// Welche Assoziationen weckt ein Roman mit dem Titel »Wie ich mich einmal in alles verliebte«, zumal wenn man erfährt, dass es sich dabei um das Debüt eines jungen Brooklyners handelt? Vermutlich die der Geschichte eines vielleicht etwas unbeholfenen jungen Mannes, abwehrlos dem Überangebot von Sex in the City ausgeliefert. Tatsächlich gibt es einen solchen jungen Mann in Stefan M. Blocks erstem Roman, er heißt Seth, ist 15 Jahre alt, eine Art Neird, der sich zwischen Buchseiten wohler fühlt als zwischen Mädchenarmen, der einen klaren, zugleich ironischen Blick auf seine eigene Situation besitzt und der daher ein paar komische Geschichten aus dem Leben eines Jugendlichen zu erzählen weiß. Und das sind mit die besten Passagen in diesem Buch.
Aber es gibt noch eine andere Stimme, die von Abel, einem alten Mann, der allein in den heruntergekommenen Resten seines Lebens sitzt und von sich erzählt: von seinem einsam machenden Buckel, von seiner rettungslosen Verfallenheit an die Frau seines Bruders Paul, Mae, an der er buchstäblich alles liebte (hier ist der Titel hergenommen); von Pauls »Behinderung«: seiner geheimen und tragischen Homosexualität; davon wie er, Abel, erst eine Weile lang Mae und dann Mae eine Tochter bekam, Jamie; worauf er Mae wieder verlor und die Tochter nicht seine eigene sein durfte. Und wie Jahr für Jahr immer mehr von seinem Leben verschwand: Paul, Mae, Jamie, das Land, auf dem sie alle lebten.
Beide Stimmen erzählen, anfangs leise, dann immer stärker, vom Verschwinden. Denn sie erzählen von Alzheimer, genauer: einer Frühform, die Menschen in der Blüte ihrer Jahre befällt. Daher heißt Blocks Erstling im Original »The Story of Forgetting«. Denn Block ist zwar ein Debütant, aber ein ernsthafter Autor. Er teilt uns (auf seiner Website) mit, dass seine Großmutter an Alzheimer litt. Er kann schreiben, er hat etwas zu sagen, ihm ist das Werben mit reißerischen, in die Irre führenden Titeln höchstwahrscheinlich fremd.
Block weiß, dass, einen Roman schreiben, eine Geschichte erzählen, das genaue Gegenteil dessen ist, was Morbus Alzheimer tut, der einen Zusammenhang vernichtet. Abel hält die Fäden seiner Lebensgeschichte, so nah an ihrem Ende sie ist, so weh sie ihm tut, ganz fest; Seth versucht, trotz seiner Jugend, die Fäden zusammenzufügen, die seine Mutter zeitlebens lose liegen ließ. Denn sie ist es, die erst vergisst, bald nichts mehr weiß, für immer in die Klink kommt. Und nun versucht der Sohn, die Lebensgeschichte seiner Mutter, die sie verschwieg und die nun für sie selbst verloren ist, wiederherzustellen – eine kleine mutige Reise durch die Krankheit und zu vielen anderen Menschen, die von ihr befallen sind und daher wissend in den Abgrund sehen. Drüber hinaus stellen Abels und Seths Geschichten selbst zwei lose nebeneinander her laufende Fäden dar, umzwirbelt von komischen Phantasien darüber, wie die Genmutation, die die Alzheimer-Krankheit zur Folge hat, in die Welt kam und sich verbreitete. So durchziehen diese beiden antipodischen Kräfte Erzählen und Vergessen den Roman und geben ihm ein Muster aus Tragikomik, Fabulierlust und elegischer Wärme (gelegentlich stört ein Anflug von auktorialer Überambitioniertheit). Und am Ende verschmelzen die Fäden: Aus zwei Geschichten wird eine, aus drei Menschen werden zwei. Vergessen bekämpfendes und Verbindung stiftendes Element ist dabei eine seltsame Familiensage: die von Isidora, dem Land, in dem keine Erinnerung existiert, vererbt von Generation zu Generation wie die Krankheit. Ein Happy End stellt sich dennoch nicht ein. Wie auch. Alzheimer ist unheilbar. //
Stefan Merrill Block: Wie ich mich einmal in alles verliebte; aus dem Englischen von Marcus Ingendaay; DuMont Verlag Köln, 340 S., 19,90 €