Ein verblüffendes Phänomen bei evangelikalen und pfingstlich-charismatischen Christen ist ihr Philosemitismus. »Wir haben ein ausgeprägtes Verständnis dafür, dass der christliche Glaube jüdische Wurzeln hat«, sagt etwa Pastor Klaus-Dieter Passon von der Düsseldorfer Jesushaus-Gemeinde, »Jesus war Jude: Jeshua.« Gott habe einen Bund mit dem jüdischen Volk, das unter seinem besonderen Segen stehe. Der Zionismus gelte als eine Parallele zur pfingstlichen Erweckung, auch zeitlich, und die Gründung des Staates Israel als Erfüllung einer biblischen Prophezeiung. »Wir sind Freunde Israels«, sagt Passon. Tatsächlich findet Israel kaum irgendwo enthusiastischere Unterstützung als in den Schriften evangelikaler, pfingstlicher Gemeinden.
Dies alles ändert nichts daran, dass Evangelikale und Pfingstler missionarische Christen sind und dass die meisten Juden aus solcher Sicht, bei aller Liebe, einen kleinen Fehler haben: Sie sind keine Christen. Sie glauben an den Messias, aber sie haben noch immer nicht begriffen, dass er längst da war, vor 2000 Jahren. Und deshalb missionieren Evangelikale, Pfingstler und Charismatiker ihre jüdischen Freunde. Oder sie lassen missionieren – durch Juden, die schon bekehrt sind: messianische Juden. Judenchristen.
Auch das Jesus-Haus in Düsseldorf bietet einer Gemeinde messianischer Juden Raum – sie stammen vorwiegend aus der früheren Sowjetunion. Pastor Passon räumt ein, dass das Thema in Deutschland schwierig sei, und er findet die »Zurückhaltung jüdischer Freunde« verständlich angesichts der Geschichte. Er leugnet nicht, dass christlicher Antijudaismus als Vorspiel und Begleitung zum tödlichen Antisemitismus eine üble Rolle gespielt hat. Seine Sympathie für Israel, für die Juden und ihre Kultur wirkt ehrlich. Gleichwohl gerät in ein unauflösbares Dilemma, wer jüdische Kultur anerkennen will, ihre nicht unerhebliche religiöse Komponente aber wegen seines missionarischen Ansatzes als grundsätzlich fehlerhaft bewertet. Man kann ja umgekehrt auch nicht Christen ihre ganze Kultur belassen, wenn sie denn nur von diesem unsinnigen Jesusglauben abgehen wollten. Die großen christlichen Kirchen lassen nicht umsonst weitgehend die Finger von der Judenmission.
Natürlich ist das in anderen Ländern alles einfacher, in den USA zum Beispiel. Dort kann man vielleicht sogar Witze über Juden machen. Dort kann man jedenfalls Organisationen wie »Jews for Jesus« verschmerzen – warum schließlich sollte es den amerikanischen Juden besser ergehen als anderen Leuten, die dort missioniert werden. Aber Deutschland? »Jews for Jesus« hat dennoch einen der ihren, ausgebildet in »Missiologie« – also »Missionierungs-Wissenschaft« – zuerst in die Ukraine geschickt und dann nach Deutschland. Nun sitzt Avi Snyder als »europäischer Direktor« von »Juden für Jesus« in Essen und dirigiert von dort seine Truppen, durch deren Wirken europäische Juden und andere Ungläubige von ihren Irrtümern genesen sollen.
Die Nazis haben den Juden bekanntlich keinen Ausweg gelassen, Übertritt zum Christentum etwa beeindruckte die arischen Antisemiten überhaupt nicht: »Der Glaube ist uns einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.« Und darauf stand der Tod. Insofern bedeutet das Wirken der semitischen Philosemiten in Christo auf deutschem Boden schon einen Fortschritt. Dass allerdings diese Gottesstreiter ein Logo nutzen, das fatal an den gelben Judenstern erinnert, mit der Aufschrift »Juden für Jesus« in den gleichen pseudohebräischen Lettern wie einst das Wort »Jude«, das ist – ja, was ist das? Unterstellt, dass das Logo von den messianischen Juden selbst ersonnen wurde, die ja im Vollbesitz all ihrer jüdischen Kultur bleiben dürfen außer der Sache mit dem Messias, dann könnte man dahinter typisch jüdische Chuzpe vermuten. Wahrscheinlich aber ist das Ganze bloß – völlig meschugge.