Glenn Gould spielt, während er wie so oft dabei mitsingt, Johann Sebastian Bach. Vielfach schneidet Lars von Trier das musikalische Extrem-Solo in seine Killer-Sinfonie des Grauens ein. Weshalb und zu wessen Legitimation? Um den Künstler als Sonderfall des Menschlichen im Bann des Dämonischen zu brandmarken oder zu heroisieren? Nicht allein der Pianist wird in »The House that Jack built« zum Zeugen, ob Zeuge der Anklage oder Entlastungszeuge für den Serienmörder Jack, von Matt Dillon wie in Stein gemeißelt dargestellt.
Auch die Gotik, Gauguin, überhaupt die Künste bis in Selbstzitate der eigenen von Trier-Filme wie »Melancholia«, bis in die Travestie mit Albert Speers Bauten für Hitler und bis zu den Unholden der Geschichte, die die Hölle auf Erden schufen und dort, zumindest metaphorisch, auf ewig brennen. In hybriden Künstlerexistenzen und Ausnahme-Erscheinungen sieht der pathologische Charakter Jack, der Zwangsneurotiker und Architekt des Todes, seine Brüder. Einmal werden als Beispiel der Eiswein und die Edelfäule der Trauben herangezogen, um einen produktiven Prozess der Zersetzung zu schildern. Dann wieder das Bild vom Schatten, der seinen Menschen begleitet und sich je nach Lichteinfall dehnt, voranläuft, hintan hängt, in der Größe changiert.
Fünf mörderische »Vorfälle«, weniger perfekt als risikoreich ausgeführt, als wolle der moralfreie »Mister Sophistication« Jack auf frischer Tat erwischt werden, erleben wir mit. Der dritte ist der schauerlichste in der Filmgeschichte von Pasolini bis Haneke: der an einer Mutter und ihren zwei kleinen Söhnen, deren Leichen die Frau bei einem grausigen Picknick füttern soll. Die Toten lagert Jack zu Dutzenden im Kühlhaus ein, wo er einen letzten irresten Testversuch unternimmt.
Der Film will Dantes »Divina Commedia« paraphrasieren mit dem Antichrist Jack und dem Seelenführer Vergil alias Verge (Bruno Ganz als bedächtig altfränkische Gewissens-Instanz und Autorität des Humanen). Verge ruft als Antithesen Goethe und Buchenwald auf. Aber der dialektische Gedanke daran bleibt ungedacht. Der von schwarzer Romantik fatal infizierte Lars von Trier inszeniert den Trip ins Dunkel als Laborblutbericht, kalt und präzise, ohne die melodramatische Schutzhülle seiner früheren Film-Räusche. Aber muss jemand ein monströses Leichen-Schauhaus errichten, um für sich den Geniebegriff zu klären und das Verhältnis von Gut und Böse – und sei im Angesicht der aktuellen Politik und Gesellschaft in den USA – zu betrachten?
»The House that Jack built«, Regie: Lars von Trier, Dänemark 2018, 150 Min., Start: 29. November 2018.