Hector Berlioz hat seine Opernpartituren mit Blick auf die Pariser Opéra komponiert, die damals über eines der besten Orchester der Welt verfügte. Es grenzt also, gelinde gesagt, an Selbstüberschätzung, wenn sich ein mittelgroßer Klangkörper wie die Neue Philharmonie Westfalen »Les Troyens«, das Summum Opus des Komponisten, auf die Pulte legt. Und nur unter dem Kriterium eines hutzückenden »Immerhin!« war die Leistung im Graben des Musiktheaters im Revier mit dem Gelsenkirchener GMD Samuel Bächli hinnehmbar. Immerhin, die Sänger gingen nur selten in den Klangmassen baden, sondern blieben präsent und waren den teils hoch dramatischen Partien eindrucksvoll gewachsen. Christopher Lincoln fehlte zur französisch-heldischen Partie des Énée nur ein wenig Stimmgewalt, Anke Sieloff gab das Damenopfer der karthagischen Königin Didon mit anrührendem Sopran, Anna Agathonos entfaltete als Cassandre visionär-mystische Mezzo-Magie. Dass der Chor so manche Passage verstolperte, liegt auch an Berlioz’ virtuoser Schreibweise, die den vokalen Massenklang letztlich wie ein zweites Orchester behandelt.
An diesem Chor und seinen nicht nur dekorativen, sondern handelnden Auftritten biss sich auch der Hausregisseur Baesler die Zähne aus. Tatsächlich hat Berlioz sein 1858 beendetes Riesenwerk, das am MiR in zwei Teilen gegeben wird, im Geiste Glucks und der griechischen Tragödie verfasst, dem Chor mithin eine Hauptrolle verliehen. Für sinnvolle Aktionen und die in der Grand Opéra beliebten szenisch-musikalischen Tableaux ist das Haus indes zu begrenzt, man drängt sich wie die Sardinen in der Konservenbüchse. Daneben fährt Baesler unter Plünderung des Fundus beliebte Kriegs-und Macht-Klischees auf, lässt die ersten beiden Akte (Die Einnahme von Troja) im Ersten Weltkrieg spielen – mit Cassandre als einer Art Florence Nightingale – und wechselt in den Karthago-Akten zu einem arabisch-marmornen Prachtintérieur (Bühne: Hermann Feuchter) samt Königinnen-Bett, das nach Befleckung schreit. Die dargebotenen Harmlosigkeiten aber waren nur geeignet, den faszinierenden Koloss des klassizistischen Musiktheaters ungebührlich zu verkleinern. //MSS
Kolossal verkleinert
01. Feb. 2007