Mit seinen Momentaufnahmen von Menschen im Museum hat Felix Krämer auf Instagram eine große Fan-Community gefunden. Dabei ist er gar kein Fotokünstler, sondern Kunsthistoriker – seit 2017 leitet er den Düsseldorfer Kunstpalast. Die Städtische Galerie im Park Viersen widmet seinen ebenso treffsicheren wie witzigen Schnappschüssen nun eine Ausstellung, die der Kunst-Comedian Jakob Schwerdtfeger kuratiert hat.
kultur.west: Herr Krämer, mit Ihrem Smartphone fotografieren Besucherinnen und Besucher einer Ausstellung normalerweise die Werke, die dort zu sehen sind. Sie hingegen konzentrieren sich bei Ihren fotografischen Streifzügen durch Museen und Kunsthallen auf das Publikum, das in die Betrachtung vertieft ist. Wie kam es zu diesem Perspektivwechsel?
KRÄMER: Ich sehe jedes Jahr zahllose Ausstellungen. Das ist Teil meines Jobs. Und bei jedem dieser Besuche stelle ich mir die Frage, wie gelingt hier die Interaktion mit dem Publikum? Besucher sind für mich schon immer ein entscheidender Teil des Kuratierens gewesen. Seit etwa zehn Jahren mache ich nebenher die Schnappschüsse von Museumsbesuchern. Der erste Blick gilt aber immer der Kunst. Und es gibt tatsächlich Ausstellungen, da vergesse ich das Fotografieren, weil mich die Werke so in ihren Bann ziehen. Erst, wenn ich die Kunst gesehen habe, schaue ich nach guten Kombinationen.
kultur.west: Können Sie ungefähr umreißen, wie viele Ausstellungen pro Jahr Sie besuchen? Und haben Sie dabei stets das Smartphone zur Hand?
KRÄMER: Vermutlich um die 100 – vielleicht auch mehr. Ja, das Smartphone habe ich immer dabei. Allerdings mache ich bei eigenen Eröffnungen keine Schnappschüsse mehr, da ich mich als Gastgeber nicht gleichzeitig um die Gäste kümmern kann.

kultur.west: Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie den Dialog zwischen Mensch und Kunst festhalten? Welche Rücken entzücken Sie besonders?
KRÄMER: Mittlerweile habe ich beim Fotografieren eine gewisse Routine entwickelt. Blaues Bild und blaues Kleid – das funktioniert immer. Ich suche aber lieber nach Kombinationen, die man erst auf den zweiten Blick versteht. Eine Linie, die weiterläuft oder ein Pulli-Muster, das sich versteckt auch im Bild befindet. Grundsätzlich tragen Frauen die interessanteren Kleidungsstücke. Männer wie ich, die vor allem gedeckte Farben bevorzugen, sind als Motiv uninteressant. Ein Highlight sind bunt gefärbte Haare – da ergibt sich das Foto fast von allein. Es passiert allerdings sehr, sehr oft, dass die Menschen, die wunderbar zu einem Werk passen würden, gerade an diesem Objekt einfach achtlos vorbeigehen. Man hat das Bild schon im Kopf, aber die Realität ist dann doch eine andere.
kultur.west: Hat sich schon einmal jemand darüber beschwert, dass Sie ihn im Museum zwar nicht hinterrücks, aber von hinten fotografiert und auf Instagram präsentiert haben? Oder bitten Sie die von Ihnen ausgewählten Kandidaten ohnehin um Einverständnis – vor oder nach der Aufnahme?
KRÄMER: Nein, ganz im Gegenteil. Immer wieder bekomme ich – nachdem ich Schnappschüsse bei Insta hochgeladen habe – eine Nachricht, dass man sich dort wiedergefunden und erkannt habe. Ein negativer Kommentar war noch nie dabei. Nur wenn Gesichter erkennbar sind, frage ich die Personen, was bei meinen Aufnahmen allerdings nur sehr selten vorkommt.
kultur.west: 1997 veröffentlichte Christoph Stölzl anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Deutschen Historischen Museums in Berlin eine literarische Anthologie mit dem Titel »Menschen im Museum«. Würden Sie zustimmen, wenn man Ihre Instagram-Serie als Fortschreibung dieses Projekts mit den Mitteln der Fotografie beschriebe? Und was können wir aus Ihren Bildern über die »Menschen im Museum« lernen? Gibt es im Angesicht der Kunst typische Verhaltensweisen, die Ihnen immer wieder auffallen? Und die Sie deswegen festhalten?
KRÄMER: Ums Lernen geht’s mir nicht, aber es gibt schon bestimmte Verhaltensweisen in Museen. So wie es auch bestimmte Typen von Museumsbesuchern gibt. Hinzu kommen regionale Unterschiede. Japan zum Beispiel eignet sich überhaupt nicht für Museums-Schnappschüsse. Die meisten Museumsbesucher dort tragen grau oder schwarz. London, New York oder Paris sind super. Je bunter, desto besser. Eigentlich ganz einfach.
kultur.west: Momentan umfasst Ihr Instagram-Account @f_kraemer knapp 500 Beiträge, und circa 5000 Follower folgen Ihnen. Wie ist deren Resonanz – abgesehen von den obligatorischen roten Herzchen? Erinnern Sie sich an die eine oder andere Äußerung, die Sie besonders treffend oder schmeichelhaft fanden
KRÄMER: Die zahlreichen Reaktionen sind schon toll. Und natürlich freue ich mich über Komplimente! Es kommt vor, dass aufgrund meiner Fotos Menschen eine von mir empfohlene Ausstellung besuchen, was super ist!
kultur.west: Über die kunsthistorische Zunft ist manch eine hämische Bemerkung im Umlauf. Immer wieder hört man, Kunsthistoriker seien im Grunde gescheiterte Künstler, die durch eine Karriere im Kunstbetrieb auf Umwegen Zugang zu jenen Gefilden suchten, die ihnen mangels künstlerischem Talent ansonsten unerreichbar geblieben wären. Wie verhält es sich da bei Ihnen? Wollten Sie jemals Künstler werden? Und betrachten Sie die Insta-»snapshots« – so Ihre eigene Charakteristik – als Kunst? Oder als Nebenbeschäftigung ohne Anspruch auf kunsthistorische Relevanz
KRÄMER: Diese Sehnsucht treibt mich nicht. Dafür habe ich auch einen viel zu großen Respekt vor Künstlern und deren Schaffen. Es gibt eine ganze Reihe von Fotografen, die Menschen in Museen fotografieren oder fotografiert haben. Dessen bin ich mir natürlich bewusst. Ich bin ein Museumsdirektor, der nebenbei Schnappschüsse bei seinen Museumsbesuchen macht. Das ist alles. Und wenn diese Eindrücke anderen Menschen gefallen und Ihnen ebenfalls Spaß machen – umso schöner!
kultur.west: Seit kurzem läuft in Viersen die Ausstellung »It’s a match. Felix Krämer X Jakob Schwerdtfeger«. Hier werden Ihre Momentaufnahmen gleichsam museal verewigt, zumindest in den Status von Kunstwerken erhoben, die nun ihrerseits Gegenstand der Betrachtung durch die Kunst-Community sind. Es gibt sogar einen Kurator – der Kunst-Comedian Jakob Schwerdtfeger. Können Sie uns ein wenig über die Idee und das Format dieser Ausstellung erzählen? Wie fühlt es sich an, wenn man als Museumsdirektor, der zwar öffentlich präsent ist, aber gleichwohl in der Regel hinter den Kulissen agiert, ins Rampenlicht gerückt wird?
KRÄMER: Ob die Bilder tatsächlich in den Status von Kunstwerken erhoben werden, weiß ich nicht. So wie ich kein Künstler bin, ist Jakob Schwerdtfeger kein Kurator. Wir beide sind in dem jeweiligen Bereich Amateure, die Spaß an einem Experiment haben. Als ich die Einladung zu der Ausstellung erhielt, war ich komplett überrascht, aber es stand für mich von Anfang an fest, dass ich das nicht selbst kuratieren kann. Ich halte mich komplett raus. Wie die Ausstellung aussieht, habe ich erst bei der Eröffnung erfahren. Mein Beitrag bestand darin, dass ich Schwerdtfeger auf einem Datenstick mehr als 1000 Bilder geliefert habe, aus denen er dann eine Auswahl zusammengestellt hat. Für mich existierten die Aufnahmen zuvor nur auf meinem Smartphone – manche sogar in richtig schlechter Bildqualität, da es sich ja um Schnappschüsse handelt, die teilweise bei unzureichenden Lichtverhältnissen gemacht wurden. Wie es sich anfühlt, auf der anderen Seite des Ausstellungsbetriebs zu sein? Aufregend. Dagegen ist die Eröffnung einer großen Gerhard-Richter-Ausstellung wirklich entspannend.
»IT’S A MATCH. FELIX KRÄMER X JAKOB SCHWERDTFEGER«
STÄDTISCHE GALERIE IM PARK VIERSEN
BIS 1. MÄRZ

Jakob Schwerdtfeger: Vom Comedian zum Kurator
Auf YouTube erklärt er die Renaissance, Impressionismus oder Expressionismus in jeweils 100 Sekunden. Auch sonst ist Jakob Schwerdtfeger ein Kunsthistoriker, der rasch zur Sache kommt. Muss er auch, denn als Stand-up-Comedian wäre zögerliches Räsonieren kontraproduktiv. Geboren 1988 in Hannover, hat er Kunstgeschichte studiert und im Frankfurter Städel Museum im Bereich der Kunstpädagogik gearbeitet. Die Beweihräucherung der Kunst, wie sie traditionell in den Museen praktiziert wurde (und teils noch wird), ist sein Ding nicht: »Ich finde, über Kunst wird oft viel zu elitär und abgehoben gesprochen. Das möchte ich ändern, unterhaltsame Zugänge zur Kunst schaffen.« Hierfür nützt er verschiedene Einfallstore: Er schreibt Bücher (»Ich sehe was, was du nicht siehst«), tritt im Fernsehen auf, produziert Podcasts und Comedy-Shows (mit seinem aktuellen Bühnenprogramm »Meisterwerk« tourt er noch bis Frühjahr 2027 durch Deutschland).
Wie kam der Kontakt zu Krämer zustande? »2009 war ich sein erster Praktikant am Städel Museum, als Felix Krämer dort Kurator war«, erzählt Schwerdtfeger. „Nach zwei Wochen hat er mir das Du angeboten, und heute sind wir befreundet. Krämer wollte unbedingt eine lustige, schräge Ausstellung.«