Die französische Literatur ist nicht eben arm an Bekennern. Ihr wohl berühmtester, Jean-Jacques Rousseau, hat in seinen »Confessions« die Bestmarke gesetzt, an der sich ähnliche Unternehmungen seitdem zu messen haben: allein auf der ersten Seite nicht weniger als 26 Mal auf sich selbst zu verweisen. Ich, mich, mir – das ist das Vokabular der Herzensentblößung. Wenn das dann auch noch gebrochen ist, gibt es für »Ich« gleich noch mehr gute Gründe, von sich selbst zu sprechen. Das emotionale Scherbengericht, das der Ich-Erzähler in Nicolas Fargues’ Roman »Nicht so schlimm« über sich selbst hält, spart nicht mit Peinlichkeiten und Eigenbezichtigungen. Je nach Befinden ist dieser Egomane ein verhinderter freier Mensch, ein Lügner, Narzisst und Schlappschwanz, ein Versteher von geschlagenen Ehefrauen und verhinderter Don Juan, herzlos, unaufrichtig, liebesunfähig. Letzteres zumindest überrascht, denn was hier als Schuldeingeständnis erzählt wird, ist eine Liebesgeschichte, eine zarte sogar. Und eine Entliebungsgeschichte, die sich von Anfang an auf sehr leidenschaftlichem Niveau einpegelt. Es wird geschworen, geheult und gedroht, geschrien, geküsst und geschlagen – und immer wieder der Versuch unternommen zu verzeihen. Vergeblich. Von derartigen Dramen gibt es naturgemäß immer so viele Versionen wie Beteiligte. In »Nicht so schlimm« sind es derer drei, doch die Sicht auf die Dinge ist allein die des Ich-Erzählers.
Ein »Ich«, das dem Leser von Anfang an das Du anbietet, ihn als Komplizen in seine Geschichte hineinzuziehen versucht: Ich erzähle Dir alles, rückhalt- und schonungslos, und Du wirst am Ende sagen, dass ich nicht so kalt, niedrig und gemein bin, wie ich zu behaupten vorgebe. Diese Engführung der Perspektive macht den Reiz von »Nicht so schlimm« aus. Ertappt sich der Leser doch dabei, sich weniger für die Befindlichkeiten des Erzählers zu interessieren, als für dessen Kalkül, das nicht zuletzt darin besteht, die Überzeugungsarbeit in eigener Sache als Selbstanalyse zu tarnen.
Was, bitte schön, soll man halten von einem Mann, der, nachdem er erfahren hat, dass sich seine Frau von einem unglaublich gut proportionierten Typen hat flachlegen lassen, nichts Besseres zu tun hat, als sie in Unterhose auf dem Fliesenboden des heimischen Esszimmers anzutanzen? Von einem Mann, dessen wichtigste Bezichtigung andererseits vielleicht die ist, auch in der Selbstanklage noch Machiavellist zu sein? Allein die harten Daten, die sich über diesen Erzähler in Erfahrung bringen lassen, weisen ihn als geradezu idealtypischen Vertreter seiner Generation auf: das ewige, wohlbehütete Kind, dessen Eltern in Freundschaft geschieden wurden, das später selbst eine Familie mit zwei Kindern gründet. Von weltgeschichtlichen Dramen verschont und im Umgang mit Schicksalsschlägen unerfahren. Mit 30 Jahren dann ein kleiner Flirt, eher aus Langeweile heraus, wobei nicht ganz klar ist, ob das nun erste manifeste Anzeichen einer um 20 Jahre zu früh einsetzenden Midlifecrisis sind, oder ob hier jemand nicht erwachsen werden möchte. Man wird dem Erzähler zustimmen, wenn er diese Vorgeschichte als »banal und bürgerlich« bezeichnet. Genauso wie man ihm, der auf so vordergründig intelligente Weise selbstgefällig sein kann, am Ende abnehmen wird, dass plötzlich die Hölle über ihn hereinbricht, aus der er durch einen italienischen Engel auf Erden erlöst wird. So lebt es sich nun mal, wenn es plötzlich heißt: Irony is over! Lässt man sich auf den rhetorisch raffiniert ausstaffierten Plauderton ein, auf die pathetischen Gefühlsauf- und Abschwünge, auf die gezielt provokanten Inkorrektheiten, dann entfaltet Nicolas Fargues’ Roman einen sehr eigenwilligen Sog. Denn all das gehört zum Symptombild des sentimental übersteuerten Erzählers, dem zwischenzeitlich das Herz auf Erbsengröße zusammenschrumpft; und es ist eben nicht die Schwäche seines Autors. Denn Fargues ist klüger, als sein charmant selbstmitleidiger Erzähler vermuten lässt. Der wiederum sollte weniger ernst genommen werden, als er selbst sich nimmt. Dann ist »Nicht so schlimm« auf unglaublich unterhaltsame Weise banal und abgründig zugleich.
Nicolas Fargues, Nicht so schlimm
Aus dem Französischen von Frank Wegner, Rowohlt Verlag, 2007, 192 S., 16,90 €