NUR WEISSE FRAUEN
Leïla Marouanes »Das Sexleben eines Islamisten in Paris«
Zwar ist die Hauptfigur in Leïla Marouanes neuem Roman ein Mann, doch das eigentliche Gravitationszentrum bildet eine Frau: die Mutter des Protagonisten Mohamed Ben Mokhtar, die ihn in Affenliebe umklammert hält. Die Familie stammt aus Algerien, Mohamed kam als kleiner Junge nach Paris. Jetzt ist er 40 und erfolgreicher Banker. Doch er wohnt immer noch bei Mama im Vorort Saint-Ouen und schleppt jedes Wochenende artig die Einkäufe für den Familien-Couscous.
»Ich will so nicht weitermachen.« Mit diesem Entschluss setzt der Roman der in Paris lebenden Algerierin Marouane ein: Mohamed erfindet sich neu, und das geht so weit, dass er sich die Haut bleicht, die Haare glättet und sich einen französischen Namen zulegt: Basile Tocquard. Er sucht sich eine schicke Wohnung im Nobelviertel St. Germain, legt ein Vermögen für die Einrichtung hin und lässt die sonntäglichen Couscous-Erinnerungs-Anrufe seiner Mutter auf dem AB auflaufen. Die allerhöchste Priorität setzt er bei seiner Entjungferung: »Ich interessierte mich ausschließlich für weiße Frauen, Frauen, die an die Pille und an Kondome gewöhnt waren, die körperlich und geistig frei waren.« Der Leser begleitet Mohamed-Basiles Emanzipation, indem er ihm bei seinen Versuchen zuschaut, möglichst hellhäutige Frauen flachzulegen. Erfolglosen Versuchen: Aufgrund eines vermutlich ethnischen Magnetismus landet er doch immer wieder bei maghrebinischen Frauen.
»Das Sexleben eines Islamisten in Paris« ist ein Roman über Einwanderer mit Identitätsschwierigkeiten – und trotzdem anders als die üblichen. Nämlich komisch, satirisch, böse und mit großer Leichtigkeit geschrieben. Marouane entfacht ein erzählerisches Feuerwerk, mit dem sie dominante Mütter, alltagsuntaugliche Männer, Zwangsheiraten und den verlogenen »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«-Slogan der französischen Republik in die Luft jagt. | DIN
Leïla Marouane, »Das Sexleben eines Islamisten in Paris«, Aus dem Französischen von Marlene Frucht, Edition Nautilus, 231 S., 18,90 Euro.
FIEBER ON THE ROCKS
Jean-Philippe Toussaints »Die Wahrheit über Marie«
Marie ist kapriziös, nicht ohne Gefühl und Leidensfähigkeit; chaotisch, international erfolgreich: Modeschöpferin. Eine Frau wie ein die Pole wechselnder Magnet. Auch der Ich-Erzähler, Maries langjähriger Geliebter, befindet sich zu ihr in Abstoßungsanziehung. Er kann nicht lassen von Marie, Marie letztlich nicht von ihm. Und der Autor Jean-Philippe Toussaint nicht von beiden: »Die Wahrheit über Marie« ist der dritte Roman über das Paar, das in dem nicht enden wollenden Bemühen verstrickt ist, keins mehr zu sein. Denn zwar ist für beide das Miteinander nicht lebbar – den Erzähler macht allein wahnsinnig, dass Marie ständig alles offen lässt: Koffer, Schubladen, Bücher –, doch eine selbst durch große Räume (Tokio-Paris) und fremde Haut hindurch wirkende Anziehung verhindert immer wieder den letzten Schritt.
Es ist diese Anziehung, die die beiden ersten (»Sich lieben«, »Fliehen«) sowie auch diesen, den besten der drei Marie-Romane, durchtränkt. Starkes, aber nicht pures, sondern in alles eingesickertes Begehren: in Worte, Dinge, Situationen; in die Luft, ins Licht der Straßenlaternen. Dass daraus kein Kitsch wird, davor bewahrt die Haltung des Erzählers, der sehnt, liebt, leidet, doch durch Reflexion veredelt und gefasst; sowie die Sprache Toussaints (eines Belgiers), durch die von fern die subjektlos distanzierte Beschreibungsgenauigkeit des Nouveau Roman zu hören ist: Fieber on the rocks. Also kann eine (vielleicht: die) Szene des Romans wunderbar gelingen, in der ein durchgehendes Rennpferd, Paradesymbol der Leidenschaft, auf dem Frachtflughafen von Tokio im strömenden Regen durch die Nacht verfolgt wird: eine unerhörte Begebenheit. Ein Spiel mit Klischees, das selbst keins wird. Und so ist dieser ganze Roman. | UDE
Jean-Philippe Toussaint »Die Wahrheit über Marie«, Roman, aus dem Französischen von Joachim Unseld, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2010, 190 S., 19,90 Euro.
GERADEAUS MIT KLEINEN UMWEGEN
Markus Berges, Sänger und Texter der Kölner Indie-Kapelle »Erdmöbel«, hat ein Buch vorgelegt: »Ein langer Brief an September Nowak«.
Glück gehabt! In den Elektronikversorgungsmärkten der Republik steht die neue CD »Krokus« von Erdmöbel weiterhin in der Kategorie »Alternative«. Sie sind immer noch Indie genug, damit ihnen die Nachbarschaft von Deutschrockisten wie Peter Maffay erspart bleibt. Und dass Markus Berges und seine Kollegen eines Tages auf Gottschalks Couch mit ihrer CD wedeln, ist momentan auch nicht zu befürchten. Denn Erdmöbel sind immer noch angenehm unbekannt; was für die Band spricht, die aufgrund ihres Namens öfter mal der Ost-Rockszene zugeordnet wird. Schließlich war »Erdmöbel« die sozialistische Umschreibung für Sarg. Doch sie spielen kein Gothic und kommen auch nicht aus Leipzig. Markus Berges, der in Telgte geboren wurde, und seine Mit-Musiker wohnen in Köln, sind nicht mehr die Jüngsten, und haben eine Vorliebe für übergroße Retrobrillen (Berges), eigenartige Kopfbedeckungen (die Mitmusiker Ekimas, Proppe und Dewueb), schrammelige, posauneske Musik und schräg-assoziative Text-Konstrukte. Eines der ersten Alben hieß »Altes Gasthaus Love«; ihre Lieder tragen Titel wie »Vergnügungslokal mit Weinzwang« oder »Snoopy-T-Shirt«, sie singen auf ihrer neuen Platte von »Feiner Schweineleberwurst im goldenen Darm«, »Apfelkitschen«, »Schaffnerinkonturen« und einer »Luftballonwettbewerbskarte«. Alles melodiös untermalt mit Mut zum Instrument (Waldhorn!), fernab jeder Berlin-Mitte-Mittelmäßigkeit anderer deutschmusizierender Bands.
Natürlich hat man als Band mit schlauen Texten und unangepasstem Bekleidungsstil schnell seinen Ruf weg – trotzdem sind Berges und Erdmöbel für Kölner Verhältnisse unfolkloristisch, keine Bläck-Föös für Germanistikstudenten. Obwohl Markus Berges selber mal einer war, bevor er als Psychiatriepfleger und Lehrer arbeitete. Zwei Berufe, die sich wahrscheinlich weniger ausschließen, als man denkt. Berges, der für die Schweineleberwurst in Erdmöbels Texten verantwortlich ist, hat jetzt sein erstes Buch geschrieben: »Ein langer Brief an September Nowak«. Wer jetzt innerlich zuckt, und wem die Aussicht, mit Berges Liedtextkunst auf Buchlänge konfrontiert zu werden, schaudern lässt, der kann beruhigt werden. Der Autor versucht gar nicht erst, originell zu sein, sondern erzählt eine einfache, süßsäuerliche Geschichte über das Erwachsenwerden. 1995 will die neunzehnjährige Betti ihre langjährige Brieffreundin in Südfrankreich besuchen. Die glamouröse September Nowak lebt in einem der schicksten Hochhäuser Monacos – das hat sie in ihren Briefen jedenfalls immer geschrieben. Deswegen ist bei Betti die Enttäuschung groß, als sie von einem dicken Mädchen am Bahnhof abgeholt wird, das in einer runtergerockten Vorstadt lebt. Nach anfänglichem Schock und Wut bricht Betti allein nach Monaco auf, dessen Straßen sie schon zuhause in der westfälischen Provinz mit dem Finger im Reiseführer abgegangen ist. Sie sucht das Glück, trifft skurrile Menschen, bereist trampend die südfranzösische Küste bis nach Spanien hinein, besucht Orte wie die Walter Benjamin-Gedenkstätte, wird nebenbei erwachsen und irgendwann selbst zu September Nowak.
Berges’ »langer Brief« ist auf lässige Weise unspektakulär, ja altmodisch. Eine Mischung aus trotzig-staunendem Coming-of-age-Text und literarischem Reiseführer, schließlich hat Berges für die Recherche selbst die Wege seiner Betti aus Warendorf abgefahren. Und wenn man den Beiden auf ihrem Weg durch die Zeilen des Buchs hinterher reist, kann man sich den letzten Track auf Erdmöbels neuer Platte anhören: »September Nowak«, ein Instrumentalstück. Findet sich direkt hinter Track 12: »Das Leben ist schön«. | VKB
Markus Berges, »Ein langer Brief an September Nowak«, Rowohlt Berlin 2010, 208 S., 18,95 Euro.
DIE WELT ALS SCHEIBE
»DJ Dionysos« von Hans Nieswandt
»Sound of Cologne«, das ist nicht etwa die globalisierte Beschreibung für kölsche Mundart, sondern eine spezielle Art von Tanzmusik, die zu etablieren der in Köln lebende Musiker Hans Nieswandt in den 1990ern kräftig mithalf. Heute ist dieser Sound ein weithin bekannter Exportschlager und Nieswandt gehört zu den wichtigsten deutschen DJs. Er selbst produziert etwas, das gerne »Autorenelektronik« genannt wird. Doch Nieswandt kann nicht nur Musik, sondern auch schreiben. Zunächst als Redakteur bei der Spex; dann brachte er Kurzgeschichten zu Papier, in denen er mit viel Ironie episodenhaft das DJ-Dasein zwischen Dienstleistung und Künstlertum beschreibt und reflektiert. So wird immer auch eine Wegstrecke nachgezogen, die Nieswandt aus dem elektronischen Underground auf hochkulturelle Gipfel hinaufgeführt hat: als Botschafter in Sachen elektronische Musik bereist er für das Goethe Institut die Welt.
In seinem dritten Buch, »DJ Dionysos«, erzählt Nieswandt einmal mehr Disko-Geschichten, autobiografisch grundiert, verdichtet und pointiert. Es geht um die digitale Revolution am Plattenteller oder um die Frage, wie man bei Wim Wenders durchs Bild läuft und am Ende doch dem Schnitt zum Opfer fällt. Oder warum man Auftritte auf Provinztheaterbühnen besser ablehnen sollte, wenn gesetzte Regisseure Shakespeares »Romeo und Julia« »remixen« wollen. Wir erfahren, was Jürgen Trittin auf den Plattenteller legt, wenn er als »DJ Dosenpfand« unterwegs ist. Und ganz nebenbei holt Nieswandt die Kultfigur DJ aus dem Olymp in die Hölle der Provinzdisko zurück. Nachrichten aus einer Welt, die eine Scheibe ist, die sich auch in digitalen Zeiten noch immer um sich selbst dreht. Mit Nieswandt: »Man nimmt einfach alte Tracks, recycelt sie mit modernen Mitteln, gewinnt hochwertigen Brennstoff und kann damit immer wieder neue Generationen effektiv betanken.« | ANK
Hans Nieswandt, »DJ Dionysos«, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 194 S., 8,95 Euro.