Interview: Andrej Klahn
// Es kostet etwa sechsmal so viel wie der IKEA-Regal-Klassiker »Billy« und bietet halb so vielen Büchern Platz: Amazons »Kindle« genanntes Lesegerät für elektronische Bücher. Doch die Frage, ob Leser mit ihrer Bibliothek wohnen oder sie lieber in die Tasche stecken wollen, beschäftigt derzeit mehr die Verlags- als die Möbelhäuser.
Vor zehn Jahren gab es bereits erste Versuche, das eBook auf dem Buchmarkt zu etablieren – ohne großen kommerziellen Erfolg. In Europa wartet die Branche nun gespannt auf die Einführung des »Kindle«, der in den USA seit Ende 2007 auf dem Markt ist. Konkurrenzmodelle liegen bereits in den Geschäften. In Amerika hat sich der Umsatz mit eBooks in drei Jahren vervierfacht, wobei Amazon einen Anteil von mehr als 80 Prozent daran hat. Infrage steht nicht mehr, ob sich eBooks auch in Deutschland durchsetzen, sondern wie tiefgreifend sie den Markt und das Lesen verändern werden. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Buchpreisbindung. Wird die sich halten lassen, wenn der Preis für digitale Bücher durch illegale Kopien unter Druck gerät? Nicht zu vergessen die Situation der kleinen Buchhandlungen, für die die Einführung des »Kindle« – das englische »to kindle« bedeutet übersetzt »entzünden« – endgültig zum Flächenbrand werden könnte. //
K.WEST: Was hatten Sie für ein Gefühl, als sie das erste Mal einen eBook-Reader in der Hand gehalten haben?
DURSTHOFF: Ich war zunächst überrascht, weil das Schriftbild klarer und lesefreundlicher war, als ich es erwartet hatte. Die Handhabung ist noch ein bisschen umständlich, die Formatierung funktioniert auch nicht immer. Doch der Reader ermöglicht ein komfortables Lesen. Insbesondere die Vergrößerungsfunktion werden Menschen zu schätzen wissen, die zum Lesen sonst eine Brille benötigen.
K.WEST: Und wie fühlt es sich für einen Verlagsangestellten an?
DURSTHOFF: Helge Malchow, unser Verleger, hat es kürzlich sehr schön auf den Punkt gebracht: Sich mit dem eBook zu beschäftigen und es in Kürze auch anzubieten, ist wie ein Marsch durch die Nebelzone. Wir alle wissen nicht, was das eBook für uns wirklich bedeutet, wie schnell es sich durchsetzen und wie sehr es unsere Branche umkrempeln wird.
K.WEST: Der Hanser-Verleger Michael Krüger hat in Bezug auf das eBook unlängst von einer »elektronischen Hölle« gesprochen. Einer Hölle, der man widerstehen müsse. Sehen Sie die Sache ähnlich skeptisch?
DURSTHOFF: Ich glaube, dass das eBook für uns eine Chance ist. Wir bekommen aus Amerika zwar keine verlässlichen Zahlen, die Aufschluss über den Verkauf von Lesegeräten und eBooks geben. Aber Amazon soll durch das eBook seine Umsätze erhöht haben. Das lässt vermuten, dass der durchschnittliche eBook-Käufer das Buch aus Papier nicht durch ein elektronisches ersetzt. Ich bin zudem überzeugt, dass wir uns mit Hilfe der eBooks eine junge Leserschaft erschließen können, Jugendliche, die sich bislang wenig für Bücher interessiert haben.
K.WEST: Der Umsatz der Musikindustrie ist in den letzten Jahren dramatisch eingebrochen. Schuld daran seien die Raubkopierer, heißt es. Droht der Buchbranche ein ähnliches Schicksal?
DURSTHOFF: Zumindest eines werden wir nicht machen: warten. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis die Musikwirtschaft legale Download-Angebote gemacht hat. So konnte eine Generation heranwachsen, für die es vollkommen normal ist, sich Musik illegal zu beschaffen.
K.WEST: Wie ließe sich dem begegnen?
DURSTHOFF: Wir werden von Anfang an vielfältige legale Angebote machen. Zurzeit diskutieren wir heftig darüber, ob ein Kopierschutz sinnvoll ist. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass geistiges Eigentum einen Wert und Preis hat. Ich möchte ungern Polizei und Staatsanwaltschaft ins Spiel bringen. Aber es gehört sich für eine Kulturnation nicht, diese Urheberrechte zu enteignen.
K.WEST: Mit der Einführung des »Kindle« wird Amazon seine Marktmacht in Europa vermutlich noch weiter ausbauen.
DURSTHOFF: Generell ist es immer schlecht, wenn man es auf der Handelsseite mit wenigen, immer potenteren Konzernen zu tun hat. Doch diesen Konzentrationsprozess erleben wir seit längerer Zeit; und er wird sich fortsetzen und beschleunigen, wenn sich das eBook hier durchsetzt.
K.WEST: Welche Rolle spielt der Sortimentbuchhändler in der digitalisierten Buchwelt?
DURSTHOFF: Das ist eine offene Frage. Doch dieser beschleunigte Konzentrationsprozess könnte für kleinere Buchhandlungen zu einem existenziellen Problem werden.
K.WEST: C. H. Beck will seine Fach-eBooks direkt vermarkten, also am Buchhandel vorbei. Halten Sie das für eine richtige Strategie?
DURSTHOFF: Nein. Es ist wichtig, dass wir alle bestehenden Formen und Formate ausprobieren und nutzen. Wir wollen unsere eBooks über die komplette Vertriebsbreite anbieten, also auch zusammen mit dem kleinen und mittleren Buchhandel. Wir werden unseren Handelspartnern nicht schaden, indem wir unsere Bücher exklusiv selbst vertreiben.
K.WEST: Hans Magnus Enzensberger hat gemutmaßt, das eBook könnte auf lange Sicht sogar Verlage überflüssig machen. Autoren, so die Vermutung, könnten direkt mit Amazon zusammenarbeiten.
DURSTHOFF: Wenn das so wäre, müsste Amazon Lektoren einstellen und die Verlagsfunktion mit übernehmen. Verlage haben eine Filterfunktion. Wenn das wegfiele, würde es eine unübersichtliche Masse von Texten geben. Das kann kein Leser wollen.
K.WEST: Wird sich die Programmarbeit des Verlages durch das eBook verändern?
DURSTHOFF: Im Sachbuchbereich ist noch mal mit einer Verschärfung des Tempos zu rechnen. Dabei müssen wir natürlich aufpassen, dass wir nicht versuchen, mit der Tagespresse und dem Internet zu konkurrieren. Das Buch braucht eine gewisse Distanz zum aktuellen Geschehen.
K.WEST: Wie wird die Preisgestaltung aussehen?
DURSTHOFF: Ein eBook sollte nicht weniger als die günstigste Form des gedruckten Buches kosten. Das ist in der Regel das Taschenbuch. Aber es gibt auch Branchenteilnehmer, die sich einen Preis wünschen, der zehn Prozent nach unten hin abweicht.
K.WEST: Die Musikindustrie ist zunächst auch davon ausgegangen, dass Musik-Downloads nur geringfügig billiger sein sollten als CDs. Darüber haben sich vor allem die Raubkopierer gefreut.
DURSTHOFF: Man kann nicht alle Erfahrungen der Musikindustrie auf den Buchmarkt übertragen. Dann müssten wir anfangen, in Alben und in Singles zu denken. Eine Erzählung wäre vielleicht für 99 Cent, das ganze Buch für 9.90 Euro zu haben. Wir müssen Erfahrungen sammeln. Doch der Startpunkt wird dicht beim günstigsten Preis des gebundenen Buches liegen.
K.WEST: Denn mit der Preisgestaltung der eBooks steht die Buchpreisbindung auf dem Spiel.
DURSTHOFF: Genau deshalb ist es ja so wichtig, sich mit dem Preis eines eBooks an dem des gebundenen Buches zu orientieren. Dieses Prinzip werden wir, so lange es möglich ist, verteidigen. Es darf keinen weiteren Preisverfall von Büchern geben. Die Hardcover-Preise stagnieren seit mehr als 15 Jahren, bei der Klappenbroschur sinken sie sogar.
K.WEST: Eröffnet das eBook in ästhetischer Hinsicht neue Möglichkeiten? Denkbar wäre zum Beispiel ein crossmedialer Roman.
DURSTHOFF: Derartige Versuche gab es schon, als das Internet sich durchzusetzen begann. Doch davon ist wenig geblieben. Vermutlich wird es vermehrt Experimente in diese Richtung geben. Doch ich glaube nicht an eine Trendwende.
K.WEST: Aber wir werden anders lesen müssen?
DURSTHOFF: Meine eigene Erfahrung geht tatsächlich in diese Richtung. Ich habe mit dem Reader kein Gefühl für Textumfänge. Einen Manuskriptstapel kann ich schnell durchblättern und weiß, wo was steht. Das ist mit einem elektronischen Buch schwer möglich. Aber das ist eher eine technische Herausforderung.
K.WEST: Würden Sie das eBook verhindern, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
DURSTHOFF: Nein. Es hat viel zu viele Vorteile.
K.WEST: Für Verlage?
DURSTHOFF: Für Leser.