen würden.
Das KWI selbst machte 2008 einen ersten Schritt in diese Richtung und richtete den Forschungsschwerpunkt »KlimaKultur« ein. Vom 8. bis zum 10. Juni veranstaltet das Institut nun zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie eine international hochkarätig besetzte Konferenz zum Thema: »The Great Transformation«. Eine Einführung in die »Klimakulturwissenschaft« bietet im Folgenden der Direktor des KWI.
Von Claus Leggewie
// Oft werden wir gefragt, welchen »Gegenstand« ein kulturwissenschaftliches Institut eigentlich bearbeitet. Die Frage haben wir uns auch im Kollegium des KWI vorgelegt und eine möglichst offene und inklusive Antwort gesucht. Denn es gibt bei uns keine Lehrmeinung, wie Kultur definiert ist, und Kulturwissenschaft ist ebenso wenig eine Disziplin wie die Natur- oder Lebenswissenschaften, die ja ebenfalls eine große Zahl von Ansätzen, Theorien und Methoden zusammenfassen. Wir sagen deshalb lieber: Kulturwissenschaften. Und darunter fallen eine Menge Fächer und mehr noch: Sichtweisen der Welt. Kultur hat es mit Sichtweisen, mit Perspektiven auf die Welt, mit Deutungen und Interpretationen, mit Sinnverstehen und Symbolsystemen zu tun.Aus dieser Perspektive mag nun auch klar werden, wie wir das Klima anschauen. »KlimaKultur« ist ein transdisziplinärer Forschungsschwerpunkt am KWI, dem Forschungskolleg der Ruhr-Universität Bochum, der Technischen Universität Dortmund und der Universität Duisburg-Essen. Der im Jahr 2008 eingerichtete Forschungsschwerpunkt ist der erste kulturwis- senschaftliche Forschungsverbund zum Thema des Klimawandels. »KlimaKultur« schließt an bestehende Schwerpunkte des Forschungskollegs an, die auch für die Wahrnehmung und Bewältigung von Klimafolgen wichtige Aspekte untersuchen. Dazu gehören Fragen der sozialen Ver- antwortung, des kulturellen Gedächtnisses und der interkulturellen Differenzen.
Klimawandel bedeutet Kulturwandel
Das Klima erwärmt sich gefährlich. Aktuellen Prognosen des Weltklimarates zufolge ist für das 21. Jahrhundert mit einem Anstieg der globalen Jahresmitteltemperatur von 2° bis 5° Celsius oder mehr zu rechnen. Ob die Leitplanke von 2° überschritten wird, hängt davon ab, wie die Weltgesellschaft auf die globale Erwärmung reagieren wird. Sie steht vor einer Herausforderung, auf die es zwei Antworten gibt: Reduktion der Treibhausgase und Anpassung an veränderte Klimaverhältnisse. Beide Aufgaben sind nicht durch technische Korrekturen allein zu lösen. Sie erfordern einen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, denn der Klimawandel stellt, wenn man es genau durchdenkt, die Industriegesellschaft als solche in Frage: ihre karbonen Technologien, ihre darauf beruhende Wirtschaftsweise, ihre Wachstumskonzepte und ihre Lebensstile.
Wenn im Dezember das Ruhrmuseum seine neue Dauerausstellung eröffnet, wird man diesen Weg durchschreiten können – aus den Tiefen der Schächte bis in die jüngste Verbreitung karboner Technologien und Energiesysteme in alle Welt – und steht dann im dritten Stock in einem »Epilog«, der den Weg in eine postkarbone Gesellschaft zeigen soll. Kohle und Stahl haben uns Reichtum, Wohlstand, indirekt vielleicht auch Wohlfahrtsstaat und Demokratie gebracht. Doch nun haben wir mit den Nebenfolgen zu tun und müssen umsteuern. Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier?
Im Laufe der Industrialisierung wurden die Grundlagen für Wachstum und Wohlstand der westlichen Gesellschaften geschaffen, deren Kultur und deren Lebensstil untrennbar mit der Nutzung fossiler Ressourcen verknüpft sind. Die Industrialisierung hat aber auch die enormen Treibhausgasemissionen hervorgebracht, die das Weltklima heute verändern. Die Übertragung des westlichen Wirtschaftsmodells auf den globalen Maßstab ist daher keine zukunftsfähige Lösung.
Soziale Evolution der globalen Erwärmung
Die globale Erwärmung des Klimas ist anthropogen, das heißt von Menschen verursacht. Diese Feststellung hat weit reichende Folgen für das Verständnis dessen, was mit dem Klima geschehen ist und was in Zukunft zu tun sein wird. Mit physikalischen Berechnungen des Wärmehaushaltes der Erde lassen sich die Wirkungen des menschengemachten Treibhauseffekts beschreiben und für die weitere Zukunft voraussagen. Hinter der Erwärmung aber stehen Prozesse, die von der Geologie oder der Meteorologie allein nicht mehr angemessen beschrieben werden können. Die Dynamik des anthropogenen Klimawandels ist nicht nur eine Frage natürlicher Prozesse, sondern vor allem eine von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Daher ist ihre Erforschung eine zentrale Aufgabe der Kulturwissenschaften.
Tipping points (Kipppunkte)
Das Weltklima ist an sogenannte tipping points mit unkalkulierbarer Dynamik gelangt und kann umkippen, wenn im kommenden Jahrzehnt nicht radikal umgesteuert und anders gewirtschaftet wird. Insofern entscheidet die kurze Spanne bis zum Jahr 2020 – das sind nur zwei, drei Legislaturperioden, ein kurzer Wirtschaftszyklus, zwei Sommerolympiaden weiter – über die Lebensverhältnisse künftiger Generationen.
Energiewende
Der Klimawandel ist vor allem eine Folge der industriellen Energieproduktion. Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe werden Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt, die eine Erwärmung des Klimas herbeiführen. Energie ist somit eine Nahtstelle zwischen Natur und Gesellschaft. Hinter den Zahlen und Prognosen zu Energieverbrauch und Treibhausgasen steht der tägliche Umgang mit Energie – Energieeffizienz ist eine Frage des alltäglichen Bewusstseins jedes Verbrauchers. Ein Umschalten auf nachhaltige, klimataugliche Energiequellen wird von der Ak- zeptanz und Bereitschaft jedes einzelnen abhängen, nicht nur von neuen Technologien und vom Emissionshandel. Ökonomische Anreize motivieren zum sparsamen Umgang mit Energie und vertrauen auf die ökonomische Rationalität des einzelnen, ein ebenso starkes Motiv für einen neuen Umgang mit Energieressourcen ist aber die Verantwortung für die Zukunft der Kinder und Kindeskinder. Aus Sicht der Kulturwissenschaften stellt sich die Frage: Wie erfolgreich und nachhaltig lassen sich solche Motive für einen kulturellen Wandel fruchtbar machen?
Migration
Zu den erwarteten Folgen des Klimawandels gehören Wanderungsbewegungen. Die Menschen wandern aber aus ihrer Sicht nicht wegen des Klimawandels, sondern weil sie keine Arbeit finden, weil sie vor politischer Verfolgung fliehen, weil in ihrem Land Krieg herrscht, weil die natürlichen Ressourcen knapp werden und ihre Ernährung nicht mehr gesichert ist. Die Folgen der globalen Erwärmung werden also indirekt, über sekundäre Auswirkungen erfahren. Migration bildet ein Gewaltpotential, das durch die weitere Klimaerwärmung verstärkt wird und zu neuen Konflikten führen kann. Von ihnen werden direkt oder indirekt auch die reichen Länder betroffen sein. Der Klimawandel ist damit ein zentrales Thema globaler Mobilität und globaler Sicherheit.
Veränderte Risiken
Zu den Gefahren des Klimawandels gehört eine steigende Zahl natürlicher Extremereignisse: Starkniederschläge wie 1997 und 2002, Extremtemperaturen wie im Sommer 2003, Winterstürme wie Kyrill 2007 in Europa und Hurrikans wie Katrina 2005 in den USA. Solche Extreme wirken sich direkt und stärker als veränderte Durchschnittswerte bei Temperatur und Niederschlag aus. Der IPCC-Report von 2007 (Intergovernmental Panel on Climate Change/Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) betont, dass der Klimawandel die Gesellschaften vor allem hinsichtlich von Extremereignissen verwundbar macht. Damit stellen sich neue Herausforderungen an den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken, beispielsweise im Bereich der Gesundheitssysteme, der Bautechniken oder der Versicherung. Risiken nehmen mit der Intensität und Häufigkeit von Naturgefahren zu, verstärkt durch soziale Faktoren wie der Zunahme der Weltbevölkerung: Etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Küstenregionen, im-mer neue Megastädte entstehen. Deshalb besteht heute eine der wichtigsten Forschungsaufgaben darin, soziokulturelle Faktoren besser und umfassender in Risikomodelle einzubauen. Die Kulturwissenschaften können wesentlich zu einer Verbesserung von Modellen und Szenarien beitragen.
Vom 8. bis 10. Juni 2009 veranstaltet das KWI zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, gefördert von der Stiftung Mercator, die Konferenz »The Great Transformation«, auf der diese transdisziplinäre Forschungstätigkeit erstmals präsentiert wird. Referieren werden u. a. Sigmar Gabriel, Anthony Giddens, Hans Joachim Schellnhuber und Harald Welzer.
Was uns blüht
Der Klimawandel in Nordrhein-Westfalen
// Im Auftrag des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf Nordrhein-Westfalen untersucht und Anpassungsmaßnahmen für ausgewählte Sektoren wie Land- und Forst- wirtschaft, Wasser, Tourismus, und Stadtplanung vorgeschlagen. Zugrunde liegt der im April vorgestellten Studie ein Szenario, das bis 2100 von einem raschen Wirtschaftswachstum und von einer gemischten Nutzung verschiedener Energieressourcen ausgeht.
Die Studie prognostiziert für den Zeitraum 2031 bis 2060 eine durchschnittliche Jahresmitteltemperaturerhöhung zwischen 1,4 und 2,3 °Celsius und zudem eine Zunahme des Niederschlags, wobei sich die Niederschläge deutlich in die Wintermonate verschieben werden. Sowohl die hiesige Land-, wie auch die Wald und Forstwirtschaft könnten von diesem Temperaturanstieg profitieren, da die Erhöhung sich positiv auf die Ertragsaussichten der für NRW bedeutenden Anbaukulturen auswirke – allerdings bei abnehmender Qualität des Geernteten. Gleichzeitig steigt jedoch das Sturmwurf-Risiko in den höher gelegenen Regionen stark an. Zudem wird man sich im Winter mit erhöhten Abflussmengen vieler Flüsse konfrontiert sehen, während im Sommer durch die vermehrte Verdunstung die Grundwasserneubildung beeinträchtigt werden könnte. Für den Energiesektor könnte die zu erwartende Wassererwärmung zum Problem werden, da nicht mehr ausreichend Kühlwasser zur Verfügung stehen könnte. Den vom Wintertourismus abhängigen Regionen NRWs empfehlen die Potsdamer Klimawissenschaftler, sich nach alternativen Einnahmequellen umzusehen, da die Schneesicherheit in Zukunft stark abnehme.
Ein »Zielkonflikt« wird bei der Stadtplanung festgestellt: Während unter klimawissenschaftlichen Gesichtspunkten verkehrs- minimierender, energieeffizienter und insgesamt kompakter gebaut werden müsste, treffen derartige Konzepte bei der betroffenen Bevölkerung auf wenig Akzeptanz, da sie als Beeinträchtigung der Lebensqualität wahrgenommen werden. Gerade die Städte aber tragen mit ihrem hohen Anteil an der Gesamtemission zum Klimawandel bei und sind zugleich von den Auswirkungen dieser Veränderung stärker betroffen als ländliche Regi- onen. »Im Gegensatz zur Relevanz des Sektors im Zusammenhang mit dem Klimawandel schreitet die Geschwindigkeit eines nachhaltigen Stadtumbaus nur langsam voran«, stellt die Studie fest. In der Metropolregion NRW bestehe beispielsweise ein erhebliches Defizit an Grünflächen, die die Wirkung von städtischen Hitzeinseln abschwächen könnten. Empfohlen wird, für die städtebauliche Klimaanpassung einen Aufholprozess einzuleiten. Aber: »Im Gegensatz zu Klimaschutz- maßnahmen, die relativ leicht konkretisiert werden können, ist die Anpassungsproblematik im Städtebau sehr viel schwieriger zu lösen. Der Grund dafür ist, dass Anpassung proaktiv erfolgen muss, d. h. Anpassungsmaßnahmen an Veränderungen, die wir erst in Zukunft erwarten, müssen bereits heute implementiert werden. Damit verbunden ist also eine Risikoeinschätzung, die einerseits Hinweise dafür liefert, wie hoch ein zukünftiges Risiko ausfällt und gegebenenfalls inwieweit dieses noch gesellschaftlich akzeptabel ist. Es ist also ein Agieren unter Unsicherheit nötig, mit dem sich Entscheidungsträger naturgemäß schwer tun, da darauf aufbauende Maßnahmen oft die Mobilisierung nicht unerheblicher Mittel bedeuten.« // ANK