TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Am Anfang steht eine defekte Nähmaschine vom Flohmarkt. Geschichten, die so beginnen, können schnell sozialromantisch, ja kitschig werden; vor allem, wenn sie gut ausgehen. Thanh Thuy Nguyen erzählt sie trotzdem – offen und voller Selbstbewusstsein. Die 31-jährige Modedesignerin ist im Kölner Stadtteil Chorweiler aufgewachsen, einer Trabantenstadt aus den 70er Jahren, die in der öffentlichen Wahrnehmung längst den Titel »Problemviertel« trägt. Ihre Eltern stammen aus Vietnam, sie selbst sieht sich als »echtes kölsches Mädsche«. Als sie sich für Mode zu interessieren beginnt, kauft der Vater ihr die erste, kaputte Nähmaschine vom Flohmarkt, die repariert und zum Grundstein ihrer Karriere wird.
Nguyen macht eine Ausbildung als Bekleidungstechnische Assistentin, da das klassische Schneiderhandwerk zu den aussterbenden Berufszweigen gehört und eine entsprechende Lehre nicht möglich ist. Ein Studium kommt für sie nicht in Frage, ihr Traum ist es, in einem kleinen Unternehmen zu arbeiten, um selbst anzupacken und eigene Entwürfe zu verwirklichen. Da solche Jobs nicht leicht zu bekommen sind, hält sie sich mit Praktika über Wasser, unter anderem bei einer Textildesignerin, und sammelt vor allem eins: Erfahrung. Immer sind da auch die eigenen Ideen, an denen sie arbeitet; Freunde und Familie animieren Nguyen, ihre Entwürfe der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die ersten Stücke der Kollektion entstehen in ihrem WG-Zimmer, und bei ihrer ersten Ausstellung auf einem Designmarkt merkt sie: »Es funktioniert – die Leute kaufen!«
Seit vier Jahren betreibt sie ihr eigenes Label »Thanh-Thuy«, das ihren Vornamen trägt, und arbeitet in einem eigenen Atelier mit Showroom im Kölner Szene-Viertel Ehrenfeld. Ihre Kollektionen sind sportlich, elegant und minimalistisch, zudem spürt man in der Klarheit der Schnitte ihre asiatischen Wurzeln. Wichtig ist ihr, dass man sich wohlfühlt in ihren Kleidungsstücken; Nguyen möchte keine untragbaren, experimentellen Entwürfe nur für den Laufsteg kreieren. Ihre Pullover und Kleider sollen zu »Lieblingsstücken« werden, die man zu jedem Anlass tragen kann. Als Material bevorzugt sie Jersey und Maschenware; dehnbare Stoffe, die sich an den Körper anschmiegen – auf Knöpfe und Reißverschlüsse, die von der klaren Schnittform ablenken würden, verzichtet sie hingegen.
»Lieblingsstücke« heißt auch ein Teil ihrer Kollektion, die Kleider lassen sich im Theater genauso wie beim Bummeln tragen. Grelle Farben findet man bei »Thanh-Thuy« nur vereinzelt, und wenn, dann richtig wie beim pinken »KoKon«-Pullover. Auffälliges Gestaltungsmerkmal ist die Raffung der Stoffe in verschiedene Richtungen, und auch bei den »Lieblingsstücken« findet sich das immer wiederkehrende Element in den Entwürfen von »Thanh-Thuy« – die Kapuze. Hier umschließt die Kapuze das Gesicht komplett, einen Schal kann man sich bei ungemütlicher Witterung also sparen.
Etwas Besonderes ist »Wanda«, die Wendekollektion. Hier bekommt jede Kundin eigentlich zwei Kleidungsstücke in einem. Was gerade noch ein elegantes Kleid in Grautönen war, wird durch einfaches Wenden in ein sportlich-trikotartiges, sanftblaues Stück verwandelt – tragbar in der Oper oder im Club, je nach Laune. Ebenso wandelbar ist der bereits erwähnte Pullover »KoKon«, dessen lange Bündchen an den Armen gestalterische Akzente setzen und dessen riesiger »Wohlfühlkragen« auf vielfältige Art genutzt werden kann. Als eine Mischung aus Rollkragen-Pullover und Schal, oder als Schutz vor kaltem Wind von vorn – man kann den Stoff bis zu den Augen über das Gesicht ziehen. In der sportlichen Variante trägt man die farbige Seite nach außen, für elegantere Anlässe lässt sich der Kragen nach innen drapieren. Das Innenfutter stattet Thanh Thuy Nguyen mit bunt gemusterten Stoffen aus, um weitere optische Akzente beim Wenden, Raffen und Stülpen zu erzielen. Kundinnen, die die »Thanh Thuy«-Kapuzenästhetik mit anderer, eigener Kleidung kombinieren wollen, können zum Wendeschal greifen, dessen zwei Seiten in Rot und Anthrazit sich immer wieder neu arrangieren lassen.
Nguyens Kundschaft ist zwischen dreißig und sechzig Jahren alt, kürzlich stand aber überraschenderweise eine betagte, über achtzig Jahre alte Dame in ihrem Atelier, hingerissen von der Kollektion und ausgestattet mit gesundem, selbstbewusstem Humor: »Ich könnte morgen tot umfallen, warum sollte ich mich nicht kleiden wie ich will?« Nguyen hat der Besuch der alten Dame stark beeindruckt, dieser Schwester im Geiste und Kämpferin gegen den Beige-Terror. Zudem freut sie sich, dass ihre Mode auch bei der älteren Generation ankommt. Und, ganz wichtig: »Man soll sich nicht verkleidet vorkommen in meinen Sachen, sondern richtig wohlfühlen!«
Momentan arbeitet Thanh Thuy Nguyen daran, ihre Kollektion nach und nach auf Organic-Cotton, auf Bio-Baumwolle, umzustellen. Als erstes ist »Wanda«, die Wendekollektion, an der Reihe. Außerdem möchte sie in Zukunft auch auf den großen Order-Messen präsent sein, damit ihre Kleidung auch in anderen Boutiquen zu finden sein wird. Sie arbeitet mit einer Schneiderei in Süddeutschland zusammen, und der »Designerstore Update« im südtirolerischen Brixen hat ihre Stücke im Sortiment. Ansonsten findet man Thanh Thuy Nguyen auf Design- und Modemessen in Deutschland, Österreich und der Schweiz – im Jahr 2011 beispielsweise auf der »ArtDesign Feldkirch«, zudem hat sie an der Designmesse »blickfang« im Museum für angewandte Kunst (MAK) Wien, und an der Modemesse »Modezone« im Lentos Kunstmuseum Linz teilgenommen.
Designliebhaber, die auf den Kölner »Passagen«, vom 16. bis 22. Januar 2012, mal etwas anderes sehen wollen als avantgardistisches Möbeldesign, können in der Ehrenfelder Geisselstraße im Nguyens Atelier vorbeischauen – »Thanh Thuy« hat während der großen Designsause eine Woche lang geöffnet.