Interview: Heinz-Norbert Jocks
Mitte der 50er Jahre malte Konrad Klapheck, der 1935 in Düsseldorf geboren und 1979 Professor an der dortigen Kunstakademie wurde, gegen den Strom der Abstraktion seine ersten magischen Maschinen. Darunter: Schreib- und Nähmaschinen, Schuhspanner, Wasserhähne, Duschen und Feuerlöscher. Als die amerikanische Pop Art ihren internationalen Sieg feierte, galt er als einer ihrer wichtigsten Vertreter deutscher Herkunft. Dabei war er stets mehr Außenseiter denn Repräsentant einer Bewegung. Nach vier Jahrzehnten zog er 1997 einen radikalen Schlussstrich und ersetzte die überdimensionierten Maschinen durch Akte in Innen- und Außenräumen. Den aktuellen Stand seines »Lebensromans« zeigt die Kunsthalle Recklinghausen im Rahmen der Ruhrfestspiele vom 6. Mai bis 23. Juli in einer umfassenden Werkschau, bestehend aus 70 Gemälden und Zeichnungen aus allen Schaffensperioden. Mit Klapheck sprach Heinz-Norbert Jocks über die Kunst und das Leben.
K.WEST: Herr Klapheck, wie wurden Sie zu dem Klassiker, als der Sie heute gefeiert werden?
KLAPHECK: Die Lust am Tun war immer da, wobei mir das Lernen auch immer viel Spaß gemacht hat. Mit Ausnahme meiner Pubertätszeit, während der die Leistungen absackten, war ich meistens ein guter Schüler. Am Schreibtisch zu sitzen, um in einer fremden Sprache einen kleinen Aufsatz zu verfassen, war immer ein großes Vergnügen. Übrigens ist das gar nicht so viel anders als Malen. Als Kind habe ich hauptsächlich aus Büchern abgemalt, besonders aus den deutschen Heldensagen. Eine gewisse Isolierung, in der ich als Einzelkind lebte, fand wohl ein Echo in den Illustrationen, diesen gepanzerten Rittern. Die Tarnkappen, Helme, Schilde, sogar die Pferde steckten in Rüstungen, das alles fand ich ungeheuer aufregend. Später habe ich in vielen meiner Bilder diese Panzerung wieder gefunden. Die großen Bohr- und Nähmaschinen und die Bilder mit schlitzartigen Strukturen und lamellenartigen Elementen, mit Jalousien, die schützen und gegen die vom Kind als feindlich empfundene Außenwelt abschirmen: Wahrscheinlich drücken sie mein damaliges Lebensgefühl aus. Ich hatte auf dem Gymnasium einen sehr guten Zeichenlehrer, Kurt Prechtl. Einmal forderte er mich dazu auf, eine kleine Schraube, die er in der Hand hielt, in zwanzigfacher Vergrößerung zu zeichnen. Ein anderes Mal sagte er: »So, jetzt lassen wir die Pingelei. Jetzt wird auf befeuchtetem Aquarellpapier mit Farbe rumgepanscht. Mal sehen, was dabei herauskommt. «
K.WEST: Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Bruno Goller, Ihrem Lehrer an der Akademie?
KLAPHECK: Ein sehr gutes. Ich war auf Vatersuche und habe mir mehrfach Ersatzväter gesucht, Goller war einer von ihnen. Einerseits schüchtern, besaß er trotzdem ungeheure Autorität. Er entschuldigte sich, bevor er an einem Bild etwas kritisierte, mit Allgemeinplätzen wie: Es führen viele Wege nach Rom. Oder: Irren ist menschlich. Aber dann holte er zur Kritik mit niederschmetternder Deutlichkeit aus. Wenn er sagte: »Nehmen Sie es mir nicht übel, die Farben an dieser Stelle, das ist Türkischer Honig«, so war dem nichts hinzuzufügen. Dann konnte man die Stelle nur noch abkratzen oder übermalen. Wenn er ein Bild als verbaut einschätzte, gab es kein Vertun. Das schlimmste Urteil lautete: »Stellen Sie es schnell weg.« Als ich, nach meinen ersten gegenständlichen Bildern mit Objekten unsicher geworden, mit tröpfelnden Klecksen in tachistischer Manier rumprobierte, sagte er mir auf den Kopf zu: »Das sind Sie nicht.« Eine solche Deutlichkeit ist für einen Schüler enorm hilfreich.
K.WEST: Von 1956 bis 1959 haben Sie in Paris gelebt, was bedeutet für Sie im Rückblick diese Zeit?
KLAPHECK: Das war nach meinen ersten fünf Semestern auf der Akademie. Paris war damals noch in voller Blüte als Kunststadt. Ich ging mit großen Erwartungen hin, zusammen mit meiner damaligen Freundin und späteren Frau Lilo. Aber ich sprach noch nicht gut französisch, die wichtigen Begegnungen fanden erst später statt. Aber es war auch wichtig, sich mal von der Mutter zu entfernen und auf sich selbst gestellt zu sein. Was hat mich beeindruckt? Der kobaltblaue Himmel mit seinen unglaublichen weißen Wölkchen, so wie es Corot gemalt hat. Und der Louvre. Ich bin jede Woche zwei oder drei Mal in das Museum gegangen. Mein Lieblingsbild war Leonardo da Vincis »Johannes der Täufer« mit diesem überirdisch schön gemalten Fell, das der Täufer trägt.
K.WEST: Sie trafen in frühen Jahren Max Ernst und Ernst Wilhelm Nay…
KLAPHECK: Als ich Max Ernst begegnete, stand ich selber noch ganz am Anfang. Da hatte ich gerade mal das Abitur in der Tasche. Wir trafen uns in Paris, in seiner Wohnung. Ich war unangemeldet erschienen. Als ich meinen Namen nannte, nahm er sich auch ein bisschen Zeit für mich. Er hatte mit meinem Vater gemeinsam bei Paul Clemens Kunstgeschichts- Vorlesungen gehört. Er zeigte mir auch ein paar Arbeiten. Vorher war es zu einer Begegnung mit dem deutschen Superstar der Nachkriegsjahre, mit Nay, gekommen. Ihn hatte ich 1949 in Hofheim im Taunus besucht. Er war damals noch nicht so berühmt. Ich erschien in Lederhosen mit Fahrtenmesser während einer Fahrradtour bei ihm. Er ließ den 14-Jährigen in sein Atelier eintreten – und ich erklärte ihm seine Bilder. Darauf sagte er: »Wenn Sie heute schon so viel über Kunst wissen, was wollen Sie denn in fünf Jahren malen?« Also, Beziehungen zur Kunst waren immer da, auch die Gespräche über Kunst. Meine Mutter beschwerte sich gelegentlich sogar, mit mir könne man ja über nichts Menschliches reden.
K.WEST: Wenn wir weiter durch die Kunstgeschichte wandern, welche Rolle spielte für Sie die Pop Art?
KLAPHECK: 1962 habe ich den Begriff zum ersten Mal gehört. Der New Yorker Galerist Leo Castelli, der Jasper Johns, Rauschenberg, Andy Warhol und Lichtenstein groß gemacht hat, sagte mir bei einem Besuch, dass es in den USA Maler gebe, die ähnliches anstrebten wie ich. Das konnte ich gar nicht glauben. Dann hatten die Amerikaner, die später als Pop Art Kunstgeschichte machten, eine Art Skandal- Erfolg, in dessen Windschatten ich mitsegelte, allerdings mit gemischten Gefühlen. Manche Künstler habe ich sehr verehrt, schätze sie heute noch, einige haben mich angeregt.
K.WEST: Ist Ihr Blick auf die Dinge ein literarisch vermittelter?
KLAPHECK: Der ist sicherlich auch vom Lesen beeinflusst. Von Anfang an fesselten mich Beschreibungen von Dingen, ob es sich um den Schreibtisch des Vaters in Stifters »Nachsommer « oder um die Harpune in Melvilles »Moby Dick« handelte. Ich verstand nie, warum sich andere dabei langweilten. Mich jedenfalls regte die Entfaltung der Beschreibung geradezu auf. Nicht nur die Sitten der Walfänger, die Geräte selbst werden da zu einem genauen Bild. Man bekommt fast ein Handbuch über den Walfang in die Hand. Diese Malerei in Worten mit Glanzlichtern auf stählernen Instrumenten kommt mir sehr entgegen. Über die Hinrichtungsmaschine in Kafkas »Strafkolonie« gibt es Bibliotheken an Sekundärliteratur. Was mich anzog, als ich die Geschichte als Gymnasiast las, war die Sachlichkeit einer Sprache, die mechanische Vorgänge wie in einer Gebrauchsanleitung beschreibt und dadurch die Grausigkeit des Geschehens noch unterstreicht.
K.WEST: Sie gelten als Mann mit festen Gewohnheiten. Ist Regelmäßigkeit für Sie ein Ideal?
KLAPHECK: Bestimmt. Vielleicht auch, um meine Schwermut in Griff zu behalten. Am liebsten stehe ich um zehn Uhr im Atelier und fange um halb elf zu malen an. Dann mache ich eine Mittagspause, nach den Ein-Uhr-Nachrichten, die ich mir regelmäßig anhöre. Anschließend male ich zwei, drei Stunden weiter. Wenn ich dann richtig erschöpft bin und wirklich etwas an diesem Tag geleistet habe, ein bisschen mehr vielleicht, als ich mir vorgenommen habe, mache ich Feierabend. Ich halte auch den christlichen Sonntag ein. Nicht aus religiösen Gründen, sondern einfach, weil es praktisch ist. Natürlich muss es im Leben Überraschungen geben, Einschnitte, die ein solches Beamtendasein unterbrechen. Der größte Einschnitt, der sich auch auf meine Bilder auswirkte, war der plötzliche Tod meiner Frau, die 1987 bei einem Brandunglück ums Leben kam. Da musste ich erfahren, dass sich nicht alles planen lässt. Die Konfrontation mit dem eigenen Unvermögen, der Impotenz, nicht helfen zu können, war schrecklich. Ich stand vor dem Flammenhaus wie in einen Hollywood-Film. Aber es war eben nicht wie im Kino, wo der Held die Frau rettet. Was bleibt, ist neben einem Schuldgefühl die Aufgabe, weiterzuleben. Diese Katastrophe, die krasseste Unterbrechung des von mir angestrebten gleichmäßigen Rhythmus, hat mich wachgerüttelt und Emotionen in mir erweckt. Ich glaube sogar, dass die Bilder, die ich danach gemalt habe, leidenschaftlicher geworden sind, dass da mehr Leben drinsteckt, mehr Leiden und ein größerer Gefühlsreichtum.
K.WEST: Ein Jahr später lernten Sie Ihre neue Lebensgefährtin, die Kostümbildnerin Wanda Richter-Forgâch, kennen…
KLAPHECK: Ja, der Verlust hat uns quasi zusammengeführt. Sie hatte ihren Mann durch Scheidung verloren. Übrigens wurden wir uns dessen, dass wir einander emotional sehr viel zu bieten haben, erstmals im Düsseldorfer Schauspielhaus bei einer Inszenierung von Goethes »Stella« bewusst. Also jenem Drama zweier Frauen mit Partnerverlust, die feststellen, dass sich ihre Trauer auf denselben Mann bezieht. Obgleich keine Jahrhundertaufführung, erschütterte sie uns sehr. Es passiert mir selten, dass ich im Theater weine, aber da war es um mich geschehen. Merkwürdigerweise verfolgte ich die Geschichte durch die Brille meiner Freundin und sie durch meine. Das Finden eines elementaren Schmerzes in der Literatur wirkte reinigend und tröstend gerade dadurch, dass es das eigene Leid nochmals intensivierte. Darüber hinaus bestärkte mich jener Abend darin, den Beginn eines neuen Lebensabschnittes zu wagen.
K.WEST: Seit einigen Jahren porträtieren Sie nun schon Menschen aus Ihrem Umkreis – weshalb?
KLAPHECK: Diese kleine Nebentätigkeit ist auch ein Schärfen der Werkzeuge. Im Grunde trainiere ich das genaue Beobachten sowie die Wiedergabe der Wirklichkeit, indem ich von Zeit zu Zeit das Porträt- und Aktzeichnen meiner Studienzeit wiederaufnehme. In den siebziger Jahren habe ich jeden Sonntagabend zusammen mit dem Maler Oswald Petersen und einem Fotografen Akt gezeichnet. In den letzten Jahren verbrachte ich mit meiner Freundin Wanda bei jedem unserer Parisaufenthalte einige Nachmittage mit Aktzeichen in der Académie de la Grande Chaumière, wo ich Momente großer Ekstase erlebte. Die Erotik liegt dabei mehr im Vorgang des Zeichnens als im Anblick nackter Damen und Herren.
Kunsthalle Recklinghausen, 6. Mai bis 23. Juli 2006; Tel.: 02361/50-1935, www.Kunsthalle Recklinghausen.de