TEXT: FRANK MAIER-SOLGK
Vermutlich ist es doch der Rhein, der in seiner gleichmäßigen Gemächlichkeit Tempo und Rhythmus der Stadt vorgibt. Die Beharrungskräfte, die einem koordinierten städtebaulichen Aufbruch immer wieder den Elan rauben, scheinen in Köln, einer Stadt, in der »der Zufall mit leidigem Besen die Häuser zusammenkehrte« (Oberbürgermeister Schramma, Goethe zitierend) besonders ausgeprägt. Nach oben ist es der Dom, der mit seinen 157 Metern in weitem Radius offiziell die unüberschreitbare Grenze setzt – aber dennoch ein ausgesprochen unruhiges städtisches Panorama nicht verhindern konnte. In den Straßen der unmittelbaren Umgebung in Richtung Rhein beherrscht noch die Giebelform das nostalgisch gefärbte Bild. Insgesamt fehlen der Stadt, die nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nie die frühere räumliche Qualität wiederherstellen konnte – wie der im November letzten Jahres präsentierte Masterplan von Albert Speer & Partner befand –, die klaren Konturen ihrer großen innerstädtischen Freiräume, allen voran denjenigen, die ihr das großstädtische räumliche Gerüst verliehen haben: dem Rheinraum, dem inneren Grüngürtel und den Ringen. Ansonsten kennzeichnen mangelnde gestalterische Qualitäten, heterogene Gebäudeabfolgen und ungastliche Plätze die in weiten Teilen ungeordnete und »zerrissene« innerstädtische Bebauung.
Ebenfalls mit Verspätung, jedenfalls im Vergleich zu Städten wie Hamburg, Berlin, Barcelona, London oder Düsseldorf, hat Köln trotz einer kilometerlangen Uferlinie auch seine Wasserfront als prestigeträchtigen Wohn- und Arbeitsstandort entdeckt und mit der Konversion des seit Jahrzehnten stillgelegten Handelshafens begonnen. Zwar gab es schon in den 1970er Jahren Pläne, die »Hafen- und Werftanlage«, die früher vor allem dem Getreideumschlag diente, zu einer »Freizeit- und Erholungsanlage« umzufunktionieren. Doch erst Anfang der 1990er Jahre erstellte man einen Bebauungsplan; 1992 fand ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für die zwei Kilometer lange, prominent dem Ufer vorgelagerte Halbinsel zwischen Altstadt und Südstadt statt, den die Hamburger Architekten Bothe Richter Teherani (BRT) mit dem Vorschlag einer Sequenz von drei stadtbildprägenden Hochhäusern gewannen. Doch danach gingen Jahre ins Land, in denen Investoren wieder zurückschreckten und die Gefahr eines »Ausverkaufs des Stadtpano-ramas« beschworen wurde – eine Kölner Debattenkultur, deren Heftigkeit nicht zuletzt dazu dient, schnelle Entschlüsse zu verhindern, was wiederum manchmal Fehlplanungen vermeiden hilft.
Jedenfalls, nach einem Vierteljahrhundert der Planungen und Diskussionen, schließlich des Bauens nähert man sich nun dem Abschluss. Zwei der drei knapp 60 Meter hohen, spektakulären Kranhäuser von BRT sind fertig gestellt. Beim dritten, einem reinen Wohnturm für 130 Luxuswohnungen, haben die Rohbauten begonnen. Zuvor waren entlang der Promenade die neue Wohnwerft Aggrippina – deren elegante wabenförmige Rheinfront (Oxen + Römer) viel gelobt wurde – und der Umbau des 177 Meter langen Speichergebäudes »Siebengebirge« realisiert worden. Für die Grundform der Kranhäuser haben sich BRT (sowie Linster Architekten, Trier) allerdings vermutlich weniger an El Lissitzkys viel beschworenen Wolkenbügeln orientiert, als vielmehr an dem für Handelshäfen charakteristischen Motiv der historischen Lastkräne. Was von den Entwürfen des russischen Konstruktivisten von 1924 allerdings übernommen wurde, waren neben der Höhe vor allem städtebauliche Aspekte. Denn Lissitzkys Wolkenbügeltürme sollten vor allem eine solche Funktion ausüben und im Stadtplan Moskaus die Ränder des inneren Rings markieren. Auch wenn nun in Köln der ursprüngliche Plan einer noch weiter über den Rhein auskragenden Bügelform an den deutschen Binnenschiffartsregeln scheiterte, erhält die Stadt mit dem Ensemble an seiner neuen Stadtkante ein einprägsames Gesicht, wobei die städtebauliche Lage durch neue Treppenaufgänge zur Severinsbrücke zusätzlich aufgewertet werden soll. Mit den Kranhäusern und der neuen urbanen Bühne am Rhein erfüllt sich insofern die auch vom Speer’schen Masterplan angemahnte beruhigende Klärung der Stadträume.
Kölns neue Visitenkarte wirkt trotz der beschränkten Höhe imposant und wuchtig, besonders von der entstehenden Promenade aus, die unterhalb der 50 Meter langen Ausleger verläuft – trotz der reichlich nüchternen Pfosten-Riegel-Konstruktion der Glasfassaden und einer zusätzlichen Aluminiumverkleidung, mit der die Hauptvertikale und der Ausleger nach unten abgeschlossen wurden. In großzügigem Abstand zueinander gestellt, sind die Kranhäuser untereinander nur durch die Tiefgarage verbunden, bei deren Bau zugleich das Fundament ausgeführt wurde. Lage und Form haben den Ingenieuren einiges an Mühe abverlangt. Für die Pfahl-Plattengründung nämlich wurden je Haus 50 Betonpfähle von 1,8 Metern Durchmesser 20 Meter tief in den Boden gegossen und mit einer 2,70 Meter dicken Bodenplatte abgedeckt. Das Tragkonzept des Auslegers selbst bezieht beide Stempel ein, wobei in den kleineren, zwischen den beiden horizontalen Gebäuderiegeln rheinseitig platzierten Flucht- und Treppenturm die Hauptlasten der darüber liegenden fünf Geschosse abgeleitet sind. Die neunte Ebene fungiert zusätzlich als Abfangebene und ist als Spannbetonkonstruktion ausgeführt, wobei in den beiden an den Treppenturm seitlich angehängten Riegeln jeweils drei Stahlbetonträger verlaufen.
So können denn die Anwälte der Großkanzleien, die zu einem Gutteil die 1.900 Quadratmeter messenden oberen Büroebenen bevölkern werden, unbesorgt ihre Schriftsätze verfassen – ausnahmsweise bevorzugt auf der Nordseite. Denn hier grüßt der immer noch mehr als doppelt so hohe Dom. Ob die erhoffte Urbanität auf dem gentrifizierten Gelände Einzug halten wird, ob um die neuen Luxusappartements am Rhein und im Umfeld der teuren Großraumbüros eine lebendige Atmosphäre herrschen wird, das ist vielleicht in Köln noch eher zu erwarten als im Düsseldorfer Medienhafen, wo man zudem ursprünglich gänzlich auf eine Wohnnutzung verzichtet hatte und im Endergebnis eine schwer zu überbietende Sterilität erreicht hat. Städtebaulich wird sich Köln über seine neue Silhouette am Rhein nicht beklagen können. Und höhenmäßig hat der Dom schließlich auch keine Konkurrenz bekommen.