Spieglein, Spieglein – wer ist die Schönste im ganzen Land? Die schönste Zeche, das ist natürlich Zollverein in Essen, seit 2001 anerkanntes Weltkulturerbe und 2010 designierter Mittelpunkt der »Europäischen Kulturhauptstadt«. Märchenhafter Aufstieg einer alten Industrieanlage, doch K.WEST blickte im März 2004 voll Skepsis auf das Geschehen: »Es wird nicht gut ausgehen, das Märchen von Zollverein. « Zu wirr schien das Treiben um Scheinriesen und missgünstige Zwerge, polternde Rumpelstilzchen, eitle Prinzen, kussresistente Frösche, ratlose Könige und verschwundene Taler. Seitdem ist viel Grubenwasser aus dem noch aktiven Zollverein-Schacht 2 in Richtung Emscher geflossen. Es hat sich, immerhin, einiges getan in Essen- Katernberg. Das Märchen ist aber noch nicht zu Ende.
Es war einmal, zum Beispiel, die Kohlenwäsche, wo früher stündlich 800 Tonnen Kohle aufbereitet wurden. Der riesige Quader sollte umgebaut und genutzt werden – erst für eine Welt-Design-Ausstellung, dann als ständiger Sitz des zu gründenden Ruhrmuseums (als Nachfolgerin des jetzigen Essener Ruhrlandmuseums) und außerdem als zentraler Anlaufpunkt für die Besucher der Kulturhauptstadt-Ereignisse 2010. Die schlechten Nachrichten zur Kohlenwäsche überschlugen sich. Erstens wurde der Umbau, wie das so üblich ist, viel teurer als gedacht. Zweitens hat er sich, wie das so üblich ist, verzögert, so dass die erst »Metaform«, dann »Entry« geheißene Designausstellung von 2005 auf 2006 verschoben werden musste, was vielleicht sein Gutes hatte, weil, drittens, der Entry ihr Erfinder und Ideengeber im Streit abhanden gekommen war. Viertens stellte sich heraus, dass wegen gestiegener Baukosten die spätere Finanzierung des laufenden Ruhrmuseums-Betriebs völlig ungeklärt war. Und fünftens warnten Denkmalschützer, lautverstärkt durch einige Medien, der Wäsche- Umbau gehe derart an die Substanz, dass der Denkmalcharakter des Gebäudes zweifelhaft und gar die Einstufung Zollvereins als Weltkulturerbe gefährdet sei. Köln! Dresden!!
Nun – der Umbau ist geschafft. Und die Entry hat begonnen. Dass vom Anspruch einer »Welt-Designmesse« nicht mehr viel zu hören ist, dass die Entry inhaltlich verschwommen scheint wie ihr Name, steht auf einem anderen Blatt. Ob sie ihre Hauptfunktion erfüllen kann, nämlich Design-Unternehmen auf Dauer nach Zollverein zu locken, muss sich zeigen. Ähnliches gilt für die Finanzierung des Ruhrmuseums. Dieser Tage soll in Düsseldorf geklärt werden, wie die Betriebskosten auf Stadt, Land, Landschaftsverbände und Regionalverband aufgeteilt werden könnten, ob der Bund zur Kasse gebeten werden kann und ob sich ein Sponsor findet. Vermutlich wird man dieses zentrale Element der Kulturhauptstadt-Präsentation nicht fallen lassen. Hoffentlich geht die Finanzierung nicht so auf Kosten anderer Bedürftiger, dass das Projekt bei den Essenern in Misskredit gerät.
Bleibt die Denkmalfrage. Die neue Rolltreppe zur Kohlenwäsche (s. vorhergehenden Artikel) wird ruhrgebietstypisch gernegroß als »größte freischwebende Rolltreppe« Deutschlands angepriesen. Ist aber vor allem grottenhässlich, wirkt wie aus einem U-Bahnhof der 70er Jahre gezogen. Macht fast nichts, meint Udo Mainzer, oberster Landes-Denkmalschützer, denn der Eingriff in die Bausubstanz sei minimal gewesen, die Rolltreppe auch leicht wieder zu demontieren. Auch alle anderen Einwände gegen den Wäsche-Umbau seien vom Tisch, sagt Mainzer im Gespräch mit K.WEST. Von den Maschinen sei mehr erhalten worden als erwartet; die bauphysikalisch notwendige Restaurierung sei ordnungsgemäß und in Abstimmung mit der Denkmalpflege erfolgt.
Seine Hauptsorge, sagt Mainzer, gelte dagegen der Kokerei, wo wilder Pflanzenwuchs die Bausubstanz bedrohe und chronischer Geldmangel bislang jegliche Gegenmaßnahme verhindert habe. Außerdem sei noch immer das Riesenrad nicht entfernt worden, obwohl das im Weltkulturerbe-Vertrag mit der Unesco zugesichert wurde. Wohl sei das Rad eine pfiffige Art gewesen, Besuchern der Ausstellung »Sonne, Mond und Sterne« 1999 Kokereitechnik nahezubringen. Wegen des massiven Eingriffs in die Substanz des Denkmals könne es aber nicht auf Dauer akzeptiert werden – schon um der Gefahr vorzubeugen, dass es als Präzedenzfall missbraucht wird, »sonst kommt demnächst einer und will irgendwas am Fördergerüst installieren.«
Die publizistische Aufregung um den Umbau der Kohlenwäsche aber war übertrieben. Zwar registriert auch Udo Mainzer mit Unbehagen einen »Paradigmenwechsel«, wobei die ursprüngliche Idee des IBA-Chefs Karl Ganser – »wir erhalten Industriedenkmäler und bespielen sie« – wegen knapper Finanzen immer mehr von Rendite- Gedanken überlagert werde. Doch insgesamt ist die Debatte um die Kohlenwäsche ein normaler Vorgang: Denkmalschützer verteidigen nach Kräften den originalen Status Quo und machen doch Konzessionen, weil anders das Denkmal überhaupt nicht erlebbar und damit schwer finanzierbar wäre. Und gerade die Zollverein-Gebäude Fritz Schupps und Martin Kremmers waren von Anfang an so ausgelegt, dass sie im Innern drastisch an neue Nutzungen angepasst werden konnten, ohne ihre äußere Gestalt zu verändern. Selbst das berühmte Fördergerüst wurde in den 1960er Jahren von Gestell- auf Skipförderung umgestellt und wegen der größeren Förderlasten mit 200 Tonnen Stahl ausgesteift.
Denkmalschützerische Bedenken hat es auch gegen die »Design- School« gegeben, den ersten Neubau auf Zollverein-Gelände seit 50 Jahren. Auch diese Bedenken sind erledigt, und der Bau – zweite große Erfolgsnachricht dieses Jahres – ist fertig. Dass bei der Eröffnung immer wieder von »Weltarchitektur« gesprochen wurde, muss man wohl wieder als gernegroßen Provinzialismus verbuchen. Tatsache aber ist: Das Architektenpaar Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (Büro SANAA, Tokio) hat mit dem Würfel einen großen Wurf hingelegt. Die schlichte Form nimmt Bezug auf die kubischen Bauten Schupps und Kremmers, ohne sich anzubiedern. Und was von außen zunächst wie eine beliebige Spielerei wirkte, nämlich die scheinbar wahllose Durchlöcherung der Wände mit 134 quadratischen Fenstern unterschiedlicher Größe, das wirkt von innen auf Anhieb schlüssig.
Viele Fenster, wo viel Licht gebraucht wird, wenige Fenster, wo es dunkler sein soll – so einfach ist das Prinzip, wobei die unregelmäßige Anordnung die Gefahr eines rechteckigen Schematismus auf charmante Weise bannt. Der verblüffende Eindruck optischer Verbundenheit mit der Außenwelt wird gestützt durch extrem dünne Außenwände. Sie trotzen deutschem Wetter und deutschen Bauvorschriften, weil dünne Plastikröhren warmes Wasser durch die Wände leiten und damit jede zusätzliche Heizung überflüssig machen. Obendrein stammt das Wasser direkt aus dem Schacht Zollverein 2, der noch immer und auf lange Zeit Grubenwasser aus tausend Meter Tiefe zu Tage fördert, damit es nicht anderswo Unfug stiftet.
Dass der minimalistische Würfel »geliebt« werden wird, wie seine Architekten hoffen, ist durchaus vorstellbar. Auffällig war bei vielen Festreden die geradezu beschwörend vorgebrachte Ansicht, dieser gelungene Bau sei eine Verpflichtung für die »Zollverein School for Management and Design«, deren künftiges Geschick an der Qualität des Hauses gemessen werde. Binnen zwei Jahren muss die Schule es schaffen, sich selbst zu tragen – mit den üppigen Gebühren (28.000 Euro für fünfzehn Monate) jener Studenten, die dort über die Einbindung von Design in Management lernen wollen. Weltweit einzigartig sei die Schule, die jetzt auch Vollzeitstudiengänge anbietet. Doch ob es den Markt für ihr Angebot wirklich gibt, muss sich noch erweisen. Leider wird beim Thema Design-School offensichtlich, dass ein altes Problem des Projekts Zollverein einer Lösung kaum näher gekommen ist: der märchenhafte Dschungel von Institutionen und Kompetenzen, in dem einige Protagonisten vornehmlich damit beschäftigt scheinen, einander Fallen zu stellen, das Wasser abzugraben – oder beleidigt zu sein.
Das Design Zentrum NRW – es scheint dieser Tage fast vergessen zu sein – zog als erste Design-Institution in das alte Kesselhaus der Zeche, und sein rühriger Chef Peter Zec trug viel dazu bei, den Standort bekannt zu machen. Zec war es auch, der die Idee zur Designmesse Entry entwickelte. Leider kam er nicht mit dem früheren Chef der »Entwicklungsgesellschaft Zollverein« zurecht. Und als der dem Design-Mann eine extravagante Spesenabrechnung öffentlich ankreidete, zog Zec sich verärgert aus dem Projekt Entry zurück. Eine Nase für Hautgout scheint Zec tatsächlich nicht zu haben. So findet er offenbar nichts dabei, einen Designpreis an die Sportwagenfirma Maserati zu vergeben und gleichzeitig selbst ein solch exotisch- teures Auto zu fahren. Doch geht es um mehr als nur pueriles Imponiergehabe. Zec, der sich als Geschäftsführer des Design-Zentrums, als Professor in Berlin und als Chef des Welt-Designverbandes offenbar nicht ausgelastet fühlt, wollte auch noch Chef der Design- School werden, als deren Gründungspräsident einem Ruf nach Darmstadt folgte. Zec wurde es nicht, worauf eine Lokalzeitung barmte, dass nun der Düpierte Essen womöglich ganz verlassen könnte. Lächerlich – wäre da nicht der Umstand, dass man Zec vor Jahren die Rechte am Designwettbewerb »red dot« abgetreten hat, der trotz einiger Kritik an der Vergabepraxis viel zur Bekanntheit Zollvereins beigetragen hat. Kein Zec – kein dot.
Andrej Kupetz, neuer Präsident der Design-School, kommt vom Frankfurter »Rat für Formgebung« und macht nicht den Eindruck, als ließe er sich so leicht die Butter vom Brot nehmen. Natürlich kennt er Peter Zec. Der Zusammenarbeit mit ihm und dem Design-Zentrum stehe nichts im Wege, sagt Kupetz. Allerdings hat zur Eröffnung der Schule niemand vom Design-Zentrum kollegiale Wünsche übermittelt. Die Website des Design-Zentrums nimmt die Schule, den neuen würfelförmigen Design-Nachbarn nicht zur Kenntnis. Umgekehrt brachte es der Entry-Infostand fertig, den Design-Standort Zollverein auf mehreren Tafeln zu zelebrieren, ohne das Design-Zentrum mit einem Wort zu erwähnen. Spieglein, Spieglein …
Roland Weiss, seit bald zwei Jahren Geschäftsführer der »Entwicklungsgesellschaft Zollverein«, wird sichtlich ungeduldig beim Thema Kabale und Hiebe. Dass es noch immer Querelen gebe, sei eine unzutreffende Deutung, sagt er. Mit Zec zum Beispiel habe er ein gutes Arbeitsverhältnis, es gebe durchaus Kooperationen, auch zwischen Entry und Design-Zentrum. Und wie ist es mit dem Wirrwarr öffentlicher Institutionen – Stiftung Zollverein, Entwicklungsgesellschaft Zollverein, Ausstellungsgesellschaft Zollverein, Stiftung Industriedenkmalpflege? Warum, zum Beispiel, taucht www.zollverein.de als Site der Stiftung Zollverein auf, wenn dann im Impressum die Entwicklungsgesellschaft steht?
Weiss räumt ein, dass die Präsentation nach außen eine Straffung vertragen könnte, und so werde es auch in absehbarer Zeit zwei deutlicher sichtbare Repräsentanten geben – für den Kunst- und Kulturbetrieb und für den technisch-organisatorischen Bereich. Grundsätzlich aber sei die Vielfalt auf Zollverein kein Problem, sagt Weiss. Den immer wieder aufkommenden Ruf nach einer Art Intendanten, »nach dem starken Mann« hält er da nicht für hilfreich. Den selbstständigen Mietern auf Zollverein wie Design-Zentrum und School könne man ohnehin keine Vorschriften machen.
Weiss will sich jetzt die Genugtuung gönnen und »den Erfolg an mich ranlassen«: dass die Entry gestartet ist, dass die Design-School ihr neues Haus bezogen hat und dass die bislang völlig nebulös gebliebene »Design-Stadt« Gestalt anzunehmen beginnt: Das erste Haus eines privaten Investors namens Schürmann ist fertig und »komplett vermietet« an Firmen, die im weiteren, »im angelsächsischen Sinn«, zum Fach Design zählen: Galerie, Bildagentur, Ingenieur- und Planungsbüro. Mit dem Architekten Schürmann, dessen Bonner Abgeordnetenhaus vor Jahren der Rheinflut zum Opfer fiel, habe das natürlich nichts zu tun, und deshalb sei »Schürmannbau« auch kein angemessener Name, sagt Weiss, dessen Geduld sichtlich strapaziert ist durch wiederkehrende Problem-Berichte in den Medien. Man dürfe Zollverein bitte nicht runterschreiben. »Schürmannbau« allerdings stand in der Entry-Infopräsentation… Vor ein paar Tagen wurde verkündet, dass ein saudischer Scheich Gewerbegebäude und ein Hotel in der Design-Stadt bauen möchte. Vielleicht jedenfalls. Und wer hat diesen möglichen Fortschritt verkündet? Stiftung? EGZ? Nein: LEG – Landesentwicklungsgesellschaft. Und – die gibt’s auch noch – Projekt Ruhr GmbH. So ist das Zollvereinswesen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann menscheln sie noch 2010.
Oder es kommt doch noch der starke Mann. Darf ruhig ein tapferes Schneiderlein sein.