TEXT: ANDREAS WILINK
Noch ist es zu früh für Nachrufe und fürs Abschiednehmen. Noch dauert die Saison ein halbes Jahr, bevor in Köln der Vorhang fällt für Karin Beier und ihr Ensemble. Aber schon lässt sich sagen, dass man viele, aber besonders Michael Wittenborn vermissen wird. Als einer von fünf Darstellern ist er mit dabei in »Werner Schlaffhorst – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein«, das Clemens Sienknecht im Geiste seines früheren Mentors Marthaler aufblättert. Wittenborn ist unter seinen Kollegen (darunter die gut bei Stimme seienden Sienknecht selbst und Yorck Dippe als grienender Conférencier) Primus. Ein ingeniöser Komödiant, der in schwindelnd flache Abgründe blickt, als kuriose Mischung aus Loriot, Otto Waalkes, Heinz Erhardt und dem großen Werner Finck agiert und den Unterhaltungs-Beamten und Funktionär in der Republik der Flausen gibt.
Im ZDF gab es eine Serie, in der Prominente mit Freunden und biografischen Stationen konfrontiert wurden: »Das ist ihr Leben«. Von der Wiege bis zur Bahre war nun Werner Schlaffhorst keineswegs ein Ereignis, vielmehr ein Fall von Banalität des Guten – und des Verkannten. Ein Provinzler aus Iserlohn, der auch am Amazonas bleibt, was er ist: ein Mann der sinnlosen Talente. Der Erfinder kreierte u.a. mit dem Schlaffomaten eine Art Miniorgel, weiterhin die Ätherwellengeige nebst sonstigem Krimskrams. Sammelsurium eines Lebens, das schon das Bühnen-Wimmelbild (Duri Bischoff) spiegelt: vollgestellt mit Mobiliar, Musikinstrumenten, Küchen- und Sportgerät, einer eigenwilligen Bücherwand, Karteikästen, einem demontieren Fahrrad, Plattenspieler und Tonbandgerät sowie einer Kollektion Büstenhalter in Schaukästen wie aufgespießte Schmetterlinge. In diesem aufgelösten Haushalt macht es sich das in altmodischem Braun-Beige gekleidete Quintett bequem, tänzelt, blödelt, stolpert, musiziert und singt wie zu Zeiten von »Dalli Dalli« – nur langsamer. Unterbrochen von Werbe-Jingles und allerlei Intermezzi, ist 100 Jahre Schlaffhorst eine Revue albernen Ernstes und eine Montage kultureller Referenzen, denn Schlaffhorst inspirierte das Kinderlied ebenso wie die Popmusik (»Werner was a Rolling Stone«), dilettierte in Zahlenmagie und hatte Anteil am Fußball-Wunder von Bern. Der fiktive Nachruf auf ein Jahrhundert des Übermenschen nimmt, sanft ironisch, die Gegen-Perspektive ein und feiert den spleenigen Versager in den Schablonen der Heroisierung. (EXPO-Halle: Termine erst wieder im Januar)