TEXT: STEFANIE STADEL
»Ich bin bei Gott nicht mehr fröhlich, mein Menschenhass ist ins Ungeheure gewachsen«, so schreibt er 1917 aus dem Lazarett. »Die Nerven, jede kleinste Faser, Abscheu, Widerwillen …«. Der Krieg hat ihn vollends radikalisiert. Nun scheint George Grosz vor allem eines anzutreiben: die ätzende Abrechnung mit den Verantwortlichen. Kunst wird zur Waffe. In diese Spitzenzeit des kämpferischen Sarkasmus fällt die Arbeit an jenem monumentalen Gemälde, das Grosz im November 1918 vollendet und nach Heinrich Heines Versepos »Deutschland, ein Wintermärchen« betitelt. Eine beißende Bestandsaufnahme der Lage in Deutschland. Grosz nennt es einmal das wichtigste seiner Ölbilder und er wünscht sich Reproduktionen in allen Schulen.
Das Hauptwerk selbst ist seit 1933 nicht mehr gesehen. Trotzdem ging Grosz’ Wunsch irgendwie in Erfüllung, findet es sich doch als abgründiges, erschreckend weitsichtiges Zeitzeugnis in etlichen Geschichtsbüchern abgebildet.
Auf der Suche nach diesem verschollenen Stück deutscher Historie reist Grosz-Experte Ralph Jentsch seit Jahren um die Welt. Bisher ohne Erfolg. Allerdings – es kommt einem Märchen gleich – ist 2010 in einem oberbayerischen Kleiderschrank eine Studie aufgetaucht, von der bis dahin niemand wusste. Ein Blatt, das mit Feder und Aquarell die Komposition des berühmten Ölbildes vorzeichnet – jetzt zu entdecken im Brühler Max Ernst Museum, wo es als Glanzstück der retrospektiven Grosz-Ausstellung gastiert.
Wesentliche Zutaten sind die gleichen wie im Gemälde: Als Fundament der Gesellschaft findet am unteren Bildrand die verhängnisvolle Trias zusammen. Ein reich behängter General, der linkische Pfarrer, ein reaktionärer Schulmeister. Auf sie baut der feiste Biedermann mit vollen Backen im Zentrum des Bildes, zwischen Kirche, Kaserne, Bordell, Spießer und Hure. Zufriedengestellt mit Bier und Braten – von dem im Aquarell allerdings nicht mehr als ein gründlich abgenagter Knochen geblieben ist. Um dieses sensationelle Fundstück herum gruppiert die Schau im Max Ernst Museum rund 80 Zeichnungen, Aquarelle, Collagen. Viele davon waren selten oder noch nie öffentlich zu sehen.
Das Unternehmen ins Rollen gebracht hat wieder einmal Werner Spies, Ernst-Spezialist, Grosz-Fan und Spiritus Rector des Hauses. Dabei waren es diesmal sicher eher Unterschiede als Gemeinsamkeiten, die das Gastspiel in Brühl begründen. Scheinen Ernst und seinen Kölner Mitstreitern die zynischen, aggressiven, politischen Töne der Berliner Dada-Kollegen um Grosz doch völlig fremd.
Darum ist das Zusammentreffen der beinahe gleichaltrigen Künstler in Brühl aber nicht weniger reizvoll. Als Kurator für das Grosz-Projekt konnte Spies wohl keinen besseren als Ralph Jentsch gewinnen, der nicht nur den Nachlass des Künstlers verwaltet, sondern auch seit über 20 Jahren an den Œuvre-Katalogen sitzt. Es gibt viel zu tun, denn der Workaholic Grosz hinterlässt ein Lebenswerk von rund 5.000 Gemälden und 15.000 Arbeiten auf Papier.
Jentsch wird dabei sicher keine Neuigkeit entgehen. Denn praktisch jedes Werk, das auf dem Markt auftaucht, wandert zur Begutachtung über seinen Schreibtisch, bevor es verkauft oder versteigert wird. Der Brühler Ausstellung kommt das zu Gute, denn Jentsch hat sich zum Ziel gesetzt, hier möglichst wenig bekannte, kaum gesehene, vielleicht erst in den letzten Jahren entdeckte Stücke zu versammeln, die meisten davon leiht er aus Privatsammlungen.
Sie decken, auch das war Jentsch wichtig, ein halbes Jahrhundert, also die gesamte Schaffenszeit ab. Vom Wäschekorb, den der Fünfzehnjährige mit Bleistift und viel Sorgfalt zu Papier bringt, führt der Weg an die Akademie der Bildenden Künste nach Dresden und 1912 nach Berlin, wo Grosz an der Kunstgewerbeschule studiert oder sich mit weißgepudertem Gesicht, rot geschminkten Lippen und wattiertem Jackett Dandy-like in Schale schmeißt, um im Café des Westens hämischen Blicks die Passanten zu mustern. Seine Berliner Beobachtungen finden Niederschlag in Kneipenszenen, Schlägereien, Aufläufen gewalttätiger Massen, die Grosz mit breitem Bleistrich, schwarzer Kreide und Tusche anlegt. Für Lust-, Mord- und erotische Szenen bevorzugt er dagegen die feine Feder.
Um 1915 entwickelt er dann seinen so charakteristischen »messerharten« Stil, benutzt dabei zehn und mehr Federn verschiedener Stärken. Auch Aquarell wird oft mit Feder kombiniert – so in der 1916 zu Papier gebrachten Stammtischszene. Was ihn bei solchen Bildern bewegt, bringt Grosz in seiner Autobiografie zum Ausdruck, wenn er seine Arbeit im Bierhaus beschreibt, »wo die Menschen wie dicke rote Fleischmassen in graue hässliche Säcke gepresst saßen.« Keiner, so formuliert es Werner Spies, habe wie Grosz »aus der deutschen Seele Fleisch gemacht«.
Mit dem Krieg gewinnen Ekel und Verachtung eine neue, verschärfte Dimension. Wie getrieben malt und zeichnet sich Grosz nun seinen Widerwillen von der Seele – in unglaublichen Arbeitsschüben. Künstlerische Produktion und politische Agitation lassen nicht nach – bis weit in die 20er Jahre hinein. Grosz demonstriert in Zeichnung und Aquarell unermüdlich gegen den politischen und gesellschaftlichen Ungeist der Zeit und verbreitet viele dieser Blätter in Mappenwerken oder »Erziehungsbüchern« – was ihm so manchen Gerichtsprozess einbringt. Wegen Beleidigung der Reichswehr, wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften und wegen Gotteslästerung hat er sich zu verantworten.
Als weiteres Bonbon aus diesem Bereich bietet die Schau in Brühl sein seit über 80 Jahren nicht mehr gesehenes Aquarell »Dämmerung«, veröffentlicht in der Ecce-Homo-Mappe, die 1922 eine Anklage wegen Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls nach sich zieht. Man kennt sie nur zu gut, Grosz’ Sprache jener Jahre. Seine scharfen, entschlossenen Striche, die Farben – klebrig bis ätzend. All die Typen: vom erbarmungslosen Kapitalisten über den anmaßenden Offiziere, den beleibten Dummkopf, die abgelebte Prostituierte bis zum ausgelaugten Arbeiter.
Grosz und die Weimarer Republik scheinen unauflöslich miteinander verbunden. Allzu oft wird sein Werk geradezu gleichgesetzt mit der Zeit zwischen den Weltkriegen. Dieser auf Grosz’ politische Agitation verengten Sicht wirkt die Schau nun noch einmal entgegen, indem sie die amerikanische Phase, den menschenfeindlichen Desperado Grosz, nicht zu knapp einbezieht.
Gerade noch rechtzeitig war der Künstler am 12. Januar 1933 mit seiner Frau geflohen und erst 1959 zurückgekehrt nach Berlin, wo er kurz danach verstarb. Die Hälfte seiner künstlerisch aktiven Zeit hat er jenseits des Atlantiks verlebt. Grosz zeichnete New Yorker Stadtansichten, persiflierte aus der Ferne die Vergötterung des »Führers«. In den späten vierziger Jahren erfand er seine »Stick Men«. Menschen ohne Fleisch und Blut, die statt Namen Nummern tragen, in einer seelenlosen Welt ohne Hoffnung leben. In den 50ern dann griff er verstärkt nach Schere und Klebstoff, schuf in schneller Folge zig großformatige Collagen.
Einmal tritt er selbstironisch als Revuegirl auf – posiert im Glitzerkostüm mit Whiskeyflasche in der Hand vor der Kulisse von Manhattan. »Ich fühle, das glaube ich sagen zu können, in mir ein gutes Erbteil alter deutscher Tradition«, so bemerkt Grosz in seiner Autobiografie. »Es liegt an dieser Tradition, dass ich eben immer die Zweiteilung sehe – Leben und Tod – und nicht mehr flach optimistisch immer nur rufe: Leben! Leben! Leben!«
Max-Ernst-Museum, Brühl, 11. Sep bis 18. Dez. 2011. Tel. 02234/9921555. www.maxernstmuseum.lvr.de