Juan Muñoz (1953 bis 2001) gilt als der wichtigste figurative Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Doch wer die von ihm geschaffenen Zwerge, Bauchredner und Lauscher, Wartenden und Eckensteher charakterisieren will, muss bald passen. Der spanische Künstler fand in seinem viel zu kurzen Leben immer wieder neue Methoden, um mit Papiermaché, Silikon und bemalten Stoffen Figuren zu zeigen und gleichzeitig wegzublenden. Der Souffleur hockt, aber der Betrachter sieht nur dessen Rücken. Die grau gekleideten Chinesen lächeln, doch der Grund ihrer Freude bleibt geheim, der Ausdruck eingefroren, die Leere allgegenwärtig. Die Distanz zwischen den scheinbar menschlichen Wesen und dem, der sich ihnen nähert, ist fast unüberbrückbar. »Rooms of My Mind« – Räume meiner Vorstellung nennt sich die erste umfassende deutsche Einzelausstellung im Düsseldorfer K 21, eine der schönsten und rätselhaftesten zum Thema des Menschseins. 30 zum Teil raumgreifende Skulpturen und Installationen, dazu Zeichnungen, Fotos und Sound-Arbeiten wurden von den Kuratoren Julian Heynen und Valeria Liebermann zusammengetragen – allesamt erstklassige Leihgaben. Immer intensiver hat Muñoz den Kontakt zum Menschen gesucht, hat ihn zum Spieler seines Welttheaters, zum Vertrauten seiner Dialoge, zum Sinnbild seiner Absurditäten gemacht – als Kunstwerk wie als Zuschauer. Luigi Pirandellos Scheinproduzenten und Samuel Becketts Endspieler stehen Pate, doch im Gegensatz zu den Dichtern sorgt der Bildkünstler aus Madrid nicht für ein Endlos-Sprechen, sondern für Schweigen, lautloses Lachen, ewiges Verstummen. Der Mensch ist spürbar, aber nie ganz greifbar. Bezeichnend ist das Präludium der Ausstellung: Altmodische Balkone sind an den Museumswänden installiert wie Aussichtkanzeln. Doch niemand steht auf den Vorsprüngen, und ein Blick hinauf nach oben bringt nichts. Keine Tür wird sich öffnen. Das Auge hat eine Richtung – nicht mehr.
Muñoz liebt diese Spähposten, Schranken, Fensterläden und illusionistisch bemalten Vorhänge, hinter denen sich nichts auftut. Unsereins stiert den Dingen entgegen, doch das Auge dringt nicht durch. Zuweilen sind Geländer an der Wand montiert, sie geben keinen Halt, weil dahinter ein offenes Messer lauert, in das die suchende Hand unfreiwillig geraten kann. Nichts stützt, hilft oder hält. Selbst der raffinierte Fußboden mit dem ornamentalen Muster dient lediglich dazu, den Schritt des Betrachters zu verunsichern.
Die Installationen wirken wie Versatzstücke, die dazu dienen, die eigene Existenz zu reflektieren. Wem gehört der mit Linoleum belegte Raum im Museum, den sich Kunstfigur und Kunstgänger teilen? Der Eintretende wird zum wichtigen Element der künstlerischen Vorstellungen von Muñoz, denn nur er kann Fragen stellen, ohne Hoffnung auf Antwort allerdings. Wer diese Böden betritt, wird zur Schachfigur in einer Bildergeschichte, ohne die Handlung zu kennen. Manchmal kann man den doppelten Boden beobachten, aber es gibt keine Chance, weder die Unterkonstruktion noch den Oberbau zu betreten, geschweige denn, zu erfassen. Niemand kommt hinter die Dinge. Da trägt ein junger Mann einen noch jüngeren vorsichtig über das fiktive Parkett. Wie bei einem nach Luft schnappenden Karpfen bewegen sich seine Silikon-Lippen, doch zu neuem Leben führt die Bewegung nicht. Alles läuft ins Leere, wie die ausdruckslose, papierne Polyesterhaut in dieser seltsam undefinierbaren schmuddeligen Sandfarbe. Aus einer Kugelform erwächst eine menschliche Gestalt, beinlos, die Arme im Gewand. Sie taugt nicht als Stehaufmännchen, sie lehnt an der Wand, eine Hörende, die nicht hört und von niemandem gehört wird. Aus einem abgedunkelten Raum dringt durch ein kleines Loch in der Wand das Licht von draußen. Das Katz-und-Maus-Spiel kann beginnen, nur kann niemand sagen, wo die Tiere zu verorten sind. Da sind die viel zu kleinen Leitern, die den Figürchen an der Wand ins Gehirn und in den Mund bohren, ihnen jedoch keinen Aufstieg zum Himmel garantieren. Der Besucher darf sich den grauen, ewig lachenden Figuren hautnah nähern, kann sie fassen, aber nicht erfassen.
Die Kunst des Juan Muñoz bleibt fremd und einsam. Die Figuren sind selbst im Rudel nur kleine unheimliche Menschlein ohne Füße. Dem verstorbenen Galeristen Konrad Fischer, seinem Entdecker in Deutschland, hat Muñoz einen Schuhkarton gewidmet. In ihm sausen zwei Puppen über eine Schiene hoch über unseren Köpfen immer an der Wand entlang, vor und zurück. Von nun an bis in Ewigkeit. //
Kunstsammlung NRW, K21; bis 4. Februar 2007; Katalog, Verlag Navado Press, Triest, deutsch und englisch, 29,80 Euro. Tel.: 0211/83 81 600. www.kunstsammlung.de