TEXT: STEFANIE STADEL
Ein schmucker Adelshof im Stil der Weserrenaissance. Das 16. Jahrhundert lebt auf. Aber nur mit Blick auf die Fassade, denn drinnen bietet sich ein anderes Bild: Seit bald drei Jahrzehnten tobt die Gegenwart in dem alten Gemäuer. 1984 hielt sie Einzug mit dem Bielefelder Kunstverein, der – 1929 gegründet – heute zu den renommierteren und mit gut 1.000 Mitgliedern auch zu den größten in Deutschland zählt. Günther Uecker bestritt damals die Eröffnungsausstellung in der alten, neuen festen Bleibe des Vereins, die Künstlern wie Kuratoren mit ihren verschachtelten Räumlichkeiten ganz eigene Bedingungen bietet.
Als amtierender Direktor hat Thomas Thiel es sich zur Regel gemacht, auf den beiden Ausstellungsetagen jeweils zwei kleine Einzelpräsentationen parallel laufen zu lassen. Erstaunlich gut funktioniert sein Rezept bei der aktuellen Paarung, mit Mathieu Kleyebe Abonnenc oben und Maryam Jafri im Erdgeschoss. Denn die Künstler – sie 1972 in Pakistan geboren, er 1977 in Französisch-Guyana – haben einiges gemeinsam. Beide vertiefen sich mit Akribie in komplexe, gesellschaftlich begründete, historisch hergeleitete Themen. Und beide setzen dabei auf eine recherchebasierte Herangehensweise, die stark analytisch ist – was bei der einen und erst recht bei dem anderen zu ziemlich komplexen, schwer zugänglichen Resultaten führt. Ohne Ausdauer und guten Willen hat der Besucher hier keine Chance.
Nur ganz allmählich etwa erahnt er, welch verzwickte Zusammenhänge Jafri in ihrem Film namens »Avalon« vor Augen führt. Dabei zieht sie innerhalb von zehn Minuten alle möglichen Register: Man folgt authentischen Interviews, der Blick fällt in eine Manufaktur, reale Produkte werden gezeigt, daneben aber auch inszenierte Szenen. Und am Ende ist klar, dass es um ein Start-Up-Unternehmen irgendwo in einem islamisch geprägten Land geht, das mit Sadomaso-Artikeln für den US-Markt extrem erfolgreich ist. Während das fromme Umfeld protestiert und die Näherinnen weiterhin am Glauben festhalten, sie fertigten Zubehör für den Zirkus und Zwangsjacken für die Psychiatrie. Selbst der Designerin, die regelmäßig Neuigkeiten erdenkt, ist die Welt ihrer Kundschaft völlig fremd, wie es scheint.
Für ganz andere Parallelwelten interessiert sich Jafri in ihrer aktuellen, eigens für den Auftritt in Bielefeld entstandenen Arbeit. Diesmal geht es um die Entkolonialisierung afrikanischer und asiatischer Staaten. Die Künstlerin hat dazu in historischen Bildarchiven nach Fotos vom ersten Unabhängigkeitstag in Ghana, Kenia, Mosambik gefahndet, stellt ihre Funde aus verschiedenen Quellen vergleichend nebeneinander und schneidet damit etliche Fragen an – nicht zuletzt die nach der Selbst- und Fremdpräsentation der Kolonial-Staaten.
Damit kommt sie dem Kollegen in der ersten Etage schon recht nahe. Auch Kleyebe Abonnenc kreist beharrlich um Formen historischer Recherche und Repräsentation, speziell bezogen auf die Geschichte der Kolonisation und Dekolonisation. Auch, wenn er sich einen Ring des Urgroßvaters aus Französisch-Guyana vornimmt – das Schmuckstück mit Schädelrelief zeichnete diesen als Freimaurer aus, der Ende der 1920er Jahre in einen Aufstand verwickelt wurde und aus seiner Heimat fliehen musste. Der Urenkel nun nimmt den Ring, lässt ihn einschmelzen, dokumentiert den Vorgang im Video und präsentiert sogar das Ergebnis – man bemerkt es kaum. Nur ein Silberstreif im Verputz des Renaissance-Gemäuers. Doch es genügt, eine ganze Geschichtenlawine loszutreten. An ihrem Anfang steht ein Bielefelder Adelsgeschlecht und am Ende der Urenkel eines Freimaurers aus Südamerika.
Bielefelder Kunstverein bis 28. April 2013. Tel.: 0521/178806. www.bielefelder-kunstverein.de