TEXT: INGO JUKNAT
Amerikanischer und englischer Folk verhalten sich ein bisschen wie Microsoft zu Apple. Beide können im Grunde dasselbe – Verpackung und Wahrnehmung variieren dafür erheblich. Nehmen Sie das größte Neo-Folk-Phänomen dieses Sommers: Mumford & Sons. Die Engländer füllen inzwischen Hallen mit 7.000 Zu-schauern, Tendenz steigend. Das Publikum ist jung und hip – die bei dieser Musik sonst übliche Melange aus Country-Nostalgikern und Rolling-Stone-Lesern fehlt beinahe völlig. Die Ironie ist, dass Mumford & Sons ungefähr so authentisch sind wie Analogkäse. Sie kommen aus London, der zweifellos unländlichsten Stadt Europas. Das heißt natürlich nicht, dass man als Städter kein Banjo spielen darf, zeigt aber, dass Authentizität bei dieser Welle keine Rolle spielt. Das gilt auch für Stornoway, eine Band aus Oxford. Deren Mitglieder wirken auch nicht gerade wie die typischen Landarbei-ter. Sie sind so blass und zierlich, als würden sie unter der Last einer Heugabel zusammen-brechen. Und doch haben sie mit »Zorbing« gerade den wahrscheinlich schönsten Folksong des Sommers geschrieben (»Zorbs« sind übrigens diese durchsichtigen übergroßen Bälle, in die man hineinklettern kann).
Bei solchen Songs gibt es keinen Grund, auf die Röhrenjeans-Folker von der Insel herabzu-sehen. Wer trotzdem nicht ohne Karohemd und Vollbart auskommt, hat ja noch genug Alternativen. Mehrere davon touren derzeit durch NRW. Da wären zunächst einmal Iron & Wine um den Sänger Sam Beam, der mit Gesichtsbehaarung und Flanellhemd zumindest optisch alle Hillbilly-Kriterien erfüllt. Er spielt eine Art melancholischen Indie-Folk, die Show im Düsseldorfer Zakk ist das einzige Einzelkonzert in Deutschland. Das Kulturzentrum in der Landes-hauptstadt scheint generell eine gute Anlaufstelle für Musiker aus dem Americana-Bereich zu sein – ein paar Tage später geben Calexico dort eines ihrer (ebenfalls seltenen) Deutschland-Konzerte. Die Band aus Arizona kombiniert Folk und Country, Musik aus Spaghetti-western und mexikanische Mariachi-Klänge zu einem sehr eigentümlichen Sound.
Schwer klassifizierbar sind auch Wilco. Die Band hat sich in den letzten 15 Jahren zu einem der Kritikerlieblinge schlechthin entwickelt. Vielleicht spielen die Amerikaner deshalb in-zwischen in klassischen Häusern (im September in der Düsseldorfer Tonhalle). Der zweite Grund mag die schiere Zahl der Musiker sind. Wilco sind eine Großkapelle mit wechselnder Belegschaft und Instrumenten – von der Geige bis zur Drehleier ist so ziemlich alles möglich. Auch bei dieser Gruppe könnte man meinen, die Musiker kämen direkt aus dem Heuschober. In Wirklichkeit stammen sie aus Chicago.
Calexico, 9.9.2010, Düsseldorf, Zakk
Iron & Wine, 15.9.2010, Düsseldorf, Zakk
Wilco, 20.9.2010, Düsseldorf, Tonhalle
Stornoway, 22.9.2010, Köln, Studio 672
Mumford & Sons,27.9.2010, Köln, Palladium